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Aufklärungsschrift
Angst vor dem Fremden und die Geschichte dahinter

Der emeritierte Professor Erhard Oeser hat sich in seinem Buch an die Erklärung des Phänomens gewagt, das zunehmend in der Öffentlichkeit debattiert wird: der Angst vor dem Fremden. Der frühere Philosophie-Professor unternimmt einen Streifzug durch die Geschichte der Xenophobie - von der Antike bis heute und liefert Argumente für die aktuelle Debatte.

Von Catrin Stövesand | 17.08.2015
    Rechtsradikale Schmierereien an einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Vorra
    Rechtsradikale Schmierereien an einer Flüchtlingsunterkunft im bayerischen Vorra (imago/epd)
    Erhard Oeser fordert - wie viele - einen Dialog der Kulturen, vorbehaltlos und friedlich. Es gehe darum, die anderen Kulturen zu verstehen sowie das Selbstverständnis zu hinterfragen und zu korrigieren. Denn das Eigene für das Bessere zu halten, zieht sich nach seinen Ausführungen als roter Faden durch die Geschichte der Fremdenfeindlichkeit.
    Dabei ist die Angst oder Scheu vor dem Fremden zunächst etwas biologisch Notwendiges, ein Schutzmechanismus, der lebensrettend sein kann. Dieser Mechanismus müsse sich jedoch nicht notwendigerweise zu Rassismus steigern, stellt Erhard Oeser klar:
    "Diese Fremdenfeindlichkeit, die uns heutzutage so betroffen macht, vor allem diese speziellen Formen der Xenophobie, wie sie heute auftreten als Araberphobie, Islamophobie oder sogar Negrophobie - alles das ist durch eine historische Analyse und Rekonstruktion zu erkennen und vor allem jene Wendepunkte, an denen diese normale Angst vor Fremden umschlägt in Fremdenhass und Fremdenfeindschaft und zu aggressiven Vorstellungen von der Vernichtung des Gegners führt."
    Oeser beginnt seine Analyse mit der griechischen Antike, führt aus, wie man damals Fremde ausgrenzte und abwertete, wie sich Feindschaften zwischen Völkern entwickelten und fortsetzten. Im alten Rom sah es nicht anders aus:
    "Augustus war nicht nur derjenige, der Fremdenausweisungen in großem Stil verfügte, sondern er 'hielt es auch für sehr wichtig, das Volk unverfälscht zu erhalten und durch keine Vermischung mit fremdem oder Sklavenblut zu verderben. Daher verlieh er das Bürgerrecht nur sehr sparsam.'"
    Der österreichische Wissenschaftler verfolgt die Blutspur der Eroberer, der Weltentdecker und des Kolonialismus. Er nimmt den Leser mit auf eine Zeitreise nach China und Japan, die sich lange - und zwar mit Gewalt - abschotten konnten, dann zu Missionierung und Sklavenhandel in Afrika und schließlich zu Rassismus und Nationalismus in Europa.
    Verhältnis zwischen Morgenland und Abendland
    Den Schwerpunkt legt Oeser auf das Verhältnis zwischen Morgenland und Abendland, also zwischen muslimisch und christlich geprägter Welt. Denn Xenophobie sei im heutigen Europa zumeist Islamophobie. Der Hauptgrund dafür sei der islamisch motivierte Terrorismus. Allerdings würden dadurch auch islamische Migranten wie Mitbürger häufig als Bedrohung, zumindest als wirtschaftliche Bedrohung wahrgenommen.
    Damit auch der Leser das Fremde, Andere versteht, bekommt er einen Abriss der Geschichte des Islam, der Spaltung in Sunniten und Schiiten und der Folgen. Der Jahrhunderte lange Konflikt zwischen Islam und Christentum samt Kriegen und Kreuzzügen habe verzerrte Bilder auf beiden Seiten entstehen lassen, erläutert der Autor:
    "Und zwar geht es darum, dass man von sich selbst behauptet hat in der christlichen Tradition, das wäre eine Religion des Friedens, und der Islam ist eine Religion der Gewalt. Und das ist eine Verzerrung von Positionen, die man insofern korrigieren muss, als man die reale Geschichte der Kulturen betrachtet. Und da zeigt sich, dass diese als friedsam bezeichnete christliche Religion Untaten und Gräueltaten, Vernichtungsstrategien durchgeführt hat, wie sie auch der Islamische Staat heute nicht radikaler zustande bringt."
    Im letzten Teil kommt Oeser auf Islamismus und Terrorismus zu sprechen. Zudem schreibt er über die Integrationsprobleme in europäischen Staaten, von Parallelgesellschaften und den Fehlern der Aufnahmeländer, wobei er argumentativ Wilhelm Heitmeyer folgt, der den Begriff Parallelgesellschaft in den 1990er-Jahren aufgebracht hat.
    "Diese parallelen Subgesellschaften sind meist nicht von selbst entstanden, sondern nehmen ihren Ausgang in den ökonomischen und sozialen Krisen der Mehrheitsgesellschaft. Während es bei den normalen Steuerzahlern Proteste gegen Einsparungen, Steuererhöhungen und Arbeitsplatzknappheit gibt, wird von den Politikern an der Spitze der Gesellschaft zur Ablenkung von diesen Missständen die Debatte über Werte und eine christliche Leitkultur wieder belebt. Damit wachsen feindselige Emotionen, die sich gegen schwache Gruppen richten, die ihrerseits mit Abwehr, Distanz, Rückzug oder aufgrund ihrer schwachen Position mit verdeckter oder offener Aggression reagieren."
    Was ist also zu tun? Erhard Oeser verweist auf die universalen Wissenschaften. Erkenntnisse und Entdeckungen würden international ausgetauscht und anerkannt. Auf diesem Gebiet gebe es eine Jahrhunderte alte Tradition. So hätten die Araber die Lehren der griechischen Philosophie übernommen, die Christen wiederum die medizinischen Erkenntnisse der Mauren.
    Nach diesem Muster solle man sich auf einen Konsens für die universalen Menschenrechte einigen. Dass das nach Utopie klingt, ist Oeser durchaus bewusst.
    "Es gibt zwar Bemühungen dieser Art, die aber insofern scheitern, als man die Menschenrechte anders interpretiert. Ein radikales Beispiel ist die Vorstellung der islamischen Doktrin von den Menschenrechten, die überlagert wird durch die Scharia. Dadurch treten innerhalb dieses Konzepts Menschenrechtsverletzungen auf, in Strafprozessen etwa Enthauptungen und Auspeitschungen. Oder auch in dem Verhältnis von Mann und Frau. Durch das religiöse Recht wird dieser Unterschied gefördert und nicht verhindert."
    Die Hindernisse für seine Vision sind dem früheren Philosophie-Professor demnach sehr präsent, nur: Dem Kulturpessimismus zu verfallen, kommt für ihn einfach nicht in Frage.
    Das umfangreiche und detailgespickte Buch ist eine gelungene Aufklärungsschrift. Mit viel Fingerspitzengefühl nähert sich Erhard Oeser religiösen Auffassungen, während er Vorurteile und Abwertung präzise entlarvt und auch schonungslos verurteilt. Dabei versucht er nicht zu bevormunden, sondern Alternativen aufzuzeigen. Er greift auf die Maurophilie der europäischen Dichter und Denker zurück und schildert, wie selbst christliche Missionare sich bemühten, den Koran zu verstehen.
    Oeser liefert keine konkreten Lösungsvorschläge oder Handlungsanweisungen. Der Wert seines Buches liegt in dem sorgfältig und mit pädagogischer Absicht zusammengesetzten Mosaik aus historischen Fehlleistungen wie auch Leistungen. Nach dem Motto: Schaut, so ginge es auch. Oder: Führt euch doch noch mal die Menschheitstheorien Voltaires und Rousseaus vor Augen, und wie man sie missbraucht hat. Auf diese Weise kann das Werk Argumente für die aktuellen Debatten liefern und helfen, jedes Vorurteil zu zerlegen.