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Aufbaukurse zum Studienauftakt
Hilfe für schwächelnde Erstsemester

Mangelnde Mathe-Kenntnisse oder sprachliche Defizite: Hochschulvertreter beklagen, dass es den Studienanfängern immer häufiger am notwendigen fachlichen Rüstzeug fehlt. Wo die Vorbereitung während der Schulzeit Lücken hinterlassen hat, sollen jetzt Aufbaukurse und eine verlängerte Studienzeit helfen.

Von Thomas Wagner | 21.03.2018
    Studenten sitzen an Tisch in Universitätsbibliothek, Blick von oben.
    Wer an der Uni bemerkt, dass ihm fachliche Grundlagen fehlen, dem bleibt nur Büffeln und Nachholen - oder: Rund 30 Prozent der Studierenden brechen ihr Studium ab (imago / Artur Cupak)
    Joana Geza aus Karlsruhe hat sich einen Traum erfüllt: Ein abgeschlossenes Informatik-Studium.
    Allerdings: "Was mir gefehlt hat, war der Informatikunterricht in der Schule. Ich wollte Informatik studieren. Ich hatte aber keine Vorkenntnisse. Und das war hart am Anfang."
    Eine gute schulische Vorbereitung aufs Studium sieht anders aus. Und auch an der Uni, erinnert sich Joana Geza, habe man im ersten Semester nicht allzu viel Rücksicht auf sie als fachliche Neueinsteigerin genommen.
    Joana Geza hat das Studium dennoch gepackt, aber nur "indem ich nebenbei viel mehr gearbeitet habe als meine Kommilitonen. Ich habe deutlich mehr Stunden gebraucht, um in den Stoff reinzukommen, als meine Kommilitonen."
    Fehlende Vorbereitung während der Schulzeit
    Doch nicht alle Studienanfänger legen einen derart ausgeprägten Ehrgeiz an den Tag.
    "Die Abbrecherquoten liegen nach einer DZHW-Studie 2017 an Universitäten bei 33 Prozent und an Fachhochschulen bei 32 Prozent."
    Häufige Ursache dabei, so Professor Horst Hippler, Präsident der Hochschulrektorenkonferenz: Mangelnde Vorbereitung während der Schulzeit aufs Studium. Dabei, ergänzt Professor Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart, fehlt es an ganz Elementarem.
    Mangelnde Mathe- und Sprach-Kenntnisse
    "Die häufgisten Defizite sind, dass die heutigen Mathematikkentnnisse und die Kenntnisse der Naturwissenschaften nicht denen entsprechen, die wir heute als Eingang in ein Studium brauchen."
    Daneben macht Ressel noch ein weiteres Problemfeld aus.
    "Deutsch. Also Deutsch als Sprache. Das Tippen auf dem Handy im Schnellrhythmus in einer Sprache, die eigentlich keiner mehr versteht fördert nicht unbedingt Deutsch als Sprache. Und wir haben leider viele Situationen, wo wir also Seminararbeiten und so weiter, wo es einfach eines Textes bedarf, das wieder zurückgeben müssen, weil sie so schlecht geschrieben sind."
    Hilfe durch Vor- und Aufbaukurse
    Nicht bei allen Studienanfängern sind solche Defizite gleichermaßen ausgeprägt, hieß es in Stuttgart. Und trotzdem: Viele Erstsemester gerade in Ingenieur- und Naturwissenschaften, die es mit Mathe und Deutsch nicht so dolle haben, könne man erfolgreich auf die Sprünge helfen - beispielsweise durch das sogenannte "MINT-Kolleg Baden-Württemberg", das die Universität Stuttgart gemeinsam mit dem Karlsruher Institut für Technologie bereits vor sechs Jahren gegründet hat.
    "Wir bereiten Studierende in der Studieneingangsphase auf das Studium vor. Das heißt: Wir bieten Vorkurse an, wir begleiten sie dann in den ersten Semestern mit unterstützenden Angeboten und unterstützen sie da, wo sie Probleme haben. Also wenn sie in der Mathematik die Klausuren nicht bestehen, dann setzen wir an, setzen einen Aufbaukurs an und schauen, dass sie in der Wiederholungsklausur dann erfolgreich sind. Also wir schauen dann, wo die Bedürfnisse der Studierenden liegen."
    Das erklärt Claudia Goll, Direktorin des MINT-Kollegs Baden-Württemberg, eine Art übergeordnetes Nachhilfe-Institut für Studienanfänger - und noch ein bisschen mehr: Gerade mit Studienanfängern, die in den ersten Semestern nicht mehr mitkommen, werden auch strukturelle Änderungen im Studienablauf erprobt.
    Entschleunigungsstrategie
    Harmut Kuhnke arbeitet als Manager für den Studiengang "Bauingenieurwesen" an der Universität Stuttgart - und setzt auf Entschleunigung.
    "Das Ziel ist, dass von Anfang geplant wird, dass man das nicht in sechs Semestern, sondern in acht Semestern macht und dementsprechend auch weniger Prüfungen und weniger Module belegen muss. Die Idee dahinter ist, diejenigen anzusprechen, die vielleicht nicht die allerbesten Abiturnoten in Mathe haben. Und dann sagen wir: Wir konzentrieren uns jetzt auf die Höhere Mathematik in den ersten zwei, drei Semestern, um dann den weiteren Studienverlauf besser hinzubekommen. Das ist die Idee."
    Mit dieser "Entschleunigungsstrategie" sollen auch diejenigen für ein Ingenieursstudium motiviert werden, die sich das zunächst gar nicht zutrauen.
    Mathe-Spaß durch Praxisbezüge
    Professor Matthias Gercken bildet am staatlichen Seminar Karlsruhe unter anderem zukünftige Mathematik-Lehrer aus.
    "Da brauchen wir Personen, Lehrerinnen und Lehrer, die dahinter stehen, die Mathematik als schönstes Fach der Welt vermitteln können."
    Denn: Selbst die Beschäftigung mit Mathe kann Spaß machen, wenn von Anfang an Praxisbezüge aufgezeigt werden.
    "Wir können zum Beispiel aufzeigen, welche Schönheit in der Mathematik steckt. Beispielsweise die Ästhetik von Primzahlen war Jahrtausende lang wenn man so will gottgeben. Durch die Verschlüsselung haben wir Anwendungen, die man auch Schülerinnen und Schülern klarmachen kann. Und so gelingt es auch auf dem Feld der Demografie, mit einfachen dynamischen Prozessen auch solche demografischen Entwicklungen zu begleiten und in der Schule nachzubilden."
    In kleinen Gruppen zum Erfolg
    Die exakte Auswertung solcher Instrumente, die Studienanfänger besser auf die universitäre Lehre vorbereiten sollen, lässt zwar noch auf sich warten. Eine erste Tendenz lässt sich aber bereits ausmachen, so der Stuttgarter Uni-Rektor Wolfram Ressel.
    "Es ist heute so, dass heute bis zu 80 Prozent in der ersten Mathematik-Teilprüfung durchfallen, die dann das MINT-Kolleg besuchen, dort aufgefrischt werden und dann die Prüfung wieder in der Fakultät ablegen und dann zu 70 bis 80 Prozent bestehen. Da merken Sie: Dieses intensive Lernen in kleinen Gruppen - das ist das Erfolgsrezept."
    Akademikerkinder sind im Vorteil
    Mag zwar sein - allerdings kommen Bildungspraktiker und Bildungspolitiker an einem Detail trotzdem nicht vorbei.
    "Erfolg haben Studierende, deren Eltern Akademiker sind. Hier bleibt noch etwas zu tun: Denn wir müssen hart daran arbeiten, dass das Thema Herkunft nicht entscheidet über den Bildungserfolg", so die grüne baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer auf dem Kongress in Stuttgart.
    Dass Kinder, deren Eltern keine Akademiker sind, viel häufiger im Studium scheitern als solche, die aus Akademiker-Familien kommen, lasse sich nicht wegdiskutieren. Hier müsse die Bildungspolitik stärker als bisher gegensteuern.
    "Ja also unbedingt. Wir wissen heute, dass es nicht nur um fehlende Vorkenntnisse geht. Wir wissen auch, dass es um Fremdheitsgefühle geht. Und deswegen muss man für diejenigen auch Angebote vorhalten, dass sie sowohl individuelle Begleitung bekommen als auch schnell Kontakte aufbauen und in die Strukturen eben hineinfinden, die man im Studium braucht."