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Aufklärung mit Geschichten aus dem wahren Leben

Das Schauspiel "Emilia Galotti" zählt zu den meist gespielten Stücken auf deutschen Bühnen. Das Drama Gotthold Ephraim Lessings um die unglückliche Bürgerstochter, die lieber stirbt als vom Prinzen verführt zu werden, zeugte in seiner Zeit vom neuen Selbstbewusstsein des Bürgerstandes gegen die Feudalherrschaft.

Von Eva-Maria Götz | 13.03.2007
    Die Uraufführung der "Emilia Galotti" am 13. März 1772 in Braunschweig findet ohne den Autor statt. Der studierte Theologe, der spitzzüngige Journalist, der erste Theaterdramaturg und freischaffende Dichter hat während der Arbeit an dem Drama in Hamburg vergeblich versucht, das erste Deutsche Nationaltheater zu etablieren und sich schließlich resigniert als Bibliothekar ins Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel zurückgezogen.

    "Ich konnte weder vor noch zur Seite rücken, so gerne ich auch wollte, aber es währte nicht lange, so hörte ich ganz nah an meinem Ohr nach einem tiefen Seufzer, meinen Namen: Emilia."

    Ausgerechnet die Morgenandacht nützt der Prinz Gonzaga, um die ebenso schöne wie tugendhafte Bürgerstochter zu verführen. Emilia, deren Hochzeit mit dem veramten Grafen Appiani unmittelbar bevorsteht, flieht aus der Kirche. Doch sie hat keine Chance. Der Prinz, angestachelt durch seinen intriganten Berater Marinelli, lässt ihren Bräutigam töten und entführt Emilia auf sein Landschloss. Aber auch die Rechnung des Prinzen geht nicht auf: Emilia bringt ihren Vater dazu, sie zu ermorden, bevor sie die Geliebte des Prinzen wird.

    "Ich bin aus Fleisch und Blut. Auch meine Sinne sind Sinne."

    Es ist eine alte Geschichte, auf die Lessing zurückgreift. Zum ersten Mal erzählte sie der römische Historiker Titus Livius. In seiner Version der Legende kommt es nach dem väterlichen Mord zum erfolgreichen Volksaufstand gegen den selbstherrlichen Entführer Appius Claudius. Lessing hingegen plant zunächst ein unpolitisches Stück. Im Jahr 1758 schreibt er an den Berliner Verleger Friedrich Nicolai:

    "Er, der junge Tragikus, hat nämlich die Geschichte der römischen Virginia von all dem abgesondert, was sie für den ganzen Staat interessant machte; er hat geglaubt, dass das Schicksal einer Tochter, die von ihrem Vater umgebracht wird, dem ihre Tugend werther ist als ihr Leben, für sich schon tragisch genug und fähig genug sei, die ganze Seele zu erschüttern, wenn auch gleich kein Umsturz der (ganzen) Staatsverfassung darauf folgte."

    Lessing geht es um die Entwicklung des bürgerlichen Dramas, einer neuen Theaterform, die er dem französischen Regelkanon entgegensetzen will. Der tragische Stoff birgt alles, was für Lessing zu einem mitreißenden Schauspiel gehört. Und mitreißen will der Dichter, mehr noch, sein Publikum zur Katharsis führen, ganz der klassischen Dramaturgie des Aristoteles verpflichtet. In seiner Streitschrift "Hamburgische Dramaturgie" schreibt er:

    "Wozu die saure Arbeit der dramatischen Form? Wozu ein Theater erbauet, Männer und Weiber verkleidet, Gedächtnisse gemartert, die ganze Stadt auf einen Platz geladen, wenn ich mit meinem Werke und mit der Aufführung derselben weiter nichts hervorbringen will als einige von den Regungen, die eine gute Erzählung, von jedem zuhause in seinem Winkel gelesen, ungefähr auch hervorbringen würde.

    Die dramatische Form ist die einzige, in welcher sich Mitleid und Furcht erregen lässt, wenigstens können in keiner anderen Form diese Leidenschaften auf einen so hohen Grad erreget werden."

    Sein Theater soll die Zuschauer aufklären mit Geschichten, die sie direkt etwas angehen, mit Protagonisten, die gleich ihnen der bürgerlichen Schicht entstammen und mit denen sie sich identifizieren können. Lessing, der zuvor schon mit dem Stück "Miss Sara Sampson" das erste bürgerliche Trauerspiel und mit "Minna von Barnhelm" die erste deutsche Komödie schrieb, setzt sich abermals an die Spitze der Avantgarde: Er dekliniert die Abhängigkeit der bürgerlichen Schicht gegenüber der Feudalherrschaft bis zum tödlichen Ende durch. Doch das Stück wird zunächst kein Erfolg: Die verzweifelte Atemlosigkeit des Dramas erregt beim zeitgenössischen Publikum mehr Heiterkeit als Mitleid. Bald jedoch wird der gesellschaftliche Sprengstoff der "Emilia Galotti" begriffen. Für Johann Wolfgang Goethe ist das Drama:

    "Der entscheidende Schritt zur sittlich erregten Opposition gegen die tyrannische Willkürherrschaft. Wir jungen Leute ermutigten uns daran und wurden Lessing deshalb viel schuldig."

    Inzwischen gehört die "Emilia Galotti" zu den meist gespielten Stücken auf deutschen Bühnen, die Unbedingtheit und Charakterstärke der Titelrolle spricht das Publikum immer noch an. Regine Zimmermann, seit mehr als 100 Vorstellungen gefeierte "Emilia" am Deutschen Theater Berlin:

    "Emilia glaubt eben noch an die große Liebe und ist bereit, dafür zu sterben, wirklich super-altmodisch, aber ich glaube trotzdem, dass es heute auch noch solche Gefühle gibt oder dass man sich danach sehnt."