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Aufwühlende Momente mit neuer Technik

Biohacker, Neuroforscher, Aktions- und Medienkünstler aus fast allen Ecken der Welt treffen sich in Dresden auf dem Festival Cynetart, um Medienkunst zu präsentieren und zu sehen. Im Mittelpunkt steht trotz der Digitalisierung der menschliche Körper.

Von Heike Schwarzer | 15.11.2013
    Medienkünstler Silas Fong hat sein Computerarchiv durchforstet und aus einem Jahr Fotos und Filmchen zusammengeschnitten. Der junge Hongkong-Chinese hat keine Scheu, Persönliches öffentlich zu machen und sein Erinnerungsvermögen im virtuellen Alltag zu hinterfragen.

    Der Körper von Johanna Roggan agiert in Echtzeit und ist ganz real. Sie ist Tänzerin und neugierig, was wohl passiert, wenn sich ihr Körper durch Kamera, Pulsmesser und ein Publikum in Aktion gleichsam erweitert.

    EmotiCam nennt sie ihr Spiel mit vielen Unbekannten, und das, sagt Johanna Roggan, hat auch viel mit der Art zu tun, wie wir heute leben.

    "Es gibt Facebook oder andere Plattformen, wo man sich selbst präsentiert. Dort ist es selbstverständlich: ich mache ein tolles Bild, poste eine tolle Nachricht oder was weiß ich, aber es ist immer nur ein Teil von dem, was wirklich passiert. Und hier haben sie die Möglichkeit, sofort in Echtzeit Bilder und Inhalte zu liefern, sich selber aufzunehmen, und ich glaube schon, dass hier der Moment der Scham oder Scheu wieder angeht."

    Mach ich dann trotzdem mit? Oder will ich Beobachter sein? Was zeige ich von mir? Im echten Leben oder im Netz? Und warum tu ich das?

    "Es gibt auch ein Feedback. Es gibt zwar keinen Wahlknopf, wo man ‚I like‘ drücken kann, was Facebook ja so interessant macht, dass Menschen das kommentieren können. Das passiert hier aber nicht!"

    Als die Medienkunst vor fast 15 Jahren als Videokunst die Galerien und Offspaces eroberte, da drehte sich alles wie im Rausch um Technikschnickschnack und mögliche Utopien.
    Inzwischen leuchten die visionären Netzpioniere ihre eigenen und fremde Körper aus und erobern sich dieses klassische Sujet der Kunst in ganz eigener Weise und zunehmend mit sinnlichen und ästhetisierenden Konzepten.

    Performance-Künstlerin Isabelle Choinière aus Montreal stellt fünf nackte Tänzerinnen zu einem kollektiven Klangkörper zusammen. Sie ist überzeugt, dass sich die mediale Realität wie eine zweite Haut über unsere Körper legt. Neue Technologien bilden heute unsere natürliche Umgebung. Wir machen immer mehrere Sachen gleichzeitig und natürlich ändert das unser traditionelles Bild vom Körper. Wir erweitern unsere Körper, wir müssen uns neu organisieren, unsere Sinne und unsere Wahrnehmung.

    Körperrecherche und Medienkunst – das ist heute ein Spielfeld mit ungeahnten Möglichkeiten. Thomas Dumke, Leiter des Cynetart-Festivals Dresden, zeigt, wie weit das Pendel zwischen Entgrenzung und Begrenzung ausschlagen kann.

    "Man kann ja auch verfolgen, dass die Technologien immer smarter, immer kleiner werden, man muss nicht mehr den großen Technikpark auffahren. Bei EmotiCam der Pulsmesser, das ist eine minicam, ein ganz kleines tool, das eine große Wirkung erzeugt. Das ist auch ein Phänomen unseres medialen Alltags, dass Technologien immer preiswerter, immer kleiner werden. In den jüngeren Generationen hat sich eine Art Selbstermächtigung breitgemacht: wir basteln uns unsere eigenen Kommunikations- und Wahrnehmungstechniken selbst."

    Unvorhersehbares – wohin man auch schaut, das Cynetart-Festival in Dresden präsentiert eine respektable Bandbreite aufwühlender Momente. Und als ob das nicht reicht, zur Nacht der Experimente kann man sich selbst ins Hellerauer Lab begeben: künstlerisch-technische Versuchsanordnungen sind angekündigt. Was das ist, kann man am eigenen Leib erfahren.