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Aufbruch in Richtung Europa

Albanien hat gerade einen historischen Tag erlebt, der von Menschenmassen in den Straßen begeistert bejubelt wurde: Der mächtigste Mann der Welt, US-Präsident George Bush besuchte Albanien, eines der kleinsten, ärmsten und schwächsten Länder Europas - wenn nicht der Welt. Und Bush machte die seltene Erfahrung, dass die Leute FÜR ihn auf die Straße gingen und nicht, um GEGEN ihn zu protestieren. Die meisten Albaner lieben die USA, viele Albaner leben auch in den USA, der US-Präsident ist für sie eine Art Schutzheiliger, schon weil es die USA waren, die den Kosovo-Krieg zum Schutz der Albaner im Kosovo vorangetrieben haben und die verhassten Serben in Schach halten - so jedenfalls die albanische Sichtweise. George Bush revanchierte sich für die Begeisterung, die er erlebte, indem er das Land und seine Probleme so positiv beschrieb wie Bevölkerung und Regierung es am liebsten hören:

Von Eberhard Nembach | 19.06.2007
    " Ich bin stolz, als erster amtierender US-Präsident Albanien zu besuchen. Ich komme gern in Länder, die hart am Aufbau der Institutionen arbeiten, die man für das Überleben einer Demokratie braucht. Ich freue mich besonders, weil Albanien den Schatten einer repressiven Gesellschaft hinter sich gelassen hat und jetzt der Welt zeigt, was möglich ist. Im Gespräch mit der Regierung habe ich viel über Ihr Land erfahren, zum Beispiel dass es sich auf die Marktwirtschaft ausrichtet und die notwendigen Reformen anpacken will, um das Überleben von Kleinunternehmen zu sichern und das Steuersystem fair zu machen. Ich bin beeindruckt vom Streben der Regierung, die Korruption zu bekämpfen. Ich schätze Albanien als Land der religiösen Toleranz, als treuen Freund und starken Alliierten. Mein Besuch heute sendet die Botschaft an die Menschen Albaniens: Ihr könnt auf Amerika zählen, so wie Amerika auf Euch zählt!"

    Der albanische Regierungschef Sali Berisha war glücklich über diese Rede von George Bush und Berisha versicherte artig, dass Albanien auch weiterhin brav an der Seite der USA stehen werde - schließlich braucht Berisha auch jede Unterstützung für den angestrebten NATO-Beitritt und die EU-Integration...

    " Die Albaner sind stolz auf die Freundschaft mit den Vereinigten Staaten und auf den gemeinsamen Kampf Seite an Seite gegen den Terror im Irak ebenso wie in Afghanistan. Wo es erforderlich ist, werden wir auch weiterhin unseren bescheidenen, aber entschlossenen Beitrag gegen den Welt-Terrorismus leisten, diesen gefährlichsten Feind der freien Völker."

    Regierungschef Berisha konnte in diesem Moment die innenpolitischen Dauerkämpfe wohl ein wenig vergessen. Mittlerweile ist das wieder anders. Der Regierungschef muss sich weiter mit seinem Intimfeind in Albanien auseinandersetzen, dem Sozialisten Fatos Nano. Der jüngste Streit dreht sich um die Neubesetzung des Präsidentenamtes - da wird die Bevölkerung nicht gefragt, es wird im Parlament abgestimmt, und das heißt: Berisha und Nano machen das Ganze weitgehend hinter den Kulissen aus. Die Demokratie in Albanien ist noch jung, die Strukturen von Korruption und Vetternwirtschaft sind alt, und das Land ist arm. Aber: Da hat George Bush recht, es tut sich was in Albanien.

    Baulärm ist in Albanien derzeit überall zu hören. Das Land befindet sich Aufbruch, ganz buchstäblich. Der Steinzeitkommunismus unter dem Diktator Enver Hoxha hat wenig nutzbare Infrastruktur hinterlassen, es gibt praktisch kein Straßennetz, das den Namen verdient, keine Wohnungen für hunderttausende Albaner, die in die Hauptstadt strömen, keine gesicherte Stromversorgung, keine Kläranlagen, nur eine kleine Bahnstrecke und: Es gibt noch zuwenig Hotels für all die Touristen, die an der albanischen Adria in Zukunft Urlaub machen und damit Geld ins Land bringen sollen. Vasil Barka ist einer der Pioniere, er hat eine kleine Tourismus-Agentur und betreut vor allem westliche Urlauber in Saranda - das liegt an der Küste, da wo die Adria ins Ionische Meer übergeht. Die griechische Ferieninsel Korfu liegt nur ein paar Kilometer vor der Küste - die Pauschaltouristen dort können Albanien aus ihrem Hotelfenster sehen. Vasil Barka holt sie dann als neugierige Tagesausflügler übers Meer nach Saranda.

    Der Tourismus ist eine der ganz großen Hoffnungen für das kleine und bettelarme Albanien. Im Landesinneren gibt es spektakuläre Berglandschaften, einsam, schroff und voller Abenteuer - das heißt leider auch, dass einige Gebiete im Norden immer noch als nicht ganz sicher gelten. In Mittelalbanien liegt die faszinierende historische Stadt Gjirokastra, Heimat des Literatur-Nobelpreisträgers Ismael Kadare. Die einmaligen alten Bürgerhäuser, turmhoch an die steilen Hänge gebaut und mit den charakteristischen weit ausladenden Dächern weithin sichtbar, gehören seit Jahrzehnten zum Unesco-Weltkulturerbe. Das ändert aber nichts daran, dass die meisten verfallen. Und Touristen, die sich dafür interessieren könnten, kommen selten - schon weil die Straßen zu schlecht sind, um bequem herzukommen. Es gibt eine große Nationalstraße durch Albanien, von Norden nach Süden, sie ähnelt im Augenblick einem bessern deutschen Feldweg. Sie wird mit internationaler Hilfe ausgebaut - das ist mühsam: Weil es die wichtigste Verkehrsachse in dem zu großen Teilen sehr unzugänglichen Gebirgsland ist, kann man sie nicht sperren - also fahren ständig Autos über die Dauerbaustelle. Albanien hat viel aufzuholen, gerade auf dem Land - in der Hauptstadt Tirana sieht es schon ganz anders aus.

    In den coolen Bars der Hauptstadt Tirana scheint sich Albanien kaum von Westeuropa zu unterscheiden, die jungen Leute sind genauso gekleidet und sind auch nicht unzufrieden mit ihrem Leben hier, so wie Arnisa, die Deutsch studiert:

    " Tirana ändert sich jeden Tag. Die Menschen, die Infrastruktur. Es ist nicht mehr Tirana wie es vor acht Jahren war. Jetzt sind die Menschen offen. Es gibt mehr Möglichkeiten. Es gibt mehr Plätze, wo man hingehen und sich amüsieren kann. Mehr Möglichkeiten, Arbeit zu finden. Es ist nicht mehr so schwer."

    Entwicklung findet vor allem in den Städten statt. Wer Albanien aber wirklich kennen lernen will, der muss aufs Land. Viele Dörfer sind nicht ans Straßennetz angebunden. Zum Beispiel Vendresha in Mittelalbanien, ein Bergdorf auf etwa 800 Meter gelegen inmitten kleiner Felder und Wiesen mit Blick auf die kahlen Gipfel der über 2000 Meter hohen Berge, wo fast immer Schnee liegt. Um nach Vendresha zu kommen, muss der Besucher aus dem Auto in einen Geländewagen umsteigen, der bis zur Dorfschule fahren kann, wo auch der Wochenmarkt stattfindet. Dann wird das Gepäck auf ein geduldiges Maultier umgeladen, die letzten zwei Kilometer kann kein Auto mehr fahren, es geht über einen gewundenen Pfad bis zum Dorf, das aus ein paar kleinen Ziegelhäusern besteht - Strom gibt es hier nur unregelmäßig, aber alle haben Handys und Satellitenfernseher. Ansonsten leben sie hier von der Schafzucht, bauen Getreide an, die winzigen Felder pflügen sie mit Ochsengespannen, ein Traktor ist für die meisten zu teuer. Das Land ist fruchtbar, es gibt viel Obst, verkaufen können die Bauern das aber nicht, wie sollen sie es denn transportieren, wenn es keine Straße gibt. Seit Jahren verspricht der Bürgermeister eine Straße - hier glaubt niemand daran. Einige Höfe stehen schon leer, die Jungen gehen eben weg, denen ist das Leben zu hart. Nach mitteleuropäischen Maßstäben sind die Menschen hier bettelarm - sie leben von dem, was sie selbst anbauen und ernten, was die Tiere liefern, Eier von einem Dutzend Hühnern, Milch von einer Kuh, Käse und Fleisch von den Schafen, die lassen sich auch auf dem Markt verkaufen. Elend herrscht hier trotzdem nicht. Alle haben saubere Kleidung, die meisten besitzen auch Waschmaschinen, die Stuben sind blitzsauber, in der Frühsommer-Sonne spielen die Kinder Fußball unter den wachsamen Augen der Alten. Ist das nun Armut oder Idylle? Es kommt wohl auf den Blickwinkel an:

    Albanien hat einen langen Weg vor sich, aber es hat Potenziale: Neben dem Tourismus, der noch in den Kinderschuhen steckt, ist das vor allem die Landwirtschaft. Tomaten, Eier und Oliven werden schon exportiert - das sind noch keine großen Unternehmungen. Aber es gibt auch schon ein paar Erfolgsgeschichten: Albanien ist einer der bedeutendsten Exporteure von Wildkräutern. Auch in Deutschland wird zum Beispiel Salbei-Tee verkauft, für den die Kräuter mühsam in den südalbanischen Bergen gepflückt wurden. Die wichtigste Salbei-Unternehmerin Südalbaniens ist Vera Ceco:

    " Wir sammeln, reinigen und verpacken Wildkräuter. Seit 1993 habe ich diese Firma. Ich habe schon seit meinem Uni-Abschluss als Agrarökonomin 1973 hier im Staatsbetrieb gearbeitet, dann habe ich das als Privatbetrieb weitergeführt. Die Bauern liefern hier ihre wild gesammelten Kräuter ab."

    In riesige Säcke werden Salbei, Oregano oder Lorbeer dann abgepackt und für Medizin, Tees oder als Würzkräuter in alle Welt verkauft - tonnenweise. Die Firma ist erfolgreich, gibt dutzenden Menschen Arbeit, auch wenn sie es nur auf ihre zurückhaltende und bescheidene Art zeigt: Vera Ceco ist stolz auf ihre Leistung.

    Eine Frau mit Erfolg. Das passt nicht allen in der albanischen Männergesellschaft. Im Dorfcafé ist sie die einzige Frau. Außerhalb der Hauptstadt Tirana sind öffentliche Plätze und Cafés eine reine Männerwelt, Vera zuckt mit den Achseln, so ist das halt.

    " Ja, es stimmt, die Männer geben uns Frauen nicht viel Raum. Viele Frauen trauen sich aber auch nicht, große Aufgaben zu übernehmen. Ich habe diese Aufgabe übernommen, jetzt erledige ich meinen Job wie ein Mann."

    Ähnlich funktioniert auch die Politik in Albanien. Es gibt natürlich auch Frauen, die Abgeordnete oder Ministerinnen werden. An der Spitze stehen dann aber eben doch wieder Männer. Seit dem Ende der steinzeitkommunistischen Diktatur vor gut eineinhalb Jahrzehnten ist Albaniens Politik eine Art dauernder Hahnenkampf zwischen zwei starken Männer: dem derzeitigen Ministerpräsidenten Sali Berisha, einem machtbewussten Kontrollfreak, der am liebsten alle Entscheidungen im Lande selbst trifft, was an vielen Stellen für Stillstand sorgt und auch Ausländer frustriert, weil sie bei Verhandlungen über Investitionen oder Hilfen immer wieder die Einmischungen der Regierungsspitze erdulden müssen. Der andere starke Man in Albanien ist Fatos Nano, ein lebenslustiger Sozialist mit Hang zu großen Autos, jungen Frauen und Casinos. Seine Abwahl vor gut zwei Jahren hat den Weg frei gemacht für den Kampf mit der Korruption, sagen die neuen Herren im Regierungsgebäude. Tatsächlich sind die alten Seilschaften offenbar zerschlagen worden - dafür hat jetzt Berisha überall seine Leute platziert. Berisha gilt zwar selbst nicht als korrupt. Aber die demokratischen Spielregeln biegt er auch wo er kann, etwa bei Wahlen. Sein Widersacher Fatos Nano ist zwar gerade in der Opposition, aber er zieht weiter die Fäden - auch vorbei an Edi Rama, dem Bürgermeister von Tirana, der inzwischen sozialistischer Parteichef ist. Rama hat triste sozialistische Häuserblöcke bunt streichen und Parks anlegen lassen und damit aus der einstigen düsteren sozialistischen Hauptstadt eine blühende Metropole gemacht, durch die auch Ausländer gern flanieren. Die besten und belebtesten Bars liegen ausgerechnet im so genannten Block - das ist ein einst gesperrtes Stadtviertel in der Gegend um den Palast des Diktators Enver Hoxha.

    In Tirana ist das Leben westlich geprägt und hat wenig zu tun mit den Klischees von Albanien - das land wirkt hier nicht arm und elend. Und es ist auch nicht das Land edler einsamer Bergbewohner, die sich den Regeln des Jahrhunderte alten Kanun unterwerfen - ein Gesetzeswerk, in dem das Verhältnis von Mann und Frau streng geregelt ist, genauso wie die Blutrache. An diese Regeln halten sich bis heute viele Albaner, vor allem in den armen und unzugänglichen Bergregionen im Norden, an der Grenze zum Kosovo und zu Montenegro. Dorthin hat der Arm der verschiedenen Herrscher, Römer, Italiener oder eben Kommunisten nie ganz gereicht - da hat sich vieles erhalten von den alten Regeln. Manche Westler lassen sich von dieser archaischen Lebenswelt faszinieren. Für diejenigen, die dort leben, ist sie aber oft furchtbar, und sie müssen von dort fliehen...

    Musikant möchte der 12-jährige Pashk werden, er spielt die Ciftelija-Laute, das typische Instrument aus dem kargen bergigen Nordalbanien, wo er herkommt. Der schmale Junge in dem adretten Hemd fühlt sich sichtlich wohl hier in dem einfachen aber sauberen Schlafraum des Internats einer kleinen mittelalbanischen Stadt, 18 Autostunden entfernt von seinen Eltern.

    " Wegen der Blutrache bin ich hier, mein Onkel wurde schon ermordet, da hatten wir auch Angst, und ich musste hierher, mit meinen drei Brüdern und meiner Schwester, erzählt der Junge. Hier ist es besser, hier habe ich Freunde, kann rausgehen - zuhause musste ich immer drin bleiben, bin nicht in die Schule gegangen und habe meine Freunde nicht gesehen. Pashk möchte dort nicht mehr leben, sein Vater, ein Maurer und die Mutter gehen nicht mehr vor die Tür, sie führen ein trauriges Leben. Pashk möchte hier noch ins Gymnasium gehen und dann für immer bleiben."

    Ein Polizist öffnet die schwere Gittertür in der Mauer, die das ehemalige Klinikgebäude nach außen schützt, rund um die Uhr wird es bewacht, auch die Eltern kommen nur nach Voranmeldung hier hinein. Es ist das bisher einzige Internat dieser Art in Albanien, die Idee hatte ein Arzt aus dem Ort, das Geld kommt von der Regierung. 38 Kinder leben hier, aus Familien, die in Blutrache-Fälle verwickelt sind. Bei der Blutrache geht es aber meistens nicht um Auseinandersetzungen zwischen Ehrenmännern, sondern um ganz brutale Gewalt, die häufig mit Sexualität oder Alkohol zu tun hat...

    " Ein Onkel habe mit einem Nachbarn Raki getrunken, den selbst gebrannten Bauernschnaps, erzählt Pashks ein Jahr älterer Bruder Pepa, dabei gab es Streit, der Onkel wurde mit der Pistole bedroht. Dann hat er seine Kalaschnikow geholt und wollte dem anderen eine Lektion erteilen, dabei hat er ihn erschossen - darauf hat die andere Familie Rache genommen und zwei von unseren Onkeln erschossen - einer von unseren Onkel hat wiederum zwei Männer der anderen Familie getötet, das war wieder einer zuviel, jetzt wollen sie wieder sich rächen."

    Im Unterricht lernen die Kinder aus dem Internat gemeinsam mit den Kindern aus der Stadt, sie haben Freunde, wirken entspannt. Schuldirektorin Burbuqe Syla bestätigt diesen Eindruck:

    " Über das Thema Blutrache sprechen wie auch im Gemeinschaftskunde-Unterricht gesprochen - natürlich ist Blutrache verboten, aber man muss wenigstens den Kindern beibringen, dass sie auch falsch ist und schlecht. Viele Erwachsene wollen ja an den vermeintlich ehrenhaften Regeln festhalten."

    Die Jungs aus dem Internat jedenfalls scheinen ihre Lektion gelernt zu haben:

    " Wir wollen keine Blutrache üben, die Blutrache muss verboten sein, so können wir doch nicht zu Europa gehören."

    Schon jetzt hat Albanien ein so genanntes Stabiliserungs- und Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union - das ist eine Art Einstiegsstufe auf dem Weg zum Beitritt. Die meisten Albaner sind sehr nationalbewusst und stolz. Sie wissen zwar, dass Albanien einen langen Weg vor sich hat, aber dass es irgendwann dazugehören wird, zum exklusiven reichen Club der Europäischen Union, da sind sie sich sicher.