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"Aufgeregt und überstürzt"

Die rund 1000 Mitarbeiter des Eon-Kernkraftwerks Isar seien "maßlos enttäuscht" von der schwarz-gelben Kehrtwende in der Atompolitik, berichtet der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Norbert Islinger. Ihre Arbeitsplätze stünden jedoch zunächst nicht zur Disposition.

Norbert Islinger im Gespräch mit Peter Kapern | 30.06.2011
    Peter Kapern: Das viel beschworene Ende der Geschichte wird wohl auch diesmal nicht erreicht, aber dennoch: es ist eine Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik, wenn heute nach Jahrzehnten erbitterter Auseinandersetzungen das Schicksal der Atomenergie besiegelt wird - noch einmal besiegelt wird, muss man genau genommen sagen, denn schließlich hat es schon einmal einen Ausstiegsbeschluss gegeben. Die Atomkraftdebatte soll ihren Abschluss finden heute im Bundestag mit der Abstimmung über ein Gesetzespaket, das den Ausstieg besiegelt und die sogenannte Energiewende auf den Weg bringt. Bei uns am Telefon ist nun Norbert Islinger, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Eon-Kernkraftwerke Isar in der Nähe von Landshut in Bayern. Guten Tag!

    Norbert Islinger: Guten Tag, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Islinger, Sie haben es gehört: Der Bundestag besiegelt jetzt gerade den Atomausstieg. Wir haben noch gehört, wie die Abgeordneten mit der Klingel zur Abstimmung gerufen wurden. Was geht Ihnen heute durch den Kopf?

    Islinger: Mir geht durch den Kopf, dass sich die Politik zu einer Entscheidung hinreißen ließ, die aufgeregt und überstürzt aufgrund der Ereignisse in Japan sich ergeben hat. Wir verstehen, oder ich verstehe diese Entscheidung auf keiner technischen Basis begründet und unsere Kollegen und Kolleginnen an den Standorten in den Kernkraftwerken auch nicht mehr.

    Kapern: Aber die Bundeskanzlerin hat doch gesagt, dass Fukushima völlig neue Erkenntnisse über die Sicherheit der Kernkraft erbracht habe.

    Islinger: Ja. Fukushima liegt in Japan und ist in einem Gebiet, wo Tsunami und Erdbeben zugleich auftreten können, was wir gesehen haben, dass die Naturkatastrophe letztendlich dieses schreckliche Ereignis nach sich gezogen hat, was wir in Deutschland ja nicht zu erwarten haben.

    Kapern: Also überhaupt nicht zu vergleichen mit der Situation hier, meinen Sie?

    Islinger: Das ist nicht vergleichbar. Und die RSK hat ja auch in ihrer technischen Überprüfung letztendlich festgestellt, dass die deutschen Anlagen einen sehr hohen Robustheitsgrat haben und es keine technische Begründung gibt, dass man hier eine solche Reaktion bezüglich der Kernenergie und der Energieversorgung an den Tag bringt.

    Kapern: Gleichwohl war die Kernenergie in Deutschland ja immer massiven Protesten und Auseinandersetzungen ausgesetzt. Da sind Sie in den letzten zehn Jahren geradezu durch ein Wechselbad der Gefühle gegangen: Erst 2000 der Ausstieg, 2010 der Ausstieg aus dem Ausstieg und nun wieder "kehrt marsch". Wie reagieren Ihre Kollegen darauf?

    Islinger: Unsere Kollegen und Kolleginnen an den Standorten sind natürlich maßlos enttäuscht. Die schwarz-gelbe Regierung hat ja einen Wählerauftrag bekommen und auch mit der Laufzeitverlängerung für die Kernkraftwerke und für eine sichere Energieversorgung in Deutschland. Also was sie jetzt vorantreibt - ich weiß nicht, ob das der Weg ins Paradies sein soll, also in ein rot-grünes Paradies. Das wird die Landschaft in Deutschland erheblich verändern und auch eventuell die Versorgungssicherheit für die Industrie hier sehr gefährden.

    Kapern: Glauben Sie, dass in ein paar Jahren der Strom nicht mehr aus der Steckdose kommt?

    Islinger: Aus der Steckdose wird er immer kommen, egal wo er herkommt, aus Frankreich, oder aus anderen Ländern, oder aus der Erzeugungskapazität in Deutschland.

    Kapern: Sie arbeiten in den Atomkraftwerken Isar, das sind zwei. Isar I ist 1979 in Betrieb genommen worden und seit März schon stillgelegt. Isar II ging neun Jahre später, also 1988 ans Netz und soll, wenn ich die Zahl richtig im Kopf habe, noch bis 2022 laufen. Wie viele Arbeitsplätze gibt es da eigentlich und wie viele stehen da jetzt zur Disposition?

    Islinger: Bei uns sind hier am Standort circa 700 Mitarbeiter beschäftigt und dann noch circa 300 Mitarbeiter von Fremdfirmen und Partnerfirmen, die ständig hier am Standort ihre Arbeit haben. Zurzeit stehen ja keine Arbeitsplätze zur Disposition, aber man muss einmal schauen, wie sich das alles fortentwickelt. Wir gehen davon aus, dass wir natürlich 100 Prozent Arbeitsplatzsicherung eventuell hinkriegen, aber das ...

    Kapern: Aber für welche Arbeit, Herr Islinger, wenn das eine der beiden Atomkraftwerke überhaupt nicht mehr ans Netz geht?

    Islinger: Wir haben ja Arbeit, auch wenn ein Kraftwerk im Stillstandsbetrieb oder im Danach-Kühlbetrieb ist. Und ein Kraftwerk läuft ja zu 100 Prozent Leistung und trägt zur sicheren Stromerzeugung noch in Deutschland oder in Bayern bei. Es heißt ja nicht, wenn ein Kraftwerk vom Netz genommen wird, dass hier die Arbeit einfach abrupt endet. Das ist nicht so. Diese ganzen systemtechnischen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, genauso Wartungsarbeiten und einfach sicherer Nachkühlbetrieb gewährleistet sein. Es muss überwacht werden und auch bestimmte Auflagen erfüllt werden.

    Kapern: Ist es eigentlich denkbar, dass die jüngeren Kollegen vor Ort sich jetzt schon nach was anderem umschauen, wenn doch die Atomenergie keine langfristige Perspektive für den Arbeitsplatz mehr bietet?

    Islinger: Es wird sich sicher in den nächsten Monaten hier herauskristallisieren, dass sich jüngere Kollegen eventuell in der Wirtschaft um andere Arbeitsplätze umsehen. Das ist noch nicht absehbar, es ist bis jetzt noch nicht erkennbar, weil ja auch die ganzen politischen Rahmenbedingungen noch nicht geschlossen sind, und da muss man auch sehen, wie wir das personalpolitisch hier letztendlich lösen können. Wir können momentan auf niemand verzichten, wir brauchen unser Personal, dass wir alle Arbeiten, die anfallen, und alle Überwachungstätigkeiten sicherheitstechnisch wichtig und verantwortungsvoll weiterhin betreiben können.

    Kapern: Etwa 1000 Menschen verdienen also dort an den Kraftwerksstandorten ihre Brötchen. Was denken Sie, wie viele von denen hoffen, dass der Atomausstieg vielleicht wieder nicht endgültig ist?

    Islinger: Ich denke, in den Köpfen von unseren Kolleginnen und Kollegen ist dieser Atomausstieg besiegelt. Es ist nicht nachvollziehbar, dass sich hier noch mal eine Wende abzeichnen könnte. Man hört ja aus der Politik, dieses Gesetz, was jetzt verabschiedet wird oder von heute an zum 7. oder 8. Juli, wenn es konkret verabschiedet werden soll, dass das hier nicht mehr rückgängig gemacht wird.

    Kapern: Norbert Islinger war das, der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Eon-Kernkraftwerke Isar in der Nähe von Landshut. Herr Islinger, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Islinger: Herr Kapern, ich danke auch für das Gespräch. Auf Wiederhören!