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Auftauende Berge

Geologie. - Dauernd gefrorenen Boden, so genannten Permafrostboden, gibt es nicht nur an Nord- und Südpol, sondern auch mitten in Europa: in den Alpen. Mit der Klimaerwärmung taut der Permafrost aber vielerorts auf. Das kann zu gefährlichen Erdrutschen führen, warnen Wissenschaftler auf der 2. Europäischen Permafrost-Konferenz in Potsdam.

Von Volker Mrasek | 15.06.2005
    In den italienischen Alpen, im oberen Veltlin stürzten vor 18 Jahren im Sommer gewaltige Gebirgsmassen ins Tal und begruben zwei Dörfer unter sich. 27 Bewohner starben. "Das war der erste Fall in Italien, bei dem klar wurde: Permafrost war der Auslöser", erinnert sich der Geologie-Professor Francesco Dramis aus Rom, der sich damals mit dem Ereignis beschäftigte. Jetzt untersuchte er einen weiteren großen Landrutsch im Veltlin vom September 2004: "Auch dort fanden wir wieder Eisbrocken unter dem Geröll, auch dort hatte sich der Permafrostboden vom Fels gelöst. Warum? Durch die erhöhten Außentemperaturen." Der Boden müsse nicht einmal komplett auftauen, um eine Gefahr darzustellen, sagt Dramis: Es genügt, wenn er sein Gefüge durch thermische Störungen verändert und rissig wird.

    Im Veltlin ist die Permafrostdecke bis in 25 Meter Tiefe geschwächt. Das geht nicht so schnell, dahinter kann nur ein langwieriger Prozess stecken: die globale Erwärmung unseres Klimas." Die schleichende Erwärmung der Dauerfrostböden, davon geht der italienische Forscher aus, werde weiter anhalten. Deshalb sei auch mit zunehmenden Schlammlawinen und Felsstürzen in den Permafrostzonen des Hochgebirges zu rechnen.

    Diese Gefahr sieht auch Daniel Vonder Mühll, Geophysiker an der Universität Basel. Er leitet das noch junge Permafrost-Beobachtungsnetz der Schweiz: "Wir haben im Rahmen eines EU-Projekts 100 Meter tiefer Bohrungen im Permafrost von Spitzbergen über Nordschweden, Südnorwegen bis in die Alpen gemacht." An keinem Bohrloch seien die Temperaturen in den vergangenen 50 Jahren gleich geblieben, sondern sie seien, grob geschätzt, zwischen einem halben und zwei Grad gestiegen.

    Ein Hitzesommer wie der im Jahr 2003 kann wie ein zusätzliche Fieberschub wirken. Auf dem Berg Schildhorn etwa, wo die Auftautiefe im Schnitt bei vier bis fünf Metern liege, habe sich der heiße Sommer deutlich bemerkbar gemacht, so Vonder Mühll: "Da war dann die Auftauschicht auf einen Schlag fast neun Meter." Auch am Matterhorn gab es vor zwei Jahren einen Bergsturz während der Hitzewelle, den der Geograph Martin Gude ebenfalls auf die große Auftautiefe des Felses zurückführt: "Solche Abstürze passieren immer wieder, verstärkt in warmen Sommern, verstärkt in Zukunft durch die Erwärmung der Atmosphäre und das Tauen des Permafrosts. Aber wir können nicht voraussagen, wann und wo."