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Auf Sand gebaut

Während Europa mit bangem Blick auf das schwindende und umkämpfte Erdöl im Nahen Osten schaut, ist in Kanada das Geschäft des Jahrhunderts angelaufen: In der Provinz Alberta warten riesige Teervorkommen darauf, aus dem Boden gewühlt und in eine Art Rohöl umgewandelt zu werden. Mit steigendem Ölpreis schießen auch die Firmen aus dem Boden, die den Ölsand abbauen wollen. Die Folgen für die Umwelt sind verheerend: Ganze Landstriche werden zu Wüsten, für die giftigen Nebenprodukte gibt es kein Entsorgungskonzept, und der CO2-Ausstoß wird dem Land seine Kyoto-Bilanz vermasseln.

Von Arndt Reuning | 21.10.2007
    Blanker, schwarzer Boden. In der Luft liegt ein Geruch nach verbrannten Autoreifen. Mitten in der nackten Landschaft: ein dunkler, stiller See. Trübes, schmutziges Wasser, ohne jegliches Leben. Die Maschinen scheinen die Herrschaft übernommen zu haben. Mit riesigen Mäulern beißen gigantische Bagger immer wieder in den Erdboden, werfen stinkende Klumpen auf gelbe, bucklige Laster. Laster so groß wie Häuser. Am Horizont - die stählerne Stadt. Ein Gewirr aus Leitungen, Röhren, Kabeln. Wuchernde Metallgerüste. Riesige Tanks streben in die Höhe, eine Wand aus Schornsteinen. Auf der höchsten Spitze tanzt vor dem wolkenverhangenen Himmel eine riesige Flamme.

    "Auf Sand gebaut. Kanadas schmutzige Ölindustrie"

    Ein Alptraum. Und auch wieder: kein Alptraum. Ein Nachhall der Realität, ein nächtliches Echo des vorherigen Tages. Der Besuch auf den Ölsandfeldern hier in der kanadischen Provinz Alberta, Fort McMurray. Ein Riesengeschäft für die Petroleumfirmen. Und eine offene Wunde in den urwüchsigen Wäldern. Denn das sogenannte Öl ist eigentlich ein Art Teer, Bitumen genannt. Von so schlechter Qualität, dass es nicht wie herkömmliches Leichtöl aus dem Boden gepumpt werden kann. Im Tagebau wühlen überdimensionierte Schaufelbagger den ölhaltigen Erdboden aus dem Grund. Noch vor Ort wäscht heiße Natronlauge den zähen Rohstoff heraus. Chemieanlagen trennen Schwefel und Schwermetalle ab. Veredeln die Pampe zu einer Art Rohöl. Ein unglaublicher Aufwand. Aber:

    "Es lohnt sich, den Ölsand abzubauen. In Kanada wurden im vergangenen Jahr gut 50 Millionen Tonnen Öl aus Ölsanden gewonnen."

    Die BGR, die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover, hält ständig ein wachsames Auge auf die Erdölvorkommen rund um die Welt – im Auftrag der Bundesregierung. Hilmar Rempel arbeitet hier als Geologe und Fachmann für Energierohstoffe. 16 Dollar kostet es, sagt er, ein Barrel Öl aus den kanadischen Ölsandvorkommen zu gewinnen. Rempel:

    "Das ist im Vergleich zu leichteren Ölen eigentlich nicht sehr viel. Wenn wir natürlich die Öle im Nahen Osten nehmen, insbesondere im Irak oder Saudi-Arabien, wo die Gewinnungskosten nur zwei Dollar pro Barrel betragen, ist es viel. Wenn wir die Nordsee nehmen, sind wir etwa in der gleichen Größenordnung."

    Was die förderwürdigen Reserven im Boden angeht, ist Kanada in die oberste Riege der Erdölstaaten aufgerückt. Auf einer Fläche, die etwas größer ist als Bayern, lagert etwa doppelt so viel Öl wie im Irak. Und das in einem Land, das politisch ungefähr so stabil ist wie die Schweiz. Genug Schmierstoff also für den großen Motor, Öl für die Wirtschaft der westlichen Welt – aber auch reichlich Sand im Getriebe.

    Calgary, Downtown. Siebte Avenue. Der C-Train, wie die Stadtbahn hier genannt wird, fährt in Ost-West-Richtung mitten durch das Zentrum. Durch das Königreich der verspiegelten Fassaden, das ökonomische Herz der Provinz Alberta. Zwischen all den Glaspalästen der Ölfirmen wirkt das sechsstöckige, kastenförmige Gebäude an der siebten Straße ein wenig verloren. Das "Gallery Cafe" im Erdgeschoss sieht verwaist aus, aber der Frisiersalon hat geöffnet. Im zweiten Stock befindet sich das Büro des einflussreichen Pembina-Instituts. Die kanadische Umweltorganisation sucht nach Wegen für eine nachhaltige Energieversorgung. Simon Dyer ist Spezialist für die Ölsandvorkommen:

    "”Die Ölsande sind ohne Zweifel weltweit die schmutzigste Form von Öl. Mit verschiedenen negativen Auswirkungen: auf das Land, auf den Verbrauch von Wasser, auf die Emission von Treibhausgasen und einer Reihe anderer giftiger Stoffe.""

    Wo die Ölsandfirmen baggern, da wächst kein Gras mehr, keine Blumen, keine Bäume, nichts. Sie hinterlassen eine Wüste. Natürlich rekultivieren sie das Land irgendwann. Aber damit lassen sie sich im Moment noch Zeit. Den ursprünglichen Zustand, die Torfflächen und Feuchtgebiete, können sie sowieso nicht wieder herstellen. Und das ist noch lange nicht alles: Die Firmen verbrauchen unglaubliche Mengen an Wasser und Erdgas, um brauchbares Rohöl aus dem Bitumen zu gewinnen – Bitumen, das ist eine klebrige, zähe oder auch feste Masse, die aufs Innigste mit Sand und Lehm vermischt ist. Um Bitumen und Sand voneinander zu trennen, muss das Gemisch in heißem Wasser oder Lauge gekocht werden. Dyer:

    "”Der Abbau der Ölsande verschlingt eine erhebliche Menge an Energie. Vor allem Erdgas - um das Wasser zu erhitzen, mit dem das Bitumen aus dem Sand gewaschen wird. Und das ist eines der größten Probleme der Ölsandindustrie: dass sie damit so viel Kohlendioxid produziert. Kanada hat sich im Kyoto-Protokoll dazu verpflichtet, seine Emissionen an Treibhausgasen im ersten Berichtszeitraum um sechs Prozent zu senken – verglichen mit 1990. Tatsächlich sind wir aber im Moment dreißig Prozent über dem Wert von damals. Und ein großer Teil dieses Anstiegs kommt vom Abbau der Ölsande. Während die ganze Welt davon redet, den Kohlendioxidausstoß zu reduzieren und sich diesem Problem zu stellen, schlagen wir den genau entgegen gesetzten Weg ein.""

    Mittlerweile hat die konservative kanadische Regierung schon wieder Abstand genommen vom Kyoto-Protokoll und seinen Klimazielen. Zu unrealistisch, weil zu teuer. So das Fazit einer Studie, die das Umweltministerium in Ottawa im August veröffentlicht hat. Zuvor war eine Runde der Ministerpräsidenten gescheitert, auf der über einen landesweiten Emissionshandel beraten werden sollte. Vor allem die Provinz von Alberta hatte sich den Plänen entgegengestellt. So dass sich mittlerweile die Frage stellt: Wird es jemals eine saubere Zukunft für Kanadas schmutziges Öl geben?

    Das Zentrum des Ölsandbooms: Fort McMurray. Ein Städtchen im Nirgendwo. Dort, wo der Highway 63 langsam ausläuft. In einem Tal, umgeben von endlos scheinenden Wäldern – und von dem Athabasca Feld, dem flächenmäßig größten Ölsandvorkommen in Alberta. Energiereserve für zukünftige Generationen. Hypothek für die Umwelt. Die Hauptstraße, die Franklin Avenue. Hotels, Schnellimbiss-Lokale, weitflächige Parkplätze, das neu errichtete Einkaufszentrum. Der Abschnitt hinter dem "Boomtown Casino" ist heute wegen eines Straßenfestes gesperrt. Zwischen den Verkaufsständen präsentieren Matt Youens und seine Frau Shelley ihre ganz besondere T-Shirt-Kollektion. Im Fort McMurray Design. Bagger, Schlepper und andere Fahrzeuge aus dem Ölsandgewerbe. Und noch mehr:

    "Hier haben wir ein Shirt, da steht drauf: ‚Fort McMurray - Ich habe hier schon gelebt, bevor es berühmt wurde.’ In den vergangenen zehn Jahren hat die Stadt ihre Größe verdoppelt. In den kommenden drei bis fünf Jahren werden hier über hunderttausend Menschen leben. Es gibt eine Art Subkultur der Alteingesessenen, die in den späten Sechzigern herkamen, während des ersten Ölsand-Booms. Also, dieses T-Shirt ist sehr beliebt, die Menschen mögen es."

    Matt selbst ist erst vor eineinhalb Jahren hier angekommen. Das Geschäft mit den T-Shirts ist für ihn nur eine nette Nebenbeschäftigung. Im Hauptberuf ist er bei Syncrude angestellt, einer der großen Ölsandfirmen. Zeigt dort Investoren, Politikern und anderen Besuchern die Ölsandfelder und die Produktionsanlagen. Beantwortet Fragen zum Umweltbewusstsein der Ölsandfirmen. Youens:

    "”Die meisten von ihnen haben sich freiwillig dazu bereit erklärt, all ihre Aktivitäten hier oben offen zu legen. Es gibt eine Menge Öl, es gibt viel Geld zu machen. Aber die Firmen, die daran beteiligt sind, arbeiten sehr professionell. Sie kümmern sich um ihre Angestellten und das Zusammenleben in der Stadt. Und genauso kümmern sie sich um die Umwelt.""

    Suncor, Syncrude und Albian Sands sind die drei großen Spieler im Ölsandgeschäft. Und natürlich liegt ihnen die Umwelt am Herzen, wie sie immer wieder gerne beteuern. Das bedeutet: Sie reinigen ihre Abgase von Schwefel- und Stickoxiden. Sie versuchen, das Land zu rekultivieren. Durch ein Recycling-System drücken sie ihren Wasserverbrauch. Sie suchen nach neuen Methoden, wie sie das stark verschmutzte Abwasser behandeln können. Und sie reden davon, das Kohlendioxid zu begraben, es unter die Erde zu pumpen und dort in geologischen Formationen zu speichern. Was an dem momentanen Ausstoß an Kohlendioxid natürlich erst einmal nichts ändert. Es scheint so, als seien die Ölsandfirmen für alle Vorschläge offen, solange sie eines nicht machen müssen: den Abbau einzustellen oder zumindest zu drosseln, bis wirklich nachhaltige Techniken reif sind für die Praxis.

    Ortswechsel: Die Universität von Alberta in Edmonton, der Provinzhauptstadt. Hier hat das Zentrum für Ölsand-Innovation seinen Sitz, abgekürzt COSI. Murray Gray, der Direktor des Zentrums, hält in seinen Händen ein Plastiktütchen mit schwarzem, erdigen Ölsand. Gray:

    "”Das Material fühlt sich genauso an, wie man es erwarten würde: Ein grober Sand mit einer öligen Konsistenz. Der Geruch ist nur ganz schwach wahrzunehmen. Denn das Öl ist so schwer, dass es kaum verdampft. Was man wahrnehmen kann, das ist ein schwacher Duft nach Schwefelverbindungen. In Alberta witzeln wir gerne, dass das der Geruch von Geld ist.""

    Pecunia non olet? In Kanada stinkt Geld offenbar doch. Bevor sich aber der Dreck aus dem Erdboden in flüssiges Gold verwandelt, muss das Bitumen erst einmal herausgewaschen werden. Nur ungefähr zehn Prozent der begehrten Substanz stecken in dem Ausgangsstoff, der aus dem Boden gewühlt wird. Murray Gray steht vor einem Glaskasten, der einem kleinen Aquarium ähnelt. Trübes Wasser mit schwarz-braunem Schaum an der Oberfläche fließt langsam von links nach rechts hindurch. Hier simulieren die Forscher, was passiert, wenn in den großen Anlagen das Bitumen aus dem Sand extrahiert wird. Gray:

    "”In diesem Gerät wird die ölhaltige Erde mit heißem Wasser gemischt. Und dann immer im Kreis gepumpt. Das ahmt die Kräfte nach, die in der richtigen Anlage die festen Ölsand-Klumpen auseinanderbrechen und mit dem Wasser vermischen.""

    Im Glasbecken sinkt der schwere Sand dann nach unten, während das leichte Öl obenauf schwimmt und von Grays Mitarbeitern untersucht werden kann. Gray:

    "”Sie können beobachten, wie die Tröpfchen aus dem Rohmaterial freigesetzt werden. Sie können den Bitumenschaum abschöpfen und seine Qualität bestimmen. Und wir können ausprobieren, welches die beste Temperatur ist und wie chemische Zusätze die Extraktion verbessern.""

    Das Wasser, mit dem die Ölsandfirmen diesen Prozess im großen Maßstab durchführen, stammt aus dem Athabasca, einem Fluss, der in den Rocky Mountains entspringt und quer durch Alberta und das Ölsandgebiet strömt. Wegen des Aufschwungs, den das Geschäft mit den Ölsanden genommen hat, pumpen immer mehr Firmen Wasser aus dem Fluss. Die Gesamtmenge, welche die Industrie mittlerweile jährlich entnehmen darf, würde ausreichen, um eine Zwei-Millionen-Stadt zu versorgen. Weil das Wasser nach dem Extraktionsprozess so sehr mit giftigen Chemikalien beladen ist, darf es nicht zurück in den Fluss gespült werden. Rund um die Abbaustätten gibt es riesige Tümpel mit dem belasteten Wasser. Mit Böllerschüssen werden die Vögel von dem gefährlichen Nass fern gehalten. Gray:

    "”Wir wollen Methoden entwickeln, die ohne Wasser auskommen – oder nur mit sehr wenig Wasser. Wir untersuchen deshalb verschiedene andere Lösungsmittel oder Zusätze, die ebenfalls Bitumen und Sand voneinander trennen können. Ohne dass irgendwelche Reste davon in die Umwelt gelangen. Denn wir wollen keine neuen Belastungen erzeugen mit den Technologien, die wir entwickeln.""

    Mit der herkömmlichen Methode, mit heißer Natronlauge oder Wasser, können die Ingenieure gut 90 Prozent des Bitumens aus dem Sand waschen. Diesen Wert müssen andere Lösungsmittel erst einmal erreichen. Zu Beginn hatten die Forscher ihre Hoffnungen auf das unerwünschte Kohlendioxid gesetzt. Unter hohem Druck verwandelt sich das Gas tatsächlich in ein probates Lösungsmittel, das bereits für einige chemische Prozesse verwendet wird. Aus dem missliebigen Stiefkind der Petroleumindustrie wäre so ein geschätzter Musterknabe geworden. Allerdings, so Gray:

    "”Mit Kohlendioxid können wir nur ungefähr 30 Prozent des Bitumens herauswaschen. Das ist einfach inakzeptabel. Für schweres Öl, wie eben für Bitumen, ist CO2 ein schlechtes Lösungsmittel. Schauen wir uns Propan an, ein leicht flüchtiges Lösungsmittel, das sich hinterher wieder leicht entfernen lässt, dann bekommen wir 70 Prozent. Auch das ist noch nicht effizient genug. Wir brauchen stärkere Lösungsmittel. Zum Beispiel aromatische Kohlenwasserstoffe. Bei denen gibt es aber den Nachteil, dass sie sich nach der Extraktion schlecht aus dem Sand entfernen lassen.""

    Aber den Stein der Weisen haben die Wissenschaftler aus Edmonton noch nicht gefunden. Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen. Keine wirkliche Option für die nahe Zukunft. Aber vielleicht – irgendwann einmal.

    Der Wind hat über Nacht gedreht. Weht jetzt von den Ölsandfeldern rüber in die Stadt. In Fort McMurray stinkt es nach verbrannten Autoreifen. Die Besucher des Straßenfestes stört es offenbar nicht. Einer von ihnen ist ein Mann, der sich als Rob Roy vorstellt. Wie der schottische Volksheld. Rob ist Arbeiter auf den Ölsandfeldern. Im Moment bei einem Projekt, das eine alternative Fördertechnik nutzt. Roy:

    "”Ich denke, die Ölsande sind wirklich gut für uns. Wirklich großartig. - Bisher haben wir immer die Erde aufgegraben und den Ölsand abgebaut. Einen Haufen davon genommen und in einem großen Ofen gekocht. Nicht sehr umweltfreundlich. Aber wie sie das jetzt machen mit moderner Technologie: sie pressen Dampf in die Erde und waschen das Öl raus. Für die Umwelt ist das viel besser.""

    In-situ-Technik nennt sich so etwas. Lateinisch: An Ort und Stelle. Die Idee dabei: Die Firmen baggern nicht den Erdboden ab, um dann in riesigen Kesseln das Bitumen herauszuwaschen. Sondern sie verflüssigen das Bitumen unterirdisch und pumpen es dann wie normales Öl nach oben. Der Wald muss nicht weichen – oder nur ein kleiner Teil für die oberirdischen Anlagen. Außerdem bleibt der Sand im Boden und muss nicht entsorgt werden. Die Sorge um die Umwelt steht aber wohl eher an zweiter Stelle. In-Situ-Techniken werden neuerdings vor allem dort angewendet, wo die Ölsandvorkommen so tief unter Grund liegen, dass sich Tagebau nicht lohnt. Auch wenn im Moment noch die konventionellen Abbaumethoden überwiegen: Rund achtzig Prozent aller Flächen werden sich nur mit den Untergrundtechniken erschließen lassen.

    An der Universität von Calgary hat die Zukunft bereits begonnen. Dort arbeitet der Geologe David Reynolds als Manager eines Forschungszentrums, das sich den In-Situ-Techniken verschrieben hat. AICISE, "Alberta Ingenuity Centre for in situ energy". Die meisten dieser Verfahren erhitzen das zähflüssige oder feste Bitumen im Erdreich. Reynolds:

    "Das Bitumen ist nicht flüssig. Was wir machen, ist so ähnlich wie Schokolade schmelzen. Wir führen Wärme zu. Durch die Schwerkraft wandert das geschmolzene Bitumen dann nach unten zu einem Bohrloch."

    Der bekannteste Prozess nennt sich SAGD. Er funktioniert mit zwei verschiedenen Bohrlöchern, die nicht von oben nach unten verlaufen, sondern horizontal von links nach rechts. Die eine Bohrung befindet sich etwas oberhalb der anderen. Dort wird heißer Wasserdampf eingepresst. Aus der unteren Bohrung wird das geschmolzene Bitumen abgepumpt. Auch wenn die SAGD-Methode kaum die Landschaft zerstört, so ist sie doch ähnlich energieintensiv wie der oberirdische Trennvorgang mit heißem Wasser. Reynolds.

    "”Bei SAGD haben wir einen sehr hohen Energiebedarf. Man muss den Dampf erzeugen. Dazu braucht man Wasser und Energie. Die Energie erhalten wir normalerweise, indem wir Erdgas verbrennen. Wir verbrauchen dabei wirklich viel Energie.""

    Erdgas ist ein hochwertiger Energieträger. Eigentlich eine Verschwendung, das wertvolle Gas im wahrsten Sinne des Wortes zu verheizen, um eine klebrige, wasserstoffarme Masse zu gewinnen – die zudem auch noch chemisch veredelt werden muss, bevor sie zu irgendetwas nutze ist. Warum nicht einfach das Bitumen selbst verbrennen, um Bitumen zu verflüssigen? Reynolds:

    "Okay, let's go down. We will look at the in situ combustion lab.”"

    Im Winter kann es in Calgary kalt werden. Deshalb sind alle Gebäude auf dem Campus durch verwinkelte Gänge miteinander verbunden. So übersichtlich wie ein Ameisenbau. Reynolds:

    ""This is called the energy high bay lab.”"

    Das Labor für In-Situ-Verbrennung, fast wie eine Fabrikhalle. Verschiedene Mess-Stände und rätselhafte Apparaturen sind hier aufgebaut. Raj Mehta arbeitet als Professor an der Schulich School of Engineering, dem ingenieurwissenschaftlichen Fachbereich der Universität von Calgary. Mehta:

    "”Beruflich interessieren wir uns dafür, wie man einen Teil des Öls verbrennen kann. Unter der Erde, in situ. Um mit der Hitze den Großteil des Öls zu einem Bohrloch zu treiben, von wo wir es dann an die Oberfläche befördern können. Wir beginnen damit, dass wir Luft in den Untergrund einpressen, über eine spezielle Bohrung. Dann entzünden wir dort unten ein Feuer. Dabei verbrennen ungefähr zehn Prozent des Öls, die ganz schweren Anteile, die wir sowieso niemals nutzen könnten. Der Rest wird flüssig und kann von uns gefördert werden."

    In der Halle wird gerade ein Versuch vorbereitet. Dort steht eine ganze Reihe von Metallröhren, gut zwei Meter lang, wie Kanonenläufe. Eine davon eingewickelt in ein weißes, feuerfestes Gewebe. Mehta:

    "”Hier haben wir eine Bodenprobe aus einem Ölsandvorkommen in das Rohr gesteckt, in dem wir die Druck- und Temperaturverhältnisse im Reservoir simulieren können. Dann starten wir in dem Probenkern den Verbrennungsprozess. Die Verbrennungsfront läuft dann von oben bis zum Ende durch. So wissen wir dann zum Beispiel, wie viel Luft wir einpressen müssen pro Kubikmeter Ölsand. Wir erhalten die Parameter, mit denen wir ein Projekt vor Ort starten können.""

    Die Herausforderung besteht darin, die richtigen Werte für die Verbrennungstemperatur, den Druck und die eingepresste Luft zu finden. Wenn einer davon nicht stimmt, kann es sein, dass sich das Öl nicht verflüssigt, sondern in festes Koks umwandelt. Immerhin: Dass die In-Situ-Verbrennung im Prinzip tatsächlich funktioniert, konnte der BP-Konzern schon in den 80er Jahren an einer Pilotanlage zeigen. Aber trotzdem bleibt noch eine ganze Menge Detailarbeit zu tun. Gord Moore von der Schulich School an der Universität von Calgary:

    "”Wir stellen hier kein neues Verfahren vor. Aber wir präsentieren ein Verfahren, von dem wir glauben, dass es ein enormes Potential mit sich bringt. Wir müssen den Ölsand-Arbeitern die Werkzeuge an die Hand geben, diesen Prozess zu nutzen.""

    Die In-Situ-Verbrennung würde natürlich die Wasserreserven schonen. Energie verbraucht sie nur zu Beginn, wenn ein kleiner Teil des Öls verflüssigt und entzündet wird. Moore:

    "”Wir erzeugen die Hitze unter Grund, verheizen den unbrauchbaren Anteil, aus dem normalerweise nur Koks entsteht. Und: Der Erdboden hält die schädlichen Schwefeloxide und Stickoxide zurück, die bei der Verbrennung entstehen.""

    Noch einen Schritt weiter geht Steve Larter, ebenfalls vom Alberta Ingenuity Centre for in situ energy. Seine Überlegung: Normales Rohöl wird aus dem Boden gepumpt, in eine Raffinerie gebracht und dort in die verschiedenen Erdölprodukte zerlegt: Benzin, Diesel, Kerosin und so weiter. Aber: Wenn der Ölsand nicht zur Raffinerie kommen will, dann kommt die Raffinerie eben zum Ölsand. Larter:

    "”Bei AICISE versuchen wir, dieses Öl chemisch umzuwandeln und zu veredeln – und zwar unter der Erde. Wir machen damit aus dem Reservoir eine unterirdische Raffinerie. Was dann an die Oberfläche gepumpt wird, ähnelt eher einem leicht flüssigen Rohöl. Das Verfahren ist immer noch nicht ganz optimal. Aber wir benötigen weniger Wasser und setzen weniger Giftstoffe frei und so weiter.""

    In einem Labor am AICISE schrauben ein paar Studenten eine neue Apparatur zusammen. Einen Tisch weiter haben sie bereits an einem Gerüst ein komplexes Labyrinth aus Metallleitungen, Vorratsbehältern und Reaktionskammern aufgebaut. Ein Modell einer Ölsand-Lagerstätte. Ein Katalysator wird durch dieses Labyrinth gepumpt. Er soll dabei helfen, das klebrige Bitumen in leicht flüssiges Rohöl zu verwandeln. Ein Katalysator, das ist der beste Freund eines Chemikers. Und unter allen Wundern, welche die Chemie hervorgebracht hat, sicherlich dasjenige, welches dem Stein der Weisen nun tatsächlich am nächsten kommt. Oft genügt schon eine kleine Prise Katalysator, um einen Stoff in einen anderen umzuwandeln, ihn zu veredeln. Larter:

    "”Unsere Katalysatoren ähneln denen, die auch in Raffinerien benutzt werden: Metall-Sauerstoff-Verbindungen, Metall-Schwefel-Verbindungen. Der entscheidende Unterschied ist die Größe der Katalysatorkörnchen. Unsere sind sehr klein. Und damit können sie sich durch die feinen Poren bewegen, von denen eine typische Erdöl-Lagerstätte durchsetzt ist.""

    Dass die Umwandlung in dem Labor-Modell tatsächlich gelingt, konnten die Forscher aus Calgary schon zeigen. Aber Praxiserfahrung gibt es noch keine. Dave Reynolds, der Manager des Zentrums:

    "Im Moment wird gerade eine Pilotanlage errichtet, die wahrscheinlich innerhalb der nächsten sechs bis acht Monate damit beginnen wird, die Katalysatorflüssigkeit im Boden zu verteilen. Wird sind noch gut drei bis vier Jahre davon entfernt, eine Anlage tatsächlich vor Ort zu betreiben. Das wird Millionen von Dollar kosten. Da möchten wir schon sicher gehen, dass die Technologie tatsächlich funktioniert."

    Hört sich also nicht so an, als wäre eine nachhaltige Ölsandwirtschaft schon möglich.

    " Ökologisch nachhaltig? Mit momentanen Technologien nicht, denke ich.”"

    In den Augen des Energieexperten Simon Dyer vom industriekritischen Pembina-Institut kann das nur eine Konsequenz haben:

    "”Im Moment gibt es eine ganze Reihe von großen Projektanträgen, und alle greifen im Grunde genommen auf die alten Techniken zurück. Das Pembina-Institut schlägt ein Moratorium vor für den Ausbau der Ölsandförderung. Solange, bis die neuen Techniken zur Verfügung stehen. Das wird noch gut fünf bis zehn Jahre dauern. Es gibt für die Firmen heutzutage einfach keinen Anreiz und keine Verpflichtung, die beste zur Verfügung stehende Technologie zu benutzen. "

    Das Straßenfest in Fort McMurray geht seinem Ende entgegen. Ein einsamer Sänger unterhält noch die letzten Gäste. An dem Musikwettbewerb teilgenommen hat auch der Lehrer Brent Lawson, zusammen mit einigen Ehemaligen von der "Father Patrick Mercredi High School". Seit 17 Jahren unterrichtet Brent schon dort. Er hat miterlebt, wie sich die Stadt vor seinen Augen gewandelt hat. Der Aufschwung in den vergangenen Jahren – eine gesicherte Zukunft für seine Schüler. Lawson:

    "”Es gibt hier jede Menge Arbeitsplätze. Wer arbeiten will, der findet mit Sicherheit eine Stelle. Im Moment gibt es für viele Menschen ein anderes Problem: nämlich eine bezahlbare Unterkunft zu ergattern. Denn die Bevölkerung wächst schneller als die Infrastruktur.""

    Jennifer Ahern ist eine ehemalige Schülerin von Brent Lawson. Hat schon in Fort McMurray gelebt, als es noch ein unbedeutender Fleck auf der Landkarte war. Nach ihrem Schulabschluss ist sie in der Stadt geblieben.

    Sie arbeitet auf den Ölsandfeldern und verdient haufenweise Geld. Wie denkt sie über die Belastungen, welche die Ölsandindustrie verursacht? Für das Ökosystem vor Ort und das Klima weltweit? Ahern:

    "Ich weiß nicht. Ich kümmere mich einfach um meine eigenen Angelegenheiten."

    Und sie hofft, dass sich die Ölsandfirmen um den Rest kümmern, - so wie sie es sollten. Doch Abbau von Ölsand, ohne die Wälder zu zerstören, ohne das Wasser mit Giftstoffen zu belasten, ohne die Kohlendioxidemissionen in die Höhe zu treiben, das ist im Moment tatsächlich bloß – ein Traum.

    ""You are listening to original radio on the CKUA radio network. Across Alberta an around the world on ckua.com. This CKUA news cast is brought to you through the service of the CBC.”"

    "Auf Sand gebaut. Kanadas schmutzige Ölindustrie"

    ""United nations disaster reduction officials say the effects of climate change are having an impact now, and governments must take quick action to protect their communities from floods and other hazards.”

    "(As Lisa Sleym reports) they say steps must be taken to reduce current risks and to prepare for worse as the climate changes.”"