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Auferstanden aus Ruinen

In Athen ist das neue Akropolis-Museum eröffnet worden, gebaut vom Schweizer Architekten Bernhard Tschumi. An dem Großereignis nahmen Staats- und Regierungsoberhäuptern aus zahlreichen Ländern teil. Es fehlten jedoch Vertreter aus London, wo sich die 2500 Jahre alten Originale der Figuren befinden, die einst den Parthenontempel der Akropolis zierten.

Von Alkyone Karamanolis | 20.06.2009
    Wie geht man damit um, direkt unterhalb des Parthenon bauen zu müssen? Wie damit, dass das Grundstück selbst eine archäologische Grabung ist, und noch dazu eine bedeutende, und wie begegnet man dem Umstand, dass das zu errichtende Museum einen emotional aufgeladenen nationalen Auftrag erfüllen, also Plädoyer für die Rückführung des Parthenonschmucks sein soll? Um direkt unterhalb des einflussreichsten Gebäudes der westlichen Architektur zu bauen, müsse man demütig und arrogant zugleich sein, sagt Bernard Tschumi gerne, und: Kreativität entstehe aus der Auseinandersetzung mit Beschränkungen:
    "Gewöhnlich beginne ich mit einem bestimmten Konzept im Kopf. Hier waren die Umgebung und die Bedingungen so komplex, so schwierig, dass wir vom Kontext ausgegangen sind. Und von diesem Kontext aus haben wir das Konzept entwickelt. Anders als sonst haben wir hier also einen Kontext konzeptualisiert."

    Da ist es interessant, sich den Architekturwettbewerb in Erinnerung zu rufen: Daniel Libeskind schlug ein furios explodierendes Gebäude vor, Arata Isozaki ein introvertiert-esoterisches Museum, das er wie ein großes Straußenei in Stadtlandschaft setzte. Bernard Tschumi dagegen offerierte eine minimalistisch-kühle Lösung, die die Jury vor allem wegen ihrer Klarheit und Logik überzeugte.

    Von außen präsentiert sich das neue Akropolis-Musem heute als gedrungener, leicht trapezförmiger Quader mit drei Stockwerken, die sich vor allem in der Fassadengestaltung unterscheiden: Sichtbetonkassetten im Erdgeschoss; Glas und aufgefächerte Metallpanele darüber, und obendrauf, on top of it, ein kleinerer, dunkler Glaskasten, leicht versetzt zu den darunterliegenden Stockwerken, wie ein schief aufgesetzter letzter Legostein. Tatsächlich spielt sich der Bau gegenüber dem Parthenon nicht in den Vordergrund, andererseits ist er gerade in seiner Homogenität herausfordernd, ja geradezu enervierend selbstbewusst. Affirmativ. Ein Monolith ohne Wenn und Aber.

    Das große Verdienst Tschumis ist es, die Schwierigkeiten des Projekts auf faszinierende Weise in Vorteile umgemünzt zu haben, und das wird vor allem im Inneren des Museums deutlich. Seine kühle Hülle ist im Grunde eine Klammer zwischen zwei Konstanten. Der Grabung im Untergrund und der luziden Idee, die Parthenonreliefs im obersten Stockwerk zu präsentieren, in direktem Sichtbezug zum Parthenon selbst. Alle anderen Architekten, die am Wettbewerb teilnahmen, hatten sie im Bauch ihrer Museen versteckt.

    Tschumi lässt das Museum also auf Säulen gestützt über einer Grabung schweben - mit mehr oder weniger Schaden, die griechischen Archäologen sind darüber tief zerstritten. Der Besucher erlebt die historischen Schichten der Stadt beim Gang über eine gläserne Rampe in der dramatisch inszenierten Eingangshalle des Museums. Gesäumt wird die Rampe von beleuchteten Vitrinen mit kleineren Ausstellungsstücken; und auf einem begehbaren Balkon in luftiger Höhe haben die Karyatiden, die einst das Dach des Erechteions stützten, die aber im alten Museum aus konservatorischen Gründen in einen Stickstoffkäfig gesperrt waren, nun einen neuen, würdigen Standort gefunden.

    Offensiv geht der Architekt auch mit den Beschränkungen um, die ihm die Statik des Gebäudes in diesem extrem erdbebengefährdeten Gebiet auferlegt und schafft so atemberaubende Raumlandschaften, etwa im Ausstellungsraum, der die archaischen Skulpturen versammelt - einem der faszinierendsten Museumsräume überhaupt. Mehrere hundert Quadratmeter groß, mit hohen, breiten Glasfronten und durchsetzt von Konstruktionssäulen. Deren leicht sandgestrahlter Sichtbeton schluckt das Licht, die marmornen Ausstellungsstücke reflektieren es. Und es passiert das, was man sich nur wünschen kann und was sich nicht planen lässt: die minimalistische und dezidiert moderne Umgebung, der sachlich-kühle Säulenwald, gibt den Göttinnen und Koren etwas von ihrer Spiritualität zurück. Präsentiert werden die Skulpturen auf schlichten Sockeln von unterschiedlicher Höhe, was ihrer Zusammenkunft einzigartige Bewegung und Lebendigkeit verleiht.

    So schafft der neue Museumsbau auch neue Gegebenheiten. Rückblickend betrachtet wirkten diese Meisterwerke der Antike im beiläufig eingerichteten alten Akropolis-Museum stumm; nun ist es, als würden sie nach über zweieinhalb Jahrtausenden wieder zu sprechen beginnen. Indes bewirken die weiten Fensterfronten, dass weiches Tageslicht die Skulpturen modelliert. Gleichzeitig rahmen sie die Stadt Athen immer wieder neu und beziehen sie so selbst in das Museum mit ein - vom Chaos zur Abstraktion. Und es ist auch die Helligkeit, die einen im Museum gefangen nimmt: hell die Kalkstein- und Marmorskulpturen, unaufdringlich der Sichtbeton, hell die Stadt draußen, die sich unter dem blauen Sommerhimmel bis zum Hafen von Piräus erstreckt.

    Ihre wichtigste Rolle erfüllen die breiten Glasfronten aber im letzten Stockwerk des Museums, das ganz dem Parthenonschmuck gewidmet ist. Den direkten Bezug zum Parthenon schafft Tschumi, indem er dieses letzte, ganz verglaste Stockwerk leicht um die eigene Achse dreht, um es genau am Parthenon auszurichten. Die Konstruktionskolonnen fungieren diesmal als Ausstellungsgerüst, das genau den Umfang der Cella des Parthenon hat. Hier also - und in direktem Sichtbezug zur Akropolis - sind Fries und Metopen inszeniert. Man hat sich entschlossen, die in Griechenland verbliebenen Originale durch Kopien der Stücke zu ersetzen, die sich heute in London befinden. Um die Einheit der Erzählung zu gewährleisten, heißt es, aber sicher auch, um der Forderung nach Wiedervereinigung des Kunstwerks Nachdruck zu verleihen, was in der Form gar nicht nötig gewesen wäre.

    Großbritannien zeigt sich zwar ostentativ unbeeindruckt von der Museumseröffnung, die meisten der zum Staatsakt geladenen Gäste aus London sagten ab, während der letzte, inoffizielle Vorschlag war, Metopen und Parthenonfries für drei Monate nach Athen auszuleihen, unter der Bedingung, dass man dort Großbritannien als rechtmäßigen Eigner der Antiken anerkenne. Griechenland lehnte ab. Doch mit dem beeindruckenden, lichtdurchfluteten Ausstellungsraum im neuen Akropolis-Museum, der die entsprechende Galerie im British Museum alt aussehen lässt, hat Griechenland nun einen Trumpf in der Hand.