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Aufruhr im Westen Chinas

Die Unruhen in der westchinesischen Provinz Xinjiang halten an - in der Hauptstadt Urumtschi gingen auch heute wieder Han-Chinesen und Angehörige der uigurischen Minderheit mit Steinen, Messern und Eisenstangen aufeinander los: Mittlerweile ist offiziell ist von 156 Toten und tausenden von Verletzten die Rede.

Von Ruth Kirchner und Frank Hollmann | 07.07.2009
    Die Bilder, die über das Internet-Videoportal Youtube im Internet zu sehen sind, zeigen blutüberströmte Gewaltopfer und prügelnde Sicherheitskräfte. Diese Auseinandersetzungen, die seit Sonntag anhalten, erinnern an die Unruhen in Tibet im März letzten Jahres, als wütende buddhistische Mönche gegen Han-Chinesen vorgingen - daraus wurde ein Volksaufstand, den chinesische Sicherheitskräfte blutig niederschlugen.

    Damals tibetische Buddhisten, jetzt moslemische Uiguren - beide Male sind es Vertreter einer religiösen und ethnischen Minderheit, die gegen Unterdrückung und Diskriminierung aufbegehren. Für die chinesische Regierung ist klar: Erneut stecken hinter diesen Ausschreitungen Exilgruppen, die die Aufständischen via SMS und Internet weiter anstacheln. Doch anders als in Tibet versucht die chinesische Führung dieses Mal nicht, die Unruheregion hermetisch abzuriegeln - ausländische Medien werden dieses Mal ins Bild gesetzt. Fragt sich, in welches.

    Ruth Kirchner aus Peking.

    Im chinesischen Staatsfernsehen wird zwar nicht an prominentester Stelle, wohl aber regelmäßig über die Lage in Urumqi und Xinjiang berichtet. Man zeigt vor allem die Gewalt, die ausgebrannten Geschäfte, die verletzten Menschen. Auch im Umgang mit den ausländischen Medien gibt sich die Pekinger Führung diesmal ungewöhnlich offen. Zumindest vordergründig. Anders noch als bei den Unruhen in Tibet vor über einem Jahr, will man diesmal nicht in die mediale Defensive geraten. Außenamtssprecher Qin Gang betont die Kooperationsbereitschaft der Behörden.

    "Was die Berichterstattung über die Ereignisse vom Sonntag betrifft, verfolgen wir eine offene und transparente Strategie. Wir wollen den in- und ausländischen Journalisten helfen aus Xinjiang zu berichten. Und wir hoffen, die internationalen Medien berichten fair und objektiv über die Vorfälle."

    Während Tibet vor einem Jahr von der Außenwelt quasi abgeschnitten wurde, lud der Staatsrat diesmal, noch bevor das tatsächliche Ausmaß der Unruhen öffentlich wurde, per E-Mail Journalisten ein, sich ein eigenes Bild zu machen. In einem Hotel in der Innenstadt von Urumqi hat man eine Art Medienzentrum eingerichtet. Fotografen und Fernsehleute werden dort mit - allerdings schon fertigen - Bildern versorgt. Korrespondenten beklagen bereits, dass die Behörden halt doch wieder alles kontrollieren wollen. Denn die neue Offenheit hat ihre Grenzen.

    Nach wie vor will die chinesische Regierung bestimmen, was für Bilder um die Welt gehen. Und auch an der Haltung der Regierung gegenüber ihren aufsässigen Minderheiten - sei es in Tibet oder in Xinjiang - hat sich nichts geändert. Die Rhetorik, mit der vor einem Jahr der Dalai Lama verteufelt wurde, wird jetzt auf die Führer der Exil-Uiguren angewendet. Sie gelten aus Sicht der Regierung als Drahtzieher der Gewalt in Urumqi.

    "Dies waren - wie schon die Behörden in Xinjiang gesagt haben, organisierte und von langer Hand geplante Gewalttaten. Wir haben bereits Beweise, dass ausländische Organisationen hinter den Unruhen steckten. Die Untersuchungen laufen noch. Aber die Lügen der Anführerin der Exil-Uiguren, Rebya Kadeer, werden ans Tageslicht kommen. Es geht den Separatisten um eine Spaltung des Vaterlands. Ihre terroristischen Absichten werden vor den Augen der Welt enthüllt werden."

    Wie schon im Fall der buddhistischen Tibeter werden auch bei den muslimischen Uiguren keine Autonomiebestrebungen geduldet. Das Mehr an kulturellen und religiösen Freiheiten, das sich viele Uiguren wünschen, wird von der Regierung als Separatismus kriminalisiert. Diskussionen über die eigene Identität, über ihren schwierigen Status als Minderheit in der zu 90 Prozent von Han-Chinesen bewohnten Volksrepublik, lässt Peking nicht zu.

    Stabilität und die Einheit des Landes sind in China quasi unantastbare Grundpfeiler des ungeschriebenen Gesellschaftsvertrages. In der von Staatspräsident Hu Jintao proklamierten "Harmonischen Gesellschaft" kommen Minderheiten daher zumeist nur als folkloristisches Beiwerk vor. Bei der jährlichen Sitzung des Parlaments, des Volkskongresses, treten die Vertreter der Minderheiten in Trachten auf - und werden gerne als Beweis des funktionierenden Vielvölkerstaates in Szene gesetzt. Ansonsten wird von ihnen die reibungslose Integration in die Mehrheitsgesellschaft erwartet. Denn gerade Xinjiang ist auch von großer strategischer Bedeutung - schon von daher kann man keine Unruhen an den Rändern des Riesenreiches dulden.

    Da sind vor allem die großen Gas- und Ölvorkommen in der Region. Als Puffer Richtung Zentralasien hat die Wüstenregion den Chinesen schon seit langem gedient. Und so hat die Volksrepublik seit ihrer Gründung in Xinjiang immer mit hoher Militärpräsenz regiert und die nach mehr Unabhängigkeit strebende Region zu befrieden versucht. Doch das harte Vorgehen der Behörden gegen jede Art von Dissens hat in den vergangenen Jahren nach Ansicht vieler Experten zu einer Radikalisierung vor allem jüngerer Uiguren beigetragen - auch da gibt es deutliche Parallelen zu Tibet.

    Die Organisationsstrukturen etwaiger radikaler Gruppen ist nur schwer zu durchschauen. Wie stark etwa die als Terrororganisation eingestufte Ost-Turkestanische Islamische Bewegung ist, weiß niemand genau. Für die von Peking behauptete Verbindung zu Al Qaida hat die Regierung nie schlüssige Beweise vorgelegt. Einige Experten bezweifeln sogar die Existenz der Gruppierung. Wie es Peking auch jetzt schwerfällt, ihre Anschuldigungen etwa gegen die Präsidentin des Uigurischen Weltkongresses, Rebiya Kadeer, zu belegen. Außenamtssprecher Qin Gang bleibt trotz wiederholter Nachfragen im Allgemeinen.

    "Die Wahrheit wird ans Licht kommen. Die zuständigen Behörden werden Zahlen und Beweise vorlegen. Wir hoffen, dass andere Länder das wahre Gesicht der Separatisten erkennen und ihnen keine Unterstützung mehr gewähren wird."

    Trotz der vordergründigen "neuen" Offenheit der Behörden im Umgang mit den Medien, wird also auch diesmal keine wirkliche Diskussion über die Hintergründe der Gewalt in Urumqi zugelassen. So wurden die Internetkontrollen verschärft und Dienste wie Twitter erst einmal abgeschaltet. Offiziell heißt es, man wolle die Verbreitung von Gerüchten verhindern und es den Drahtziehern der Proteste erschweren, sich online zu organisieren. Zugleich will die Regierung damit offenbar aber auch sicherstellen, dass sie die Meinungsführerschaft und die Kontrolle über die Region nicht verliert.

    Ruth Kirchner war das aus der machtpolitischen Perspektive Pekings.

    In Xinjiang werden die Auseinandersetzungen mit ganz anderen Augen gesehen: Die Minderheit der Uiguren klagt über die wachsende Dominanz der Han-Chinesen, über einen schleichenden Verlust der eigenen Identität und über eine chinesische Wirtschaftspolitik, die auf eine ethnische Kolonialisierung hinauslaufe.

    Frank Hollmann berichtet aus Xinjiang.

    Sonntag in Kashgar - wie seit Generationen strömen Bauern von weit her zum großen Viehmarkt, Männer mit wettergegerbten Gesichtern, die Alten mit schlohweißen Bärten, weiten, langen Mänteln aus Schafswolle und pelzbesetzten Hüten. Hunderte von Schafen springen von den Viehtransportern, ganze Rinderherden stehen aufgereiht zum Verkauf, sogar um Kamele wird gefeilscht. Am Horizont - hinter dem Labyrinth der flachen traditionellen Lehmhäuser - ragen die schneebedeckten Ausläufer des Karakorum empor, Grenze zu Kirgisien, Tadschikistan, Afghanistan und Pakistan. Wer diese Berge auf der Seidenstraße überwunden hatte, schöpfte in der Oase von Kashgar noch einmal Kraft, ehe ihn der Weg weiter entlang der glühend heißen Wüste Taklamakan nach Osten führte Richtung Peking - 4.000 Kilometer entfernt.

    Kashgar zählt zu den historisch bedeutendsten Städten Zentralasiens, Zentrum der ostturkmenischen Kultur, nahe verwandt mit den Türken und anderen Völkern des Nahen Ostens. Der bedeutendste Schriftgelehrte lebte lange in Bagdad. Doch diese Kultur ist bedroht, sagt Asgar Cam, Vizepräsident des Weltkongresses der Uiguren. Der hat seinen Sitz in München, hier leben rund 500 Uiguren im Exil.

    "Die chinesische Regierung versucht mit allen Mitteln, was bei den Uiguren zur Tradition, Zivilisation gehört, zu vernichten. In Urumqi, der Hauptstadt von Xinjiang, ist jeder Fünfte ein Uigure, das heißt also, in Urumqi sind fast 80 Prozent Chinesen, das heißt also mit der Zeit werden wir in unserer Heimat zur Minderheit, als Chinesen uns 1949 besetzten, waren nur 2,5 Prozent Han-Chinesen, der Rest waren Uiguren. Jetzt sind nach chinesischen Angaben 42 Prozent Han-Chinesen, obwohl unter diesen 42 Prozent knapp zwei Millionen Soldaten nicht mitgerechnet sind. Ein Aufstand wäre für uns Selbstmord. Das wäre eine Gelegenheit, dass die chinesische Armee uns dann abschlachtet."

    Urumqi - die Hauptstadt der sogenannten Autonomen Provinz Xinjiang - ist längst eine durch und durch chinesische Stadt. Gesichtslose Plattenbauten, breite Durchgangsstraßen, glitzernde Einkaufspassagen - so wie in den boomenden Metropolen entlang der Ostküste.

    Dabei geriet die Region erst im 18. Jahrhundert unter chinesischen Einfluss. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war die Region - ähnlich wie Tibet - faktisch unabhängig. Die Chinesen steckten im Bürgerkrieg, der Neue Westen - so heißt Xinjiang wörtlich übersetzt - war weit, zu weit weg. Von diesem unabhängigen Ostturkestan träumt auch Asgar Can, zumindest aber von weitgehender Autonomie. Denn bislang - klagen viele Uiguren - profitieren sie nicht selbst vom Reichtum ihrer Heimat, von den riesigen Öl- und Gasvorkommen beispielsweise.

    "Uiguren haben wirklich nichts. Also davon profitieren natürlich Han-Chinesen. Sie werden ja auch befördert, sie bekommen Arbeitsplätze, wenn sie zu uns kommen, während unsere einheimischen Uiguren gekündigt werden. Wenn nur ein Zehntel, was von unser Heimat produziert wird, dort bleiben würde, wäre der Wohlstand wirklich sehr, sehr groß."

    Doch in Xinjiang haben die Chinesen das Sagen. Der Gouverneur ist zwar ein Uigure, die wahre Macht aber liegt beim Parteichef der Provinz, einem Han-Chinesen. Auch in Kashgar leben Chinesen und Uiguren in unterschiedlichen Stadtteilen, die Chinesen in den Neubauten, die Uiguren in der Altstadt. 85 Prozent davon - so hat die von Chinesen dominierte Stadtverwaltung beschlossen - werden abgerissen, angeblich seien die Häuser nicht erdbebensicher. Dabei hat Kashgar in seiner Geschichte manches Beben überstanden, während die chinesischen Wohnblöcke in Sichuan wie Kartenhäuser einstürzten.

    "Das ist nicht nur Kashgar. Wir bekommen auch Nachricht von anderen typischen uigurischen Städten, wo es wirklich noch uigurisch aussieht. In diesen Städten beginnt die chinesische Regierung auch mit dem Abriss und bauen nach chinesischer Architektur und schaffen Platz für Neusiedler, also für Han-Chinesen. Das ist ja auch chinesische Politik, dass das ganze Uigurien oder das alte historische Ostturkestan chinesisch aussieht."

    Der wirkliche Grund sei ein anderer, berichtet ein junger Uigure in einem Caféhaus hinter vorgehaltener Hand. Die chinesischen Sicherheitskräfte würden sich nachts nicht in das Labyrinth der Altstadt trauen. Die Plattenbauten dagegen könnten sie mit ihren Blockwarten spielend kontrollieren. Und während er erzählt, schaut der junge Mann sich immer wieder um und beobachtet durch das Fenster die Straße. Auch in Kashgar sitzen überall Spitzel. Manchmal reicht schon ein Kontakt mit Ausländern, um die Sicherheitskräfte aufzuschrecken. Kurz nachdem eine Familie im Frühjahr deutsche Journalisten zum Essen eingeladen hatte, wurden alle erwachsenen Familienmitglieder festgenommen und eine ganze Nacht lang verhört. Das hat Methode, weiß Ulrich Delius, China-Experte bei der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen.

    "Kashgar ist ganz klar im Visier momentan der chinesischen Behörden und der chinesischen kommunistischen Partei, vor allen Dingen Xinjiangs als eines der Zentren des vermeintlich oder tatsächlich bestehenden uigurischen Widerstandes. Der muss zerschlagen werden. Das ist genau das, was wir jetzt in Kashgar erleben, es sind im letzten Jahr nach offiziellen chinesischen Angaben mehr als 2100 Überwachungskameras dort installiert worden. Es ist eine extra Sicherheitstruppe aufgestellt worden, die nur für die Sicherheit dieser Stadt verantwortlich ist."

    Gerade bei den jungen Uiguren wächst der Zorn auf die - in ihren Augen - chinesischen Besatzer, und es wächst die Bereitschaft zur Gewalt. Peking macht die Uiguren für Hunderte von Überfällen und Bombenattentaten verantwortlich. Über 200 Uiguren - berichtet Amnesty International - wurden in den letzten Jahren hingerichtet. Auch Ulrich Delius warnt schon seit Jahren vor einer Zunahme der Gewalt.

    "China versucht, seit dem 11. September 2001 systematisch das als Problem des internationalen Terrorismus darzustellen, weil man sich natürlich davon erhofft, sozusagen den Persilschein zu bekommen und vor allen Dingen vielleicht noch mehr Unterstützung zu bekommen.

    Soweit dieser Bericht aus der Provinz Xinjiang.

    Telefonisch ist uns jetzt Professor Thomas Heberer zugeschaltet - er ist Politikwissenschaftler und Sinologe an der Universität Duisburg-Essen, guten Abend Herr Heberer,.

    Heberer:Guten Abend.

    Kößler: In dem Beitrag von Frank Hollmann klang es an. Die chinesische Führung stellt ihr hartes Vorgehen gegen die Minderheit der Uiguren als Teil des Kampfes gegen Separatismus, Extremismus und Terrorismus dar. Ist der Terrorverdacht gerechtfertigt?

    Heberer: Es ist immer falsch, eine ganze ethnische Gruppe unter Kollektiverdacht zu stellen. Die Uiguren sind im Prinzip schon immer sehr gemäßigte Muslime gewesen, und ich würde meinen, dass die Mehrheit der Uiguren nicht an Unabhängigkeit interessiert ist, weil jeder weiß, das wird einen enormen Blutzoll kosten, und auch nicht von einem islamischen Gottesstaat, sondern an größere Autonomie.

    Kößler: 17 Uiguren wurden jahrelang im amerikanischen Straflager von Guantanamo gefangengehalten, offenbar zu unrecht, sonst würde man jetzt nicht nach Mitteln und Wegen suchen, sie wieder freizulassen. Ist denn die Nähe zu El Kaida jemals bewiesen worden?

    Heberer: Wir wissen, dass Uiguren ausgebildet worden sind in Afghanistan, in Tschetschenien haben einzelne Uiguren gekämpft, und es gab auch Ausbildung in islamistischen Schulen in Pakistan. Aber deren Zahl ist insgesamt relativ klein. Ich würde nicht davon ausgehen, dass es sehr viele Uiguren umfasst.

    Kößler: Sie sagten gerade, den Uiguren geht es nicht um Unabhängigkeit, sondern um mehr Autonomie. Worum geht es der chinesischen Führung? Tatsächlich darum, kulturelle und religiöse Identität zu nehmen?

    Heberer: Es ist ja keine Uiguren-Frage an sich, sondern es ist eine Frage der chinesischen Nationalitätenpolitik. In China leben ja 55 ethnische Minderheiten, und einer der Kernpunkte ist, keine Kompromisse bei Fragen der nationalen Einheit. Und da sind sich die Führung und die Bevölkerung durchaus einig. Also sobald man sagt, hier gibt es eine Gruppe oder einen Teil einer Gruppe, der eine Unabhängigkeit anstrebt, da findet ein Schulterschluss zwischen Führung und Bevölkerung statt, und deswegen zieht dieses Narrativ, diese Erzählung, dass der Separatismus dort sehr stark sei, natürlich, und bindet die Bevölkerung auch an die politische Führung.

    Kößler: Die Wut richtet sich gegen Han-Chinesen. Ist das auch ein ethnischer Konflikt? Gibt es da eine ethnische Dimension?

    Heberer: Es gibt selbstverständlich eine soziale und eine ethnische Dimension. Wir sehen ja jetzt gerade, dass im Gegenzug, als Rachefeldzug sozusagen, Han-Chinesen in uigurische Viertel einströmen und dort mit Gewalt versuchen, Uiguren dingfest zu machen, und die Polizei sich jetzt gegen diese Han-Chinesen wendet und nicht mehr gegen die Uiguren.

    Das deutet darauf hin, dass es um einen tiefgehenden ethnischen Konflikt und ethnische Ressentiments geht. Ich habe schon vor zehn Jahren geschrieben, dass die Stimmung innerhalb der Han-Bevölkerung mit bestimmten Vorteilen, die ethnische Minderheiten bekommen, große Unzufriedenheit auch unter den Han hervorruft, und dass hier die Ressentiments auf beiden Seiten gegeneinander wachsen, so dass mit wachsenden Konflikten ja auch zu rechnen ist.

    Kößler: Heute hat es einen Brandanschlag auf das chinesische Generalkonsulat in München gegeben. Wie schätzen Sie die Situation im Westen Chinas ein? Weiten sich die Unruhen möglicherweise auf andere Provinzen aus?

    Heberer: Wir wissen, dass in den kulturellen Kernzentren, in Kashgar zum Beispiel, dass es auch dort kleinere Demonstrationen gegeben hat. Ich meine, die chinesische Polizei und Militärmacht ist derartig stark, dass sie relativ gut mit solchen Unruhen fertig wird, die ja auch Geschichte haben. Wir haben seit den 90er-Jahren mehrere hundert Unruheherde gehabt, nicht von diesem Ausmaß, das überraschend kam, aber es gab eine permanente Kette an Unruhen, die auch damit zusammenhängt, dass die Nationalitätenpolitik im Xinjiang besonders strikt ist, und die Uiguren vielleicht eingeengt werden, als noch die Tibeter.

    Kößler: Bundeskanzlerin Angela Merkel wird morgen Staatspräsident Ju Jintao am Rande des G8-Gipfels in L'Aquila treffen. Sie will friedliche Lösungen anmahnen. Was meinen Sie, könnte sie mehr tun?

    Heberer:Es ist sehr schwer, hier mehr zu tun. Wir haben ja im letzen Jahr gesehen, dass China seine eigene Politik betreibt, und dass Druck eigentlich relativ wenig auszuüben vermag. Wir haben bei den Uiguren noch ein weiteres Moment, nämlich dass es sich um Muslime handelt. Die Behandlung der Uiguren auch in unserer Presse, in der westlichen Presse, ist ganz anders als die der Tibeter, die ein hohes Maß an Unterstützung und auch an Exotik genießen und den Dalai Lama haben, eine Repräsentanz-Figur, über das die Uiguren nicht verfügen.

    Kößler: Welche Perspektiven sehen Sie für die Minderheit der Uiguren in China? Ist ihnen ein ähnliches Schicksal beschieden wie den Mönchen in Tibet oder den Oppositionellen in Teheran?

    Heberer: Die einzige Möglichkeit ist, dass eine innerchinesische Debatte losgeht, die über die Einschränkung von Selbstverwaltung mal diskutiert. Es gibt da auch immer wieder Versuche von chinesischen Wissenschaftlern, dass in der politischen Führung begriffen wird, dass es nicht ausländische Kräfte allein sind, die hier einwirken können, sondern wenn alle zufrieden sind, dann würde ausländische Propaganda oder der Aufruf zur Unruhe auch nichts fruchten. Es gibt innere Gründe, die meistens mit sozialen Gründen zusammenhängen, und die bewirken, dass vor allem junge Menschen zur Gewalt greifen.

    Kößler: Professor Thomas Heberer, Politikwissenschaftler und Sinologe an der Universität Duisburg-Essen war das zum Schluss - vielen Dank, dass Sie mit dabei waren. Noch ist die Frage, wie die chinesische Führung reagieren wird - ob sie sich genauso verhält wie in Tibet im vergangenen Jahr und den Aufstand blutig niederschlägt. Oder ob sie einen weiteren Imageschaden vermeiden und dieses Mal einen anderen Weg einschlagen will. Ich danke für Ihr Interesse - und wünsche einen angenehmen Abend.