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Augen zu und durch

Die schwarz-gelbe Koalition ist unüberseh- und unüberhörbar in einer selbst gemachten Krise. Die Opposition zieht zwar zurzeit keinen effektiven, aber immerhin rhetorischen Nutzen, doch das Hauptproblem der Regierungsparteien ist: die eigene Basis.

Von André Bochow, Anke Petermann, Wolfram Stahl, Michael Watzke | 16.06.2010
    Berlin im Juni – in den Tagen zwischen zwei WM-Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Am Brandenburger Tor drängen sich vorzugsweise ausländische Jugendgruppen und auch vor dem Reichstag stehen vor allem Touristen aus den USA an. Alle Nichtamerikaner scheinen – fußballeuphorisch – schon wieder vor irgendeinem Fernseher zu sitzen. Sollte sich Deutschland tatsächlich in der Endzeit des schwarz-gelben Regierungsprojektes befinden, dann drängt sich diese Endzeitstimmung außerhalb der Regierungs- und Parlamentsgebäude nicht gerade auf.

    "Die neue Regierung will die Weichen für das zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts stellen."

    Am 10. November des vergangenen Jahres war Angela Merkel noch fest entschlossen, Weichen zu stellen. Heute, gut sieben Monate später, ist von Weichenstellung nicht mehr die Rede. Jedenfalls nicht positiv.

    "Katerstimmung in der Koalition. - Wildsau. - Da geht´s doch drunter und drüber. - Gurkentruppe. - Das geht so nicht mehr weiter. - Aufhören!"

    Wenn man sich im Berliner Regierungsviertel umhört, trifft man auf eine erstaunliche Einmütigkeit: Es herrscht Kopfschütteln über die Regierung. Ob an den Tischen der Bundestagskantine oder auf den Holzbänken vor der Kneipe namens "Ständige Vertretung" am Schiffbauerdamm – es fällt kaum ein gutes Wort. Ein Besucher aus Düsseldorf erklärt unumwunden:

    "Also, wenn das so weiter geht, würde ich schon begrüßen, wenn das abgelöst wird. Also in irgendeiner Form. Also so, wie das im Moment abläuft, gebe ich der Regierung keine Chancen."

    Am Spreeufer entlang zurück Richtung Reichstag, dann rechts in die Luisenstraße, an der S-Bahnbrücke gleich links: Schon steht man vor einem ganz besonderen Machtzentrum - vor dem Haus der Bundespressekonferenz. Hier hat auch Jörg Kürschner sein Büro. Kürschner war schon in Bonner Regierungstagen Hörfunkkorrespondent. Erst für den NDR, später für den MDR. Er kennt viele wichtige Leute und er hat ein gutes Gedächtnis. An eine derart schnelle Erosion einer Bundesregierung kann er sich nicht erinnern.

    "Also, es hat sehr oft Anlaufschwierigkeiten gegeben. Letztlich ja auch 1998, als SPD und Grüne die Regierung übernommen haben. Aber jetzt war ja schon mehrfach von Neustart die Rede. Und diese sind ja bisher alle missglückt. Und dass eine Regierung ungefähr acht Monate nach Amtsantritt immer noch nicht ihr Verhältnis zueinander gefunden hat - hab ich noch nie erlebt."

    Kürschner meint, er sehe auch kein gemeinsames Projekt, das diese schwarz-gelbe Regierung zusammenschweißen könnte. Und vor allem fehle es an Führung. Ist also letztlich die Kanzlerin schuld am aktuellen Dilemma? Kürschners klare Antwort.

    "Ja."

    An Neuwahlen aber sei im Moment, mit Ausnahme der Grünen, niemand interessiert. An einen einfachen Wechsel hin zur Großen Koalition glaubt der erfahrene Journalist auch nicht.

    "... sodass zu befürchten ist, dass weiter regiert wird. Aber vielleicht gibt es ja in der Union eine Bewegung, die dazu führt, dass Merkel entmachtet wird. Eine solche Situation könnte eintreten, wenn die Union in einem ihrer Stammländer, nämlich in Baden Württemberg, im nächsten Frühjahr dramatisch verlieren sollte."

    Steffen Bilger lächelt gern. Er ist so freundlich und korrekt wie sein Scheitel gerade. Der 31-Jährige kommt aus Baden-Württemberg, ist dort Landesvorsitzender der Jungen Union, die hier gut 11.000 Mitglieder zählt. Zuhause muss er momentan miterleben, wie die Zustimmung zu seiner CDU schrumpft. Bilgers Gesicht strahlt zwar, trotzdem ist der Blick des Bundestagsabgeordneten auf den Zustand der Regierung realistisch.

    "Es ist in der Tat eine relativ breite Unzufriedenheit zu spüren, und wir haben schließlich gekämpft, um diese schwarz-gelbe Mehrheit zu erreichen, und dann eben auch unsere Politik umzusetzen. Und da ist eben bisher noch viel zu wenig passiert, und deswegen gibt es schon eine relativ breite Unzufriedenheit."

    Als Bundestagsneuling scheint der junge, groß gewachsene Mann den Kontakt zur Basis noch nicht verloren zu haben. Sein Wahlkreis Ludwigsburg erlebte gerade erst ein politisches Erdbeben, da die schwäbische Stadt auch die Heimat des zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler ist.

    Die Rücktritte von Köhler und Koch, das miserable Abschneiden bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen, der Knatsch in der schwarz-gelben Koalition sorgen in der CDU für enorme Unsicherheit. Doch der Parteinachwuchs will sich damit nicht abfinden und macht mobil: Die Landesverbände der Jungen Union Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen haben einen Aufruf verfasst, in dem sie gemeinsam ihre Unzufriedenheit mit der Mutterpartei artikulieren.

    "Es ist sicher auch für die Kanzlerin keine einfache Situation. Wir würden uns trotzdem wünschen als Junge Union, aber sicher auch die CDU-Mitglieder an der Basis, dass trotzdem eine deutlichere Linie erkennbar wird. Also lieber auch mal auf den Tisch hauen, sei es jetzt bei der Gesundheitspolitik oder sei es bei der Energiepolitik eine Entscheidung schnell herbei führen und damit das Thema aber auch beenden."

    Bilger und die anderen Landeschefs der Jungen Union wollen von der Kanzlerin mehr Führungsstärke sehen. Und sie fordern Merkels Machtwort – dadurch erhoffen sie sich ein Ende des Streits innerhalb der Koalition.

    Themen, über die Parteispitze und Basis dringend reden sollten, gibt es laut Bilger jede Menge. Regionalkonferenzen der Mutterpartei seien dafür der richtige Ort. Generalsekretär Hermann Gröhe hat dem Drängen der Nachwuchspolitiker inzwischen nachgegeben. Der junge Bundestagsabgeordnete erwartet nun, dass auch Merkel an diesen Versammlungen teilnimmt.

    "Wo wir auch fordern als Junge Union, dass auch unsere Parteispitze, insgesamt die Partei mehr diskutieren muss, mehr überzeugen muss, warum wir jetzt welche Maßnahme ergreifen müssen, warum wir beispielsweise für die Transaktionssteuer mittlerweile sind, die wir im Wahlkampf noch bekämpft haben, dann soll es auch einfach darum gehen, dass unsere Mitglieder auch mal ihr Unverständnis äußern können über Vieles, was passiert, aber auch Argumente mitnehmen können, warum jetzt die eine oder andere Maßnahme gemacht werden muss."

    Der CDU fehlt gegenwärtig die Orientierung, sagt der eloquente Rechtsanwalt. Die müsse wieder klar zum Vorschein kommen, damit der Bundesparteitag im November in Karlsruhe auch zur Standortbestimmung werden kann.

    "Das ist auch der Punkt, wo wir dringend ansetzen müssen, auch als Partei, dass wir wieder die klare Linie finden, deswegen auch zügig die schwierigen Entscheidungen angehen und damit auch wieder unserer Basis, aber auch unseren Wählern zeigen, was unsere klare Vorstellung von Politik in unserem Land ist."

    Die Auseinandersetzungen innerhalb der Koalition müssen vor der Sommerpause beendet sein, meint Bilger. Ansonsten sei mit einem gewaltigen Sommertheater zu rechnen. Denn unerledigte Themen schiebt die Regierung bereits in großer Anzahl vor sich her. Einige dieser Themen haben ihren Ursprung in Bayern – der Heimat des kleinsten und trotzdem aufmüpfigsten Koalitionspartners – der CSU.

    Frühsport vor der Oberpfalzkaserne. 12 junge Zeitsoldaten laufen in blauen Bundeswehr-Trainingsanzügen durch den Regen. Sie haben gerade erst den Wehrdienst hinter sich – und kein Problem mit der Vorstellung, dass es diesen Wehrdienst in Zukunft vielleicht nicht mehr gibt:

    "OK, wenn es so geregelt wird, damit Geld eingespart wird, dann muss es halt so sein. Bringt alles nichts."

    "Jeder Verteidigungsminister hat andere Ansichten, die wird er auch verfolgen. Ich glaube, er wird den richtigen Weg gehen."

    Ob Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den richtigen Weg geht – daran zweifeln weniger die Soldaten als seine CSU. In der niederbayerischen Garnisonsstadt Bogen zeigt Bürgermeister Franz Schedelbauer – ein Parteifreund - aus dem Rathausfenster. Auf dem Marktplatz steht ein Kriegerdenkmal. Inschrift: "Für die Söhne unserer Stadt". Die CSU, sagt Schedlbauer, sei immer die Partei der Wehrpflicht gewesen.

    "Und dann leisten wir uns als CSU, als Bewahrer dieser Werte also auch noch das, dass wir sagen, wir denken überhaupt nach über die Abschaffung der Wehrpflicht. Die Reduzierung ist OK, aber Abschaffung würde ich nicht vertreten."

    Mit seinem klaren Bekenntnis zur Wehrpflicht steht Schedlbauer in der CSU längst nicht allein. Er zeichnet mit seinen Händen einen Ballon in die Luft. Einen solchen Testballon habe der Verteidigungsminister aufsteigen lassen. Aber ...

    "Der Ballon ist nicht hoch gestiegen."

    Nicht weit entfernt von Bogen stellte Guttenberg vor wenigen Tagen seine Pläne vor. Bei der Bezirksversammlung der Jungen Union plädierte er für einschneidende Reformen und gegen Denkverbote. Arnold Kimmerl war dabei. Er ist Bürgermeister von Pfreimd, ebenfalls ein Bundeswehrstandort in Guttenbergs bayerischer Heimat. Kimmerl unterstützt den ehrgeizigen Minister.

    "Er ist geradlinig, nennt die Dinge beim Namen, sagt geradlinig, um was es geht, und ich glaub´ das wollen die Leute auch haben. Die wollen das Rumgeeiere und Rumgedrücke nicht, sondern die wollen eine klare Aussage haben. Das macht er sehr gut."

    ... Kimmerl ist allerdings nicht in der CSU. Er ist einer von drei ÖDP-Bürgermeistern in Bayern. Er beobachtet interessiert die Strategie des CSU-Shootingstars:

    "Er macht jetzt auch seine politischen Winkelzüge, indem er mit dem Rücktritt spielt. Damit setzt er die Frau Merkel unter Druck, ganz klar, weil wenn er rücktreten würde, dann würde die Koalition praktisch wackeln. Das weiß die Frau Merkel, und man muss jetzt mit Spannung beobachten, was dabei herauskommt."

    Wehrpflicht oder nicht – das könnte sich auch auf den Bundeswehr-Standort Pfreimd auswirken. Die 5000-Einwohner-Stadt ist Heimat von 1150 Soldaten. Sie kaufen auf dem Pfreimder Marktplatz ihr Döner und trinken Bier in der Pizzeria. Gäbe es sie nicht, verlöre die Pfreimder Gastronomie viele Kunden. Doch der persönlichen Beliebtheit des CSU-Politikers hat sein Reformvorschlag erstaunlicherweise nicht geschadet.

    "Also, ich finde, der ist sehr kompetent und engagiert. Also, ich bin zufrieden mit ihm."

    Anders im politischen München. Hier ist die CSU sauer. Nicht nur sauer auf die FDP, Stichwort Gesundheitspolitik und Kopfpauschale – hier sind sie sauer auf ihren eigenen Minister. Bayerns Innenminister Joachim Hermann verklausuliert sein Missfallen über den jungen, beliebten und nassforschen Senkrechtstarter aus Oberfranken kaum.

    "Klar ist auch, dass die im Grundgesetz verankerte Wehrpflicht nicht eine Frage von einzelnen Haushaltskapiteln sein kann, sondern natürlich eine sehr grundsätzliche Bedeutung für die Verteidigungsfähigkeit unseres Landes insgesamt und auch für die demokratische Verankerung unserer Bundeswehr in der Gesamtbevölkerung hat."

    Wenn man das Fahrrad nimmt, sind es vom Berliner Haus der Bundespressekonferenz keine fünf Minuten bis zum Büro von Hans-Christian Ströbele, Unter den Linden. Hier im wenig bekannten Domizil einiger Bundestagsabgeordneter werden die gleichen Themen besprochen wie anderswo auch. Erstens: Fußball. Zweitens: der Zustand der Regierung. An einen Putsch gegen Merkel glaubt das Urgestein unter den Grünen-Bundestagsabgeordneten nicht. Wer sollte einen Putsch denn anführen, fragt er sich. Guttenberg etwa? Ströbele lacht und schüttelt den Kopf. Er meint, das Hauptproblem der Regierung sei das ewige Hü und Hott. Ströbele nennt ein Beispiel.

    "Dass dieselbe Frau, die Bundeskanzlerin ist, an einem Tag das sagt, wie etwa bei der Griechenlandhilfe: Die kriegen von uns kein Geld. Und zwei Tage später ist das alles nicht mehr wahr und dann stellt man sich hin mit dem Brustton der Überzeugung, als ob man das immer so vertreten hätte, und sagt: Natürlich kriegen die Geld. Und zwar gleich 100 Milliarden. Das versteht keiner mehr. Das kann auch keiner mehr nachvollziehen."

    Ströbele spricht von Zerfallserscheinungen - von ungesteuerten. Erinnerungen an das Ende von Rot-Grün kommen auf. Und heißt das nun, dass demnächst mit einer neuen Regierung zu rechnen ist? Da lächelt der gerade 71 Jahre alt Gewordene und meint:

    "Bisher habe ich immer davon geredet: Im Jahr 2013 muss man dann immer die und die andere Politik machen. Jetzt habe ich mir angewöhnt zu sagen: im Jahr 2013 und vermutlich ja schon vorher."

    Die Bischofsstadt Limburg in West-Hessen. Eigentlich sind die FDP-Anhänger hier keine Revoluzzer. Sondern sie gelten als besonders bodenständige Liberale. Vielleicht nehmen sie es genau deshalb besonders übel, wenn die Führung in Berlin in ihren Augen die Bodenhaftung verliert. FDP-Kreischef Christoph Müller ist Mitte 30 und führt in vierter Generation die Möbel-Kette seine Familie. "Politischen Selbstmord" attestiert er seiner Parteispitze in Berlin und versüßt sein Urteil mit der Note ungenügend. FDP-Chef Westerwelle habe abgehoben und sei beratungsresistent, schimpfen sie im Kreisverband Limburg. Und fordern einen Sonderparteitag der Bundes-FDP noch in diesem Herbst. In ihrem schriftlichen Antrag heißt es:

    Die Lage ist dramatisch. Die Führung der Partei auf Bundesebene hat es mit einer beispiellosen Anhäufung von Fehlern in konzeptioneller, strategischer, taktischer und handwerklicher Hinsicht fertiggebracht, die Partei von einem grandiosen Wahlsieg in eine existenzielle Krise zu führen. Das Verhalten nach der NRW-Wahl, die Entwicklungen in der Gesundheitspolitik, das Verhalten der FDP bei der Nominierung eines Bundespräsidenten-Kandidaten etc. machen deutlich, dass das Chaos, in das der Bundesvorsitzende und seine Führungstruppe die Partei seit der Bundestagswahl gestürzt haben, unvermindert weitergeht.

    Drastischer könnte es der politische Gegner kaum formulieren. Doch kommentieren wollen die liberalen Gefolgsleute um den Kreisvorsitzenden Christoph Müller diesen kritischen Antrag vorerst nicht. Über den Limburger Antrag soll am Wochenende auf dem Landesparteitag der Hessen-FDP abgestimmt werden – bis dahin haben sich die liberalen Revoluzzer Stillschweigen verordnet. Mit unterzeichnet hat den Antrag Alexander Müller aus dem Nachbarkreis Rheingau-Taunus, er ist nicht verwandt mit dem Limburger Müller.

    "Ich denke, ein großer Fehler ist gewesen die thematische Verengung, die wir gehabt haben. Wir sind ein Stück weit auf unser Hauptthema Steuersenkung reduziert worden. Ein wichtiger Fehler war auch gewesen das Vakuum, was in Berlin entstanden ist. Der Bundesvorsitzende war Minister geworden, der Generalsekretär war plötzlich Minister, und wir hatten ein monatelanges Vakuum, in dem die CSU auf uns eingedroschen hat und einfach niemand da war, der das richtiggestellt hat."

    In der Vergangenheit sprang schon mal der hessische Landeschef Jörg-Uwe Hahn ein. Das Unionsgerede über Steuererhöhungen konterte er mit dem Verweis auf die liberale Unabhängigkeit bei der Wahl des Bundespräsidenten - "keine Drohung", beeilte er sich zu versichern,

    "Ich weise aber daraufhin, wenn die CDU nicht mit einer Stimme spricht, kann sie natürlich nicht erwarten, dass wir ihren Kandidaten, der auch unser Kandidat ist, aber der ein CDU-Parteibuch hat, einfach bedenkenlos wählt."

    'Erpressung', munkelt man in der Union. 'Richtig so', rufen hessische Liberale ihrem Frontmann zu. "Schließlich wird auf uns geschossen", und Alexander Müller meint das wörtlich:

    "Wir schießen zurück, leider auch ein Stück weit zu spät, und es ist zu wenig erkennbare Gegenwehr einfach von unserer Parteiführung sichtbar geworden. Ich denke, wenn man von Anfang an deutlich gemacht hätte, dass wir auf diesen Koalitionsvertrag bestehen und auch die einzelnen Punkte, die da drin sind, die ja jetzt von der Union alle nacheinander zerpflückt werden, wenn da von vornherein klar gesagt worden wäre, wir bestehen auf diesen Vertrag, stünden wir heute besser da, das ist meine Überzeugung."

    Das alles will die FDP Limburg-Weilburg nicht erst auf dem regulären Bundesparteitag im kommenden Jahr diskutieren. 2011 nahen nämlich wieder Landtagswahlen und damit nehme innerhalb der Partei die Neigung wieder radikal ab, Kontroversen auszutragen. Also wollen die liberalen Rebellen aus der Provinz das innerparteiliche "Chaos" spätestens im Herbst aufgearbeitet wissen.

    Heißt das, dass die westhessischen Liberalen hauptsächlich Guido Westerwelle für das Koalitionsdebakel verantwortlich machen und ihren Bundesvorsitzenden in die Wüste schicken wollen? Alexander Müller weist das zurück. Absägen wolle man Westerwelle nicht:

    "Ich finde es nur verbesserungswürdig, dass er der Basis besser deutlich machen könnte, wie es in Zukunft weitergehen soll, und wie er uns aus dem Tief wieder herausholen will."

    Der Bundesaußenminister - er soll seinen liberalen Mitkämpfern einfach mal wieder als Parteichef begegnen. Führung - und nicht mehr wünschen sich die vermeintlichen Revoluzzer aus der Provinz.

    Zurück nach Berlin. Vor den Reichstag. Bei der CDU murrt der Nachwuchs, bei der FDP begehrt die Basis auf, bei der CSU macht ein junger Minister nicht das, was seine Parteiführung will. Was hält der Souverän – nämlich das Volk - vom augenblicklichen Zustand seiner Regierung? Unter die ausländischen Touristen hat sich nun doch tatsächlich eine Gruppe aus Niedersachsen gemischt. Die überwiegend älteren Herrschaften schütteln auf die Frage, ob sie denn schon mal so ein Regierungschaos erlebt hätten, energisch die Köpfe.

    "Eigentlich nicht. Nein. - Ick mein auch nich. Nein. -
    Wir können gar nichts machen. Auch eine Neuwahl bringt überhaupt nichts. - Wer soll denn da was besser machen."

    Die Lage ist also hoffnungslos?

    "Ja, ja. - Isses auch!"

    Und für diese Niedersachsen ist damit das Ende des politischen Leidens noch gar nicht erreicht.

    "Jetzt ist natürlich nur das Problem ... unser Wulf ... wenn der gewählt wird, geht er weg. Also ist er für uns verloren. "

    Klarer Auftrag an den Reporter: Wenn Sie den Wulff sehen, sagen Sie dem, dass er in Niedersachsen bleiben soll und sich am 30. Juni nicht zum Bundespräsidenten wählen lassen soll. Für die aktuelle Bundesregierung allerdings wäre der Verbleib Wulffs in Hannover wahrscheinlich die finale Katastrophe.

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