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Aus dem Hirn eines Riesen

In der nordischen Sagenwelt heißt es, die Wolken am Himmel entstammen dem Hirn eines Riesen. Und der dänische Philosoph Sören Kierkegaard meinte dazu, tatsächlich gäbe es kein besseres Sinnbild für die Wolken, als dass sie Gedanken seien, Hirngespinste. Auch die Maler fanden in den ständig sich neu formenden Wolken ihr eigenes Tun ausgedrückt: So hat Leonardo da Vinci bereits die Phantasie schulen wollen, indem er zeigte, dass man einen Fleck an der Wand auch als Wolke betrachten könne. Die Unstetigkeit des Geistes, seine Vielfalt und Unbegrenztheit hat sich am Himmel bestätigt gefunden, und so wurden die Geister auch nicht müde, genau ihn in den Blick zu nehmen: Ob für die ersten Ölstudien im Freien, exakte Wetterforschungen oder Hymnen an das Treiben der Wolken. Einen besonderen Fokus erlaubt hierbei die Zeit Goethes: Durch die erste Wolkenkunde des Engländers Luke Howard waren die Künstler und Literaten damals versucht, ihre Wolkenstudien wissenschaftlich abzugleichen.

Von Volkmar Mühleis | 28.02.2005
    Goethe selbst war denn auch auf allen Seiten aktiv: Als Dichter, Zeichner und Oberaufseher der Jenaer Sternwarte. Wer im Augenblick nicht die Gelegenheit hat, hierzu die derzeit laufende Ausstellung Wolkenbilder - Die Entdeckung des Himmels zu besuchen, der kann sich darüber sehr gut mit dem gleichnamigen Katalog ein Bild machen, den die Kunsthistorikerinnen Bärbel Hedinger,Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider zusammengestellt haben. Über Goethes meteorologische Ambitionen meint Ortrud Westheider:


    Er hat ja (...) geholfen ein Netz von Wetterstationen aufzubauen, er war ein Enthusiast auf der einen Seite und ein strenger Beobachter und Wissenschaftler auf der andern Seite; er hat über 13 Jahre lang hin morgens Aufzeichnungen gemacht - diese Wetterdiarien -, er hat den Luftdruck vermessen und eingetragen, er hat den Himmel beobachtet; er hat sich eigentlich davon versprochen, dass, wenn man das nur genau nimmt mit den Wolken und sie genau (...) beschreibt und das festhält, dass man dann eben auch in Hinsicht auf Prognosen sehr viel (...) genauer werden kann. Das war eine große Enttäuschung, er hat es dann nach 13 Jahren (...) gelassen, weil er einfach gesehen hat, dass man diesen freien und luftigen Formationen nicht so richtig Herr werden kann, dass man eben doch (...), wie es auch heute in der Forschung der Fall ist, zu immer wieder überraschenden Veränderungen kommt.

    Caspar David Friedrich hatte bereits seine Zweifel geäußert, als Goethe ihn bat, die Wolken in systematischen Studien festzuhalten. Der Dichter selbst hat es dann in Worten getan, als er den Wolkentypen, die Luke Howard benannt hatte, ein ganzes Gedicht widmete: Howards Ehrengedächtnis. Die ersten beiden Strophen erzählen von der Schichtwolke:

    Wenn von dem stillen Wasserspiegel-Plan
    Ein Nebel hebt den flachen Teppich an,
    Der Mond, dem Wallen des Erscheins vereint,
    Als ein Gespenst Gespenster bildend scheint
    Dann sind wir alle, das gestehn wir nur,
    Erquickt, erfreute Kinder, o Natur!

    Dann hebt sich’s wohl am Berge, sammelnd breit
    An Streife Streifen, so umdüstert’s weit
    Die Mittelhöhle, beidem gleich geneigt,
    Ob’s fallend wässert, oder luftig steigt.


    Während die Klassiker und Romantiker noch über das ideale Erfassen der unnahbaren Wolken nachdachten, hatte man in Großbritannien das Naturschauspiel als Unterhaltungsmedium entdeckt: Im Eidophusikon vergnügten sich die Londoner, dem ersten Lichtspieltheater. Ortrud Westheider:

    Das ist erdacht und zum ersten Mal gebaut worden von einem Maler, von Loutherbourg, der also Landschaften malte und der eben unter dem Eindruck auch (...) dieses Interesse für das Veränderliche gesagt hat, wir müssen ein Landschaftsbild hier entwickeln, was nicht statisch ist. Und dann hat er (...) ein Theater erdacht, mit unterschiedlichen Plänen und Maschinerien für das Aufziehen von Wolken, von Gewitterstimmung, von Blitzen. Das ist natürlich noch sehr in der barocken Theatertradition, aber er hatte keine Schauspieler, er hat also rein ein Landschaftsbild in Bewegung versetzt, und das hatte eben den Effekt, das wirklich ganz wichtige Maler in der Zeit sich da auch für interessiert haben - so zum Beispiel Gainsborough ist ein ständiger Gast dieser Vorführungen gewesen, und wir haben das (...) für die Ausstellung jetzt zum ersten Mal rekonstruiert und das hatte hier auch einen Rieseneffekt.

    Die Faszination für Wind und Wetter hatte also nicht nur die Freilichtmalerei zur Folge, sondern auch die technische Vorbereitung des Kinos. Der Theatermaler Carl Gropius eröffnete 1827 in Berlin sein Lichtspielhaus, das als ’Wunderkammer’, als ’Salle de Miracle’ gefeiert wurde und bis zu 3000 Besuchern am Tag auf bewegten Transparentbildern Naturdarstellungen und biblische Szenerien präsentierte. Die Industrielle Revolution kannte auch eine erste Unterhaltungsindustrie. Der 1849 geborene Schriftsteller und Maler August Strindberg vermerkt hierzu:

    Für uns Menschen des Dampfes, der Elektrizität, der Eilpost, des Telefons: Alla prima! Es leben die Studien, die man in fünf Minuten in den Konzertcafés auf die Leinwand gebracht hat.

    Strindberg hatte seine rund 70 Gemälde dabei keineswegs in Cafés gemalt, auch zeigen sie nicht das Leben der Bohème, sondern - fast ausschließlich - den Himmel, jedoch so entfremdet, dass der Betrachter sich einer abstrakten Vehemenz gegenüber sieht, von Schwarz und Weiß, in Grauabstufungen, mit einigen blauen Aufhellungen. Ortrud Westheider über seine Wolkenstudien:

    Strindberg (...) geht einerseits wie ein Wissenschaftler ran, aber andererseits verhüllt er dann auch die Sachen wieder, er ist (...) ja eine Generation später als jetzt die Wolkenforscher, die das ganz streng wissenschaftlich machen, und er sucht eigentlich nach einer Synthese, er stellt es in’nen größeren Zusammenhang, und er hat auch (...), ja, ’ne esoterische Haltung dazu, das heißt (...) für ihn sind die (...) Himmel eigentlich der Spiegel auch wiederum des Inneren. Das ist etwas, was man in den Bildern auch sehr schön sehen kann: Sie sind ja vor dem Expressionismus gemalt, aber sie haben eben so eine vorexpressive Anmutung, sie sind stark düster gemalt, es sind unvermischte Farben, die er mit einem Palettmesser aufträgt, also es geht ihm um diese Stimmung, um (...) ein’ Stimmungsausbruch, eine Expression, und das wird eben über (...) den dramatischen Himmel zum Ausdruck gebracht.

    Der Band Wolkenbilder - Die Entdeckung des Himmels ist allerdings nicht allein durch seine Querverweise zwischen Kunst und Literatur, Meteorologie und technischer Entwicklung interessant, sondern bietet auch über die zu erwartenden kunsthistorischen Standards hinaus aufschlussreiche Anregungen für Kunstliebhaber. Bekannte Wolkenmaler wie Jacob van Ruisdael oder John Constable werden im Zusammenhang der Malertraktate ihrer Zeit vorgestellt, und im Verlauf der chronologischen Übersicht entdeckt man die Ölstudien eines Carl Blechen oder etwa das Montmartre-Gewitterbild von Georges Michel - beides Künstler aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nicht allein die abgebildeten Gemälde und Zeichnungen laden ein, seinen Gedanken und Vorstellungen freien Lauf zu lassen, der Katalog unterstützt dieses Bedürfnis ebenso informativ wie anspielungsreich. So banal Wind und Wetter uns oft erscheinen, so nachhaltig ist doch ihr Einfluss: Ob die Wolken uns nun als Sinnbilder unserer Stimmungen erscheinen, als staunend machende Luftgebilde oder einfach als Hirngespinste, eben jenes mächtigen Riesen aus den nordischen Sagen, der unsere Welt denkt.

    Wolkenbilder - Die Entdeckung des Himmels"
    Ausstellungskatalog von Bärbel Hedinger, Inés Richter-Musso und Ortrud Westheider
    Hirmer Verlag München
    256 Seiten. 39,90 Euro
    In der Nationalgalerie der Staatlichen Museen zu Berlin ist Ausstellung noch bis zum 30. Januar zu sehen,danach vom 26. Februar bis zum 8. Mai
    im Aargauer Kunsthaus.