Donnerstag, 25. April 2024

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Aufarbeitung des Wirecard-Skandals
"Offenbar hat keiner seinen Job gemacht"

Mit der Rolle der Politik im Bilanzskandal bei Wirecard beschäftigt sich jetzt ein Untersuchungsausschuss des Bundestages. Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) habe mindestens fahrlässig gehandelt und trage eine persönliche politische Mitverantwortung, sagte der Grünen-Politiker Danyal Bayaz im Dlf.

Danyal Bayaz im Gespräch mit Dirk Müller | 08.10.2020
Danyal Bayaz, Wirtschaftspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen
Danyal Bayaz, Wirtschaftspolitiker von Bündnis 90/Die Grünen (imago images / Christian Spicker)
Der Wirecard-Skandal ist der größte Finanzskandal in der Geschichte der Bundesrepublik.Die Topmanager des Finanzdienstleisters sollen über Jahre betrogen, getäuscht und manipuliert haben. Scheinbuchungen in Höhe von fast zwei Milliarden Euro soll es gegeben haben. Ein Untersuchungsausschuss soll jetzt klären, was die Bundesregierung davon gewusst hat und seit wann. Außerdem wird gefragt, warum die zahlreichen Kontrollbehörden wie die Finanzaufsicht und die BaFin nicht zeitig eingegriffen haben und angeblich nichts von den Machenschaften bemerkt haben. Nicht zuletzt stehen auch Finanzminister Olaf Scholz (SPD) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Fokus der Untersuchung: Scholz muss sich fragen lassen, warum er nicht früher politisch aktiv geworden ist und Merkel hatte in China noch offensiv für Wirecard geworben als bereits klar gewesen sein muss, dass es große Probleme gibt.
BaFin
Was ist die BaFin?
Im Skandal um den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard ist auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Fokus geraten. Was sind die Aufgaben der BaFin und was wird ihr vorgeworfen?
Ein Untersuchungsausschuss des Bundestages soll nun Licht ins Dunkel bringen. Bevor der aber mit der Arbeit beginnen kann, muss der Vorsitz geklärt werden. An der Reihe wäre die AfD, die den Finanzpolitiker Kay Gottschalk dafür vorgesehen hat. Doch FDP, Grüne und auch die Union lehnen das ab. Der grüne Finanzpolitiker Danyal Bayaz ist Mitglied im Wirecard-Untersuchungsausschuss und erklärt, warum er gegen Kay Gottschalk stimmen wird und es so wichtig ist, den Fall Wirecard aufzuklären.
Dirk Müller: Herr Bayaz, wählen Sie Kay Gottschalk?
Danyal Bayaz: Wenn es eine Wahl gibt, werde ich nicht Kay Gottschalk wählen. Ich finde, wir brauchen eine Person bei diesem Untersuchungsausschuss, die fachlich parlamentarische Erfahrung hat, aber auch charakterlich geeignet ist. Wir haben ja wenig Zeit bei diesem Untersuchungsausschuss und deswegen glaube ich, der Kandidat der AfD erfüllt diese Kriterien nicht. Aber wie das am Ende ausgeht, das werden wir heute Nachmittag sehen.
Müller: Ein AfD-Politiker kann charakterlich nicht geeignet sein?
Bayaz: Zumindest jemand, der heute noch in der AfD unterwegs ist. Und wenn man sich mit der Personalie, die jetzt auf dem Tisch liegt, sehr speziell auseinandersetzt, kommt man schnell zum Ergebnis: Nein!
Müller: Als Grüner und als FDP-Politiker/Politikerin ist man charakterlich immer geeignet?
Bayaz: Nein, natürlich nicht. Das ist immer eine Personalentscheidung. Und es ist auch das gute demokratische Recht der AfD, für sich in Anspruch zu nehmen, zu sagen, uns steht erst einmal dieser Vorschlag zu, wir stellen jemanden auf.
Müller: Stimmt das denn?
Bayaz: So ist es in der Geschäftsordnung geregelt. Und genauso demokratisch ist es, wenn Abgeordnete nach ihrem Gewissen entscheiden, ob sie die Person für geeignet halten oder eben für nicht. Das ist Demokratie.
Müller: Was halten Sie von parlamentarischer Fairness und Kollegialität?
Bayaz: Sehr viel! Und ich finde, wir sehen bis heute, wo bis heute ja kein AfD-Vizepräsident gewählt ist, wo die Mehrheit des Hauses – und das ist ja Demokratie im Kern – sich gegen Kandidaten entschieden hat, dass sie auch von ihrem demokratischen parlamentarischen Recht Gebrauch gemacht haben. Das ist auch Teil der Demokratie, damit muss man umgehen.
"Die AfD hatte Chancen im Parlamentsbetrieb anzukommen"
Müller: Aber dann stimmt der Vorwurf der AfD, sie wird ausgegrenzt?
Bayaz: Ach wissen Sie, diesen Vorwurf, das sei undemokratisch, den höre ich jetzt schon lange. Die AfD hatte Chancen und Gelegenheiten, im Parlamentsbetrieb anzukommen und auch ihre Gesinnung zu demonstrieren, wo sie steht. Und nur weil jemand demokratisch gewählt ist, was die AfD ja offenbar ist – das bestreitet keiner -, heißt es nicht automatisch, dass sie sich demokratisch verhält, und da ziehe ich persönlich meine Schlüsse. Das ist, glaube ich, eine Frage der Haltung und in der Frage bin ich einfach ganz klar.
"Es könnte auch zu Interessenskonflikten kommen"
Müller: Kay Gottschalk verhält sich nicht demokratisch?
Bayaz: Er verhält sich nicht oder beziehungsweise er bringt nicht die charakterlichen Eigenschaften mit, die ich glaube, die jemand braucht, um an der Spitze eines Untersuchungsausschusses zu stehen.
Um mal über Wirecard zwei Takte zu verlieren in dem Kontext: Es gibt ja Hinweise auf geheimdienstliche Verstrickungen in Österreich bis hin zur FPÖ, also die Brüder im Geiste der AfD in Österreich. Ich glaube, dass es da auch zu Interessenskonflikten kommen möchte, und deswegen, glaube ich, ist er nicht geeignet.
Müller: Im Gegensatz zu Olaf Scholz?
Bayaz: Olaf Scholz hat eine andere Aufgabe. Olaf Scholz würde ich nie vorwerfen, dass er den demokratischen Grund- und Ordnungsrahmen verlassen hat, sondern Olaf Scholz ist Bundesfinanzminister.
Müller: Interessenskonflikte!
Bayaz: Interessenskonflikte?
"Olaf Scholz ist als Zeuge geladen"
Müller: Ja! Das haben Sie ja als Beispiel genannt. Interessenskonflikte des Finanzministers mit Finanzdienstleistern, mit Wirecard, Werbung für Wirecard, die Kanzlerin, die Werbung für Wirecard macht. War das in Ordnung?
Bayaz: Nein, das ist natürlich nicht in Ordnung, und das werden wir in diesem Untersuchungsausschuss aufklären. Olaf Scholz steht hier nicht zum Vorsitz des Untersuchungsausschusses. Er ist da als Zeuge geladen und er wird uns darüber Auskunft geben müssen, wie es dazu kommen konnte, dass beispielsweise im Herbst 2019, ziemlich genau vor einem Jahr, die Bundesregierung, unter anderem auch die Kanzlerin, in China für Wirecard im Ausland geworben hat. Das werfe ich ihr nicht mal vor, denn das erwarte ich sogar von einer Bundeskanzlerin, sich für deutsche Unternehmen oder Interessen im Ausland einzusetzen. Aber es war nun mal zu einem Zeitpunkt, wo es schon krasse Vorwürfe gegen Wirecard gab und diese im Raum standen, und das hätte einfach nicht passieren dürfen. Und warum das passiert ist, das wollen wir aufklären.
"Finanzminister Scholz trägt politische Mitverantwortung"
Müller: Reden wir weiter über diese Inhalte. Glauben Sie Olaf Scholz, wenn er sagt, ich habe nicht genug gewusst, um etwas unternehmen zu können?
Bayaz: Nein, das glaube ich nicht. Das halte ich für wirklich nicht glaubwürdig. Herr Scholz hat uns gegenüber im Finanzausschuss, den wir ja mit vielen Fragen und Sondersitzungen gelöchert haben über diesen Sommer, gesagt, er hat sich frühzeitig über den Fall Wirecard immer informieren lassen über seinen Staatssekretär. Das ist auch gut und das ist auch richtig so. Das erwarte ich von einem Minister. Aber ich frage mich, warum ist er nicht politisch aktiv geworden, denn ein Finanzminister hat die Instrumente und das Mandat und auch die politische Macht, um mal zu sagen, Leute, ich habe da ein Störgefühl, ich möchte da wirklich mal ein paar Steine mehr umgedreht haben in diesem Unternehmen. Das ist nicht geschehen und ich weiß nicht, ob es mutwillig gewesen ist. Es gibt ja immer den Vorwurf, man hat die schützende Hand über Wirecard gehalten. Das weiß ich nicht. Aber es war mindestens fahrlässig, und da trägt auch der Finanzminister eine persönliche politische Mitverantwortung.
"Es wird offenbar, dass es ein strukturelles Problem gibt"
Müller: Aber dann wäre das ja so ein Interessenskonflikt. Sie sagen das ja selbst. Wie kann das sein, wenn er genug gewusst hat, und er hat ja diese Berichterstattung erhalten und bekommen. Warum hat er dann nichts unternommen? – Müsste ich ihn fragen, aber er will dazu ja nicht vorher antworten.
Bayaz: Nein, das müssen wir aufklären, weil Sie haben da einen völlig richtigen Punkt. Es war nun mal so, dass Wirecard ein vielversprechendes Technologieunternehmen war. Alle waren stolz darauf. Man konnte sagen, endlich spielt Deutschland bei Technologieunternehmen irgendwie wieder in der Champions League. Deswegen ist die Frage, weil ja alle Kontrollmechanismen – und da geht es nicht nur um den Finanzminister. Wir tun ja manchmal so, der Finanzminister hätte persönlich die Wirecard-Bilanz kontrollieren müssen. Das ist natürlich Unfug. Aber die vielen Instanzen, die Finanzaufsicht, die Geldwäscheaufsicht, die Wirtschaftsprüfer, die DPR, die APAS, die die Rechtsaufsicht über die Wirtschaftsprüfer hat – jeder zeigt mit dem Finger auf jemand anderen und offenbar hat keiner seinen Job gemacht, und hier wird es doch offenbar, dass es ein strukturelles Problem gibt und dass der Verdacht, dass man vielleicht nicht genau hingeschaut hat, schon im Raum steht, und das gilt es aufzuarbeiten.
"Eklatant war das Leerverkaufsverbot gegen Wirecard"
Müller: Wollte sich keiner die Hände schmutzig oder die Hände saubermachen, wie Sie das gerade beschrieben haben? Viele Institutionen, Kontrollbehörden, die BaFin, die einfach dann offenbar weggeschaut hat, die nicht konsequent kontrolliert hat? – Warum?
Bayaz:: Auch da möchte ich nicht vorweggreifen. Es gibt viele Indizien dafür, dass man nicht genau hingeschaut hat, nicht genau hinschauen wollte, dass man vielleicht einen nationalen Champion in Deutschland nicht unnötigerweise beschädigen wollte. Vielleicht hat man sich aber auch von dieser tollen Börsen-Story dieses nationalen Champions einfach blenden lassen, und es gab dazu ja auch Anlässe, sich blenden zu lassen. Einer, der eklatant war, war 2019, als die BaFin, die Finanzaufsichtsbehörde, ein Leerverkaufsverbot gegen Wirecard verhängt hat. Das hatte den Eindruck, wir schützen Wirecard, wir glauben die Geschichte, die Journalisten der Financial Times aufgeschrieben haben, nicht so wirklich. Im Gegenteil! Man hat diese Journalisten sogar angezeigt und die wurden ja bis vor kurzem noch von der Münchener Staatsanwaltschaft verfolgt. Und man sieht: Die Journalisten haben ihre Aufgabe gemacht. Die Behörden und die Politik haben sie offenbar nicht gemacht. Wie es dazu kommen konnte, wo wir uns ja auch wirklich blamiert haben und auch uns bei diesen Journalisten erst mal entschuldigen sollten – deswegen haben wir auch Dan McCrum ja eingeladen in den Untersuchungsausschuss, in die erste Sitzung zu kommen. Das steht auch auf der Tagesordnung und da wollen wir genau wissen, wie konnte es dazu kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.