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"Aufgeben, das wäre das politische Knockout für Obama"

Wenn die Haushaltsblockade in den USA noch Wochen oder Monate dauert, sind auch hierzulande die Folgen zu spüren, sagt Dirk Müller, Geschäftsführer der US-Handelskammer in Deutschland. Besonders deutsche Zulieferer für Baumaßnahmen wären betroffen. Die Hartnäckigkeit von Präsident Barack Obama in der Sache sei aber verständlich.

Dirk Müller im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 02.10.2013
    Friedbert Meurer: Seit gestern Morgen sind Hunderttausende Angestellte der Regierung in den USA praktisch ausgesperrt. Der Kongress bewilligt kein weiteres Geld mehr für den Haushalt, also werden jetzt viele gegen ihren Willen und ohne Bezahlung vorübergehend freigestellt und beurlaubt. Gestern Abend gab Präsident Barack Obama eine Erklärung vor dem Weißen Haus ab. Er will nicht auf die Reform der Krankenversicherung verzichten. Genau das aber wollen ihm die Republikaner abpressen.

    Noch hat das Gezerre dort keine größeren Auswirkungen auf die Märkte weltweit. Die Börsen reagieren gelassen, die Finanzprofis scheinen eher abzuwinken und halten das Verhalten im Kongress für politisches Schaulaufen. Aber was geschieht, wenn Mitte des Monats die Schuldenobergrenze der USA erreicht ist? Können wir dann immer noch sagen, das alles tangiert und berührt uns nicht? – Tobias Armbrüster hat diese Frage gestern gestellt an Dirk Müller, den Geschäftsführer der American Chamber of Commerce in Deutschland, der US-Handelskammer mit Sitz in Frankfurt.

    Dirk Müller: Nein, das sehen wir schon etwas anders. Das ist sehr bedenklich, wenn dieser Shutdown länger dauert. Ein, zwei, drei Tage, das haben wir schon mal erlebt früher, aber wenn es länger dauern sollte, ist es nicht nur eine politische Lähmung, sondern dann hat es auch Auswirkungen auf das Sozialprodukt der USA und damit auch auf uns.

    Tobias Armbrüster: Welche Auswirkungen meinen Sie?

    Müller: Ja das ist das sogenannte Goverment Spending. Das heißt, die Ausgaben des Bundes, des Bundes der Vereinigten Staaten, Washington, die werden dann ja zurückgehalten teilweise, in Investitionen, aber auch in Konsumausgaben, und das führt zu vermindertem Umsatz der beteiligten Firmen, die liefern wollen, die Aufträge erwarten von der Regierung.

    Armbrüster: Wo, in welchen Bereichen könnten Sie sich da am ehesten Konsequenzen vorstellen?

    Müller: Ja das sind natürlich erst mal Infrastrukturaufgaben, die auch deutsche Firmen betreffen als Zulieferanten in allererster Linie für Baumaßnahmen. Militär soll ja angeblich ausgespart werden. Aber insgesamt gesehen, wenn das Sozialprodukt dadurch einknicken sollte, knickt ja auch die Stimmung ein an der Wall Street. Dann sagt man, das ist nicht gut, das Verbrauchervertrauen knickt wieder ein, weil die Leute vielleicht nicht ordentlich bezahlt werden, und wenn das Vertrauen einknickt, dann knickt die Wirtschaft auch hinterher noch mal extra ein, zusätzlich.

    Armbrüster: Ist das, was wir hier erleben, auch, wenn man es mal scharf sagen würde, ein Armutszeugnis für das politische System in den USA?

    Müller: Nein, das kann man so nicht sagen. Wir haben ja auch eine Blockade zwischen Bundesrat und Bundestag manchmal, allerdings nicht gerade in Haushaltsfragen, aber in anderen politischen Fragen. Das Stichwort Blockade, das kenn wir Deutschen ja nun auch aus parteipolitischen Gründen. Bei welcher Regierung auch immer haben wir das schon häufiger erlebt in den letzten 10, 20 Jahren.

    Armbrüster: Na ja. Aber dass bei uns tatsächlich eine Verwaltung deswegen dichtmachen würde, das gibt es nicht. Das ist eigentlich ausgeschlossen.

    Müller: Nein, das nicht. Nein, soweit geht das nicht. Da sind wir natürlich gesetzlich verpflichtet. Aber Blockade der zwei Kammern, das ist ja für uns auch nichts Neues.

    Armbrüster: Aber ich meine, ist das nicht sozusagen ein Tiefpunkt oder ein Punkt, an dem man überlegen müsste oder an dem die Politiker in den USA möglicherweise überlegen müssten, dieses System sollte man eventuell reformieren?

    Müller: Ja die werden das so wenig reformieren, wie wir unsere Verfassung mit Bundesrat und Bundestag reformieren werden. Hier ist auch die Besonderheit der Grabenkriege, der Verbitterung in der politischen Frontlinie zwischen den Befürwortern der Gesundheitsreform, den Demokraten im Wesentlichen, und dem rechten konservativen Flügel der Republikaner, der sogenannten Tea Party, die sehr, sehr polarisierend auftreten und sagen, diese Gesundheitsreform brauchen wir nicht, und um das auszuhebeln, blockiert man eben halt den Bundeshaushalt, was ja einen gewissen Druck dann bedeutet.

    Armbrüster: Das ist ja jetzt die allgemeine Linie, dass gesagt wird, die Tea Party, die sei einfach zu dickköpfig, zu verbohrt. Trifft das denn nicht vielleicht auch auf Präsident Obama zu?

    Müller: Ja. Er hat natürlich seine Gesundheitsreform in sein Wahlprogramm reingeschrieben, hat das ja auch im Wesentlichen schon mal durchbekommen. Nun braucht er weitere Unterstützung auch für Regierungsgelder, für Haushaltsgelder. Das ist ein Kernstück seiner Reformpolitik. Das kann er nicht guten Gewissens aufgeben. Er hat ja schon Kompromisse machen müssen vor einiger Zeit. Aber Aufgeben, das wäre das politische Knockout für Obama innenpolitisch. Das kann er nicht wollen.

    Armbrüster: Sie haben jetzt schon gesagt, ein paar Tage dieses Shutdowns, das wäre nicht schlimm und würde sich auch nicht weiter auswirken. Ab wie vielen Tagen, würden Sie denn sagen, könnte es auch bei uns in Deutschland ernsthafte Konsequenzen geben?

    Müller: Ja das ist ein schleichender Prozess, der sehr, sehr indirekt vonstattengeht. Wir hoffen natürlich, dass es innerhalb von zehn Tagen, einer Woche vielleicht zu einer Lösung kommt, einer Kompromisslösung. Allerdings kommt die nächste Herausforderung ja Mitte Oktober mit der Erweiterung der Schuldenobergrenze. Das ist die andere Geschichte, die wieder vor uns steht. Dann wird ein politischer Kompromiss hoffentlich angestrebt werden. Unsere Auswirkungen auf uns, die werden wir erst sehr viel verspätet spüren, indirekt spüren, wenn gewisse Auftragseingänge sich leicht reduzieren und wenn das Wirtschaftswachstum der USA sich um vielleicht 0,3, 0,5 Prozent reduzieren sollte. Das wird aber nur – und dann sind wir auch betroffen – passieren, wenn das wirklich Wochen oder ein, zwei Monate dauert.

    Armbrüster: Was sind denn die Konsequenzen dieser Zahlungsunfähigkeit, die dann möglicherweise Mitte des Monats droht?

    Müller: Die Konsequenzen sind, dass die Regierungsausgaben ja gestoppt werden in vielen Bereichen, die nicht sicherheitsrelevant sind. Das sind nicht nur die berühmten Nationalparks, das geht auch tief rein in die Verwaltung. Militär als solches ist ja, aber nur der militärische Teil, nicht der Verwaltungsteil, in der Abteilung Department of Defense betroffen, sodass wir wirklich davon ausgehen müssen, dass bestimmte Projekte, Bauprojekte nicht stattfinden werden, Investitionen werden nicht stattfinden und viele, viele Millionen Amerikaner, die im Staatsdienst sind, die im Bundesstaatsdienst sind, bekommen kein Gehalt. Das ist auch nicht nur bitter persönlich, sondern das sind auch wieder Konsumenten.

    Armbrüster: Wie ist das denn in Ihrer Organisation, in Ihrer Handelskammer? Melden sich da jetzt jede Menge deutsche Unternehmen, die nachfragen, was müssen wir beachten, was müssen wir tun?

    Müller: Nein. Das ist eigentlich noch zu früh. Wir hoffen ja alle und glauben an das Gute, auch in den USA, und die Vergangenheit hat gezeigt, dass man irgendwann auch mit dem öffentlichen Druck in den USA zu einem Kompromiss kommen wird. Hier sind die Medien in den USA ja auch ein sehr großer Machtfaktor und der Druck auf die Beteiligten wird wachsen und es kommt darauf an, ob sich innerhalb der Republikanischen Partei Kräfte finden, die dann doch kompromissbereit sind mit Obama.

    Armbrüster: Das Ganze ist ja, wenn ich Sie richtig verstehe, eine durchaus massive Bedrohung, auch für die US-Wirtschaft, wenn vielleicht nicht jetzt im Augenblick, aber möglicherweise im Laufe der nächsten Wochen. Rechnen Sie denn damit, dass auch die amerikanischen Unternehmen Druck ausüben werden auf die Politiker in Washington?

    Müller: Natürlich! Das geschieht aber nicht in der Öffentlichkeit, das geschieht hinter verschlossenen Türen, dass man wirklich den Parteien – man ist ja auch Sponsor für die Parteien, man hat ja auch Wahlkampfgelder gestiftet -, dass man den Abgeordneten und Parteien sagt, bitte einigt euch langsam mal, zum Schluss ist es zum Schaden aller und wir können diese parteipolitischen Streitigkeiten nicht weiter akzeptieren, wir ziehen damit auch unsere ganze Volkswirtschaft herunter. Dieser Druck wird ausgeübt, aber nicht öffentlich in der Regel.

    Meurer: Dirk Müller von der American Chamber of Commerce in Deutschland im Gespräch mit meinem Kollegen Tobias Armbrüster.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.