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Aufarbeitung deutscher Kriegsverbrechen in Italien

Außenminister Guido Westerwelle hat in Rom sein Bedauern über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht in Italien zum Ausdruck gebracht. Anlass war die Übergabe des Berichts einer deutsch-italienischen Historikerkommission über NS-Kriegsverbrechen in Italien, vor allem von 1943 bis 1945.

Von Thomas Migge | 19.12.2012
    "Ein Teil der deutschen Gesellschaft hat wirklich seriös und gründlich die schlimme Vergangenheit aufgearbeitet. Ein anderer Teil scheint daran aber immer noch nicht interessiert zu sein. Immer noch sind ganz bestimmte Hintergründe der deutschen Kriegsverbrechen in Italien unbekannt. Verbrechen, die nach der italienischen Kapitulation begangen wurden, als die Deutschen halb Italien besetzt hielten."
    In dieser Zeit, zwischen 1943 und 45, weiß Historiker Paolo Pezzino, wurden rund 15.000 italienische Zivilisten kaltblütig ermordet. Bis auf wissenschaftliche Probebohrungen, so Pezzino, Mitglied der deutsch-italienischen Historikerkommission, wurde diese historische Periode bislang kaum erforscht. In diesem Zusammenhang verweist er auf Hunderte von NS-Kriegsverbrechen in Italien, die immer noch ungesühnt sind. Das liege nicht nur an den Deutschen, meint Pezzino , sondern auch an den Italienern.

    Erst in den 90er-Jahren wurde in Rom ein Schrank wieder entdeckt, der die Unterlagen zu vielen deutscher Kriegsverbrechen in Italien zweifelsfrei belegte. Erst seitdem beginnt man, allerdings sehr langsam, mit der juristischen Suche nach den Verantwortlichen. Diese Suche warf viele Fragen auf. Auch deshalb, so der Faschismusforscher Lutz Klinkhammer bei der heutigen Pressekonferenz, wurde die Historikerkommission gegründet, der auch er angehört:
    "Die Kommission ist ins Leben gerufen worden auf dem Hintergrund einer ganzen Zahl von Prozessen, die in Italien gegen die Bundesrepublik und ehemaligen Soldaten der Wehrmacht und der Waffen-SS angestrengt worden sind, und die eine Rechtsunsicherheit geschaffen haben, weil vor italienischen Gerichten das Prinzip der Staatenimmunität infrage gestellt wurde."
    Die Bundesrepublik wandte sich in diesem Fall an den Gerichtshof in Den Haag. Der bestätigte die Staatenimmunität, was in Italien für laute Kritik sorgte, denn jetzt ist es so gut wie unmöglich, die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des so genannten 3. Reichs rechtlich zu belangen.

    Der Bericht der bilateralen Historikerkommission weist darauf hin, dass nach Kriegsende das Verhältnis zwischen Deutschen und Italienern geschichtswissenschaftlich aus ganz bestimmten Gründen nur wenig beleuchtet wurde. Aus deutscher Sicht, so der Bericht, zeige man sich zu lange nur wenig daran interessiert, was die Wehrmacht in Italien trieb. Der Mythos von der "guten Wehrmacht" verhindere, so Klinkhammer heute Vormittag, "genaue Untersuchungen zu deren Vorgehensweise in Italien".

    Auf italienischer Seite wurde der antifaschistische Widerstand zum nationalen Mythos erklärt. "Hier die guten Italiener, dort die bösen Deutschen", fasste der Historiker Klinkhammer zusammen. Viel mehr Forschungsinteresse als bisher, so die Historikerkommission, verdiene auch die wissenschaftliche Frage nach der Verschleppung von rund 600.000 italienischen Soldaten in NS-Arbeitslager.

    Die jüngste Entscheidung der Bundesregierung für italienische Zwangsarbeiter keine Entschädigung zu zahlen, führte in Italien zu böser Kritik und zu dem Vorwurf, so die Tageszeitung "la Repubblica", "deutscher Arroganz ihrer Vergangenheit gegenüber". Paolo Pezzino:
    "Die Erinnerung an diese Massenverschleppung ist Jahrzehnte lang in Italien lebendig geblieben. Unsere Kommission stellte fest, dass zahllose autobiografische Dokumente existieren, Tagebücher, Briefe, ganz private Berichte etc., die von Historikern noch ausgewertet werden müssen. Das Desinteresse der deutschen Justiz führte dazu, dass sich viele der Überlebenden als vergessene Opfer fühlen."
    Paolo Pezzino und die übrigen Mitglieder der deutsch-italienischen Historikerkommission weisen darauf hin, dass in nicht wenigen Fällen gerade die deutsche Justiz auch weiterhin an der Aufdeckung deutscher Kriegsverbrechen in Italien nicht interessiert zu sein scheint. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die Anfang vergangenen Oktober getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Stuttgart, keine Klage wegen des Massakers vor 68 Jahren im italienischen Sant’Anna di Stazzema zu erheben.

    Eine Entscheidung, die international für Aufsehen und Empörung sorgte. Die Ermittlungen, so hieß es in Stuttgart, hätten keinen hinreichenden Tatverdacht für eine Anklage ergeben. Dabei sind sich italienische und auch deutsche Historiker darin einig, dass Mitglieder der 16. SS Panzergrenadierdivision "Reichsführer SS" am 12. August 1944 in dem Bergdorf rund 560 Menschen töteten - alles unschuldige Zivilisten.