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Aufruf gegen Atomwaffen

Schweigemärsche, Fackelzüge und Kundgebungen - keine andere Protestbewegung hat in den Anfangsjahren der Bundesrepublik mehr Menschen mobilisieren können als die gegen die Atombewaffnung. Die Sorge, dass ein gefährliches Wettrüsten einsetzen könnte, hat vor 50 Jahren Hunderttausende auf die Straßen getrieben.

Von Wolfgang Kraushaar | 10.03.2008
    "Wir wollen keine Kernwaffen, wir wollen keine Abschussbasen, wir wollen keine Lagerplätze, und wir wollen Kernwaffen nicht verwenden in welcher Form immer."

    Diese Worte des SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer bringen die Entschiedenheit seiner Partei zum Ausdruck, eine Nuklearbewaffnung der Bundesrepublik verhindern zu wollen. Am 10. März 1958 stellt sein Fraktionskollege Walter Menzel in Frankfurt der Presse die Aktion "Kampf dem Atomtod" vor. Er ist von 40 Prominenten unterzeichnet, darunter Bundestagsvizepräsident Carlo Schmidt, der FDP-Abgeordnete Thomas Dehler, die Schriftsteller Heinrich Böll, Hans Henny Jahnn und Erich Kästner. Im Rundfunk und auf Plakatwänden wird er bundesweit bekannt gemacht.

    "Die Vernichtung kann nicht der Sinn menschlichen Daseins sein. Wir stehen zu dem Wort, das wir an den Schluss des Aufrufes gesetzt haben: Wir werden nicht Ruhe geben, solange der Atomtod unser Volk bedroht."

    Nach den jahrelangen Auseinandersetzungen um die Wiederbewaffnung ist die Parteiendemokratie damit erneut einer schweren Belastungsprobe ausgesetzt. Hauptmotor des von der Bundesregierung eingeschlagenen Atomkurses ist Bundesverteidigungsminister Franz Josef Strauß. Obwohl die Bundesrepublik in den 1954 unterzeichneten Pariser Verträgen ihren Verzicht auf die Herstellung von Atomwaffen zugesichert hat, sucht sie nach Wegen, dieses Produktionsverbot zu umgehen. Dabei kommt ihr zu Hilfe, dass die französische Regierung Ambitionen hat, selbst Atommacht zu werden.

    Im Januar ist Strauß in Bonn mit seinen Amtskollegen aus Frankreich und Italien zusammengetroffen, um über Möglichkeiten eines trilateralen Atomvertrages zu konferieren. Nur wenige Tage später kommt es bei einer Bundestagsdebatte über die Atomrüstung zu einer scharfen Konfrontation zwischen der Bundesregierung und den beiden Oppositionsparteien SPD und FDP. Die heftigsten Vorwürfe muss sich der Bundeskanzler von zwei ehemaligen Kabinettskollegen anhören. Der frühere Bundesjustizminister Thomas Dehler und Ex-Bundesinnenminister Gustav Heinemann werfen der Regierung vor, durch die Ausrüstung der Bundeswehr mit Nuklearwaffen die letzte Chance für eine Wiedervereinigung Deutschlands zu verspielen. Heinemann fordert Adenauer deshalb sogar zum Rücktritt auf.

    Da kaum Aussicht besteht, bei der Abstimmung über die Atombewaffnung die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag anzutasten, bleibt nur die Hoffnung auf eine außerparlamentarische Bewegung. Auf Initiative des SPD-Bundesvorstands sind deshalb im Februar in Bad Godesberg Politiker, Gewerkschafter und Kirchenvertreter zusammengekommen und haben die Kampagne "Kampf dem Atomtod” ins Leben gerufen. In den Wochen darauf folgen dem Aufruf Hunderttausende und beteiligen sich im gesamten Bundesgebiet an Demonstrationen, Schweigemärschen, Fackelzügen und Protestkundgebungen. Ende März kommt es im Bundestag zu einer tagelangen Redeschlacht. Dabei bringt Heinemann seine Bedenken erneut zum Ausdruck:

    "Sie fragen uns, ob wir verantworten wollen, dass die Sowjetunion uns überwinden könnte. Ich frage Sie: Können Sie es verantworten, dass unser aller Selbstmord als die Alternative gegen ein politisches System ins Auge gefasst wird?”"
    Die Regierungsvorlage wird schließlich trotz aller Einwände angenommen und damit einer Atombewaffnung der Bundeswehr im Rahmen der NATO zugestimmt. Zwei Wochen später unterzeichnet Strauß ein Geheimabkommen über die Herstellung von Atomwaffen. Die Vorbehaltsklausel aus den Pariser Verträgen glaubt man durch die Auslegung umgehen zu können, dass der Bundesrepublik die Produktion von Nuklearwaffen nur im eigenen Land, nicht aber im Ausland untersagt sei.

    Als die SPD versucht, in von ihr regierten Bundesländern einzelne Volksbefragungen zur Atombewaffnung durchzuführen, ruft die Bundesregierung das Bundesverfassungsgericht an: Ende Juli werden die bisher beschlossenen Volksbefragungsgesetze für verfassungswidrig erklärt.

    Die SPD lässt keinen Zweifel daran, dass sie das Urteil des höchsten deutschen Gerichts respektieren und von den geplanten Volksbefragungen Abstand nehmen wird. Obwohl sie gleichzeitig betont, auch weiterhin an den Zielen der Kampagne "Kampf dem Atomtod” festhalten zu wollen, tritt in der Folge des Karlsruher Urteilsspruches eine starke Demobilisierung ein. Auch wenn es vereinzelt noch zu Kundgebungen und Protesten kommt, ist den meisten Aktivisten klar, dass die Anti-Atomtod-Bewegung damit gescheitert ist.