Freitag, 19. April 2024

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Auftakt einer Terrorherrschaft
Vor 75 Jahren proklamierte Enver Hoxha die Volksrepublik Albanien

Einige Zeit lavierte die von Enver Hoxha am 11. Januar 1946 ausgerufene "Volksrepublik Albanien" zwischen Moskau und Belgrad. Dann etablierte der zunehmend paranoide Diktator mit seinem buchstäblichen Betonbolschewismus ein Terrorregime eigener Art.

Von Norbert Mappes-Niediek | 11.01.2021
    Ein SchwarzWeiß-Foto zeigt den albanischen Diktator Enver Hodscha, wie er beim 7. Kongress der P.T.A im Dezember 1976 kämpferisch die Faust in die Höhe streckt
    Enver Hoxha 1976 beim 7. Kongress der albanischen Partei der Arbeit (picture-alliance/ dpa )
    "Wer in Albanien nach dem Zweiten Weltkrieg schon über ein Radiogerät verfügte, durfte nicht hoffen, besser informiert zu sein als andere. Untermalt von feierlichen Klängen, ertönte aus den Empfängern unablässig das Lob des glorreichen Befreiungskampfes. Im Herbst 1944 hatte eine Partisanentruppe die Reste der deutschen Wehrmacht aus dem Land vertrieben. Die kommunistische Partei, der jetzt die Macht zufiel, war gerade drei Jahre alt und de facto eine Filiale der KP im zehn Mal größeren Nachbarland Jugoslawien – die ihrerseits damals noch ganz auf Stalin und die Sowjetunion hörte:
    "Die Entscheidungen sind eigentlich stärker in Belgrad als in Tirana getroffen worden", erklärt der Wiener Balkan-Historiker Robert Pichler. Nach dem Krieg war nicht einmal klar, ob Albanien wieder selbständig werden sollte oder künftig Teil einer kommunistischen Balkan-Föderation würde. Und, so Pichler, "Stalin hätte nichts dagegen gehabt, wenn Jugoslawien Albanien geschluckt hätte."
    Ein Bunker aus der Hoxha-Zeit
    Opfer des albanischen Kommunismus - Verbannt, enttäuscht, vergessen
    Bis zu 10.000 Albaner starben während der kommunistischen Gewaltherrschaft von Enver Hoxhas. Verfolgt wurde jeder Dritte. Heute dürfen die Bürger nach deutschem Vorbild ihre Akten des gefürchteten Sigurimi-Geheimdienstes einsehen – immerhin 156 Anfragen haben Opfer oder ihre Angehörigen bis heute gestellt.
    Aber an der Spitze von Albaniens KP stand ein ebenso energischer wie skrupelloser Mann: der 37-jährige Enver Hoxha. Mit der Gründung der "Volksrepublik Albanien" am 11. Januar 1946 setzte er Fakten. Dazu Robert Pichler:
    "Anfang ʹ46 war die Phase, wo man begonnen hat, die Gegner der Kommunisten zu verfolgen und wo ein Teil der Bevölkerung schon ziemlich unter Druck war." Über den Kurs von Partei und Republik herrschte in dem bitterarmen Agrarland noch Unklarheit: "Die eine Fraktion drängte auf eine rasche Enteignung der Grundbesitzer und die andere Fraktion auf eine schrittweise Enteignung."

    Von Belgrad nach Moskau

    Hoxha setzte sich durch: Er hatte auf völlige Enteignung gedrängt. Als Jugoslawien unter Staats- und Parteichef Tito zwei Jahre später mit Stalin brach, nutzte Hoxha die Chance, sich ganz vom jugoslawischen Einfluss zu befreien, und lehnte sich nun eng an Moskau an. Nicht nur zu seinem Nachteil, so Robert Pichler: "Eine Ursache dieser Trennung, die dann stattgefunden hat, war die, dass Chruschtschow aus Albanien quasi eine landwirtschaftliche Kolchose machen wollte und Enver Hoxha die Industrialisierung vorantreiben wollte."
    Aber das Tauwetter nach Stalins Tod missfiel Enver Hoxha. Er hielt an der terroristischen Herrschaftsform fest. 1959 kam Chruschtschow zu Besuch, um den Bruch zu kitten. Ein Jahr später, 1960, war die Phase der unverbrüchlichen Freundschaft vorbei. Hoxha orientierte sich fortan am großen China des Mao Tse-tung.

    Ein paranoider Diktator bunkert sein Land ein

    Nach Maos Tod 1976 wandte Hoxha sich auch von China ab und führte das Land mit seinen nur zweieinhalb Millionen Einwohnern in die völlige Isolation. Der zunehmend paranoide Diktator überzog ganz Albanien mit Hunderttausenden Bunkern, immer mehr Menschen landeten im Gulag. Ein Schauer packte die chronisch desinformierten Albaner, als 1981 der Tod des langjährigen Premierministers Mehmet Shehu bekanntgegeben wurde. Er sei ein Verräter und imperialistischer Agent gewesen, verkündete Enver Hoxha:
    "Das erste Urteil besteht darin, dass Mehmet Shehu posthum aus der Partei ausgeschlossen wird. Wegen seiner schwerwiegenden Verstöße gegen die politische Linie der Partei muss er als gefährlicher Feind betrachtet werden. Es ist das Urteil des Zentralkomitees der Partei. Darüber wird nun abgestimmt. Wer ist dafür? …. Wer ist dagegen? Niemand. Lang lebe die Partei!"

    Der Beton-Bolschewismus albanischen Typs bröckelt

    Als Hoxha vier Jahre später starb, begann auch der Beton-Bolschewismus albanischen Typs allmählich zu bröckeln. Noch war das Land isoliert, als der Albanien-Forscher Robert Pichler 1989 zum ersten Mal dorthin reisen konnte. Die Menschen hatten die Fernsehantennen schon heimlich auf italienische und jugoslawische Sender gedreht und wussten über die Welt draußen Bescheid, so Robert Pichler:
    "Man hatte schon mitbekommen, dass das System sukzessive verfällt, dass das eigentlich nur mehr ein stagnierendes System ist. Es gab keine Ersatzteile mehr für die Industrie, die Arbeitsmoral war nicht mehr vorhanden, die Produktivität war sehr schwach – also all diese Dinge, die eigentlich signalisiert haben, dass man irgendwann an einen Plafond angestoßen war und es nicht mehr weiterging. Das System hat eigentlich seine Glaubwürdigkeit verloren."
    Keine zwei Jahre später stürzte eine aufgebrachte Menschenmenge auf dem Hauptplatz von Tirana die überlebensgroßen Statuen von Stalin und Enver Hoxha – und vermittelte der Welt so die tröstliche Gewissheit, dass keine noch so perfekte Diktatur ewig hält.