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Aufführung von "Unendlicher Spaß" in Berlin
Epochenroman als unterhaltsame Verharmlosung

Der Roman "Infinite Jest" ("Unendlicher Spaß") von David Foster Wallace, der 1996 in den USA erschien, gilt eigentlich als unlesbar. Regisseur Thorsten Lensing findet, dass der Roman sogar als Bühnenstück funktioniert.

Von Eberhard Spreng | 26.02.2018
    Devid Striesow, Ursina Lardi in "Unendlicher Spaß" in Berlin
    Devid Striesow, Ursina Lardi in "Unendlicher Spaß" in Berlin (David Baltzer, Agentur Zenit)
    Lange lässt Hal Incandenza die Prüfungskommission für die Aufnahme an der Universität ohne eine Antwort auf deren immer dringlichere Fragen. Vermutet wird, seine Bewerbungsunterlagen könnten getürkt sein. Irgendwann bricht der 18-Jährige sein Schweigen, und dann strömt die Sprache wie eine unkontrollierte Logorrhö aus ihm hinaus.
    "Ich studiere und lese. Wetten, dass ich genauso viel gelesen habe wie Sie. Hochverehrte Professoren, das können Sie mir ruhig glauben, ich verschlinge ganze Bibliotheken. Meine Instinkte bezüglich Syntax und Technik sind mit Verlaub besser als Ihre, aber es geht weit über Technik hinaus."
    Ursina Lardi spielt die zentrale Figur des opulenten Romans in einem leicht modifizierten Tennisdress und Tennisschuhen mit hohen Sohlen. Wie ein gestelltes Reh schaut sie verstört ihre Gesprächspartner an.
    Lustiges Sprachschaulaufen
    Sie und all die anderen von ihr und ihren fünf Schauspielkollegen verkörperten Figuren werden in genau 3 Stunden, 52 Minuten und 48 Sekunden mithilfe der Sprache den verzweifelten Versuch unternehmen, sich ihrer Existenz auf der Erde zu versichern.
    In Wallace’ Epochenroman tun sie dies innerhalb einer dystopischen Welt, die es mit ihrer Medientechnologie und einem allumfassenden hedonistischen Kapitalismus auf die letzten Reste autonomen Menschseins abgesehen hat. Diese Menschen können gar nicht mehr sicher sein, ob sie überhaupt noch Subjekte im klassischen Sinne sind. Regisseur Thorsten Lensing lässt diese im übrigen auch ökologisch kaputte Welt außen vor und so auch die Dialektik von innerer und äußerer Zerstörung. Seine Figuren sind ganz Theater, die vor einer undurchdringlichen Stahlwand, die die Bühne quer nach hinten begrenzt, zum lustigen Sprachschaulaufen antreten, wie Devid Striesow, der Hals älteren Bruder Orin spielt, einen Womanizer mit einem Hang zu spöttischer Verachtung:
    "Ich kann Lust nur spenden, aber nicht empfangen, und darum halten mich verachtenswert viele für einen wunderbaren Liebhaber, für einen Traumprinzen geradezu, was meine Verachtung nur weiter schürt. Meine Verachtung kann ich aber nicht zeigen, denn das würde die Lust des Subjekts nur schmälern."
    Sexsüchtig der eine, anderweitig drogenabhängig die anderen. Lensing hat dem Motiv- und Themengestrüpp des Romanmonsters nur einige Handlungsstränge entnommen. So ist von Hals Trauma die Rede, als er dreizehnjährig den Vater zuhause auffindet, der sich umgebracht hat, oder vom Trauma der Totgeburt, das eine Cracksüchtige erlebt, mit der Jasna Fritzi Bauer an dem Abend ihren wohl eindruckvollsten Auftritt hat. Erzählt wird auch von den Entstellungen, die Mario Incandenza seit seiner Geburt mit sich herumträgt, die in ihrer Naivität und ihrem Anlehnungsbedürfnis vielleicht berührendste Figur der Aufführung. André Jung spielt sie.
    Unterhaltsame Verharmlosung
    Unentwegt suchen sich diese Menschen im anderen, weil sie sich in sich selbst nicht mehr finden und fast immer ist das Mittel dieses Versuchs - die Sprache - selbst schon so zerstört, dass kaum mehr als Anteilsheuchelei und das billige Heilsversprechen übrig bleiben. Vor allem bei den anonymen Alkoholikern, gegen deren billiges Gottesbild Don Gately anwettert.
    "Eure pathologische Offenheit, die ist ungefähr so attraktiv wie ein Tourette-Syndrom. Ihr widert mich an, mit eurer ekelhaften Demut. Ich wünsch euch alle erdenklichen Unfälle an den Hals."
    Wenig später wird Heiko Pinkowski als Don Gately dann noch sagen, dass er beim Beten nicht nur nichts spürt, sondern regelrecht das Nichts. Während fast alle anderen die Komik ihrer Figuren mit heftiger Gestik behaupten, allen voran Devid Striesow mit an Schmierantentum grenzendem Furor, bleibt der massige Heiko Pinkowski wie eine Fixpunkt, ein Versprechen auf eine vielleicht doch wieder zu erlangende Autonomie des Subjekts.
    Dem Menschsein inmitten der entfesselten Postmoderne einmal nicht mit Ironie und Zynismus zu begegnen, hat man dem Roman 1996 hoch angerechnet. Ein Epochenroman, von ihr getränkt und sie zugleich überwindend. Jetzt sind mehr als 20 Jahre vergangen und die Apologeten der postmodernen Diskurse führen Rückzugsgefechte gegen die "neuen Realisten", die ihnen manchmal sogar vorwerfen, für den Populismus verantwortlich zu sein. Lensing verrammelt sich vor all den neuen Fragen im guten alten Theater. Seine Schauspieler sind dermaßen eins mit sich, dermaßen zugegeben gekonnt mit dem Herstellen von boulevardesker Komik befasst, dass ihren Figuren fast alles verloren geht, was wirklich berühren könnte oder uns helfen, den Menschen zu verstehen. Und der Blick auf dessen existentielle Zerstörtheit tut sich viel zu selten auf. Vielleicht darf man Lensings "Unendlichen Spaß" eine unterhaltsame Verharmlosung nennen.