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Aus dem Leben einer Lady

In "Northanger Abbey" schildert die weltklasse Autorin Jane Austen das Leben einer jungen Lady in der südenglischen Provinz zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Liebesgeschichte bietet Einblick in die Gesellschaft der Begüterten und Adeligen, beleuchtet das Geschlechterverhältnis, die damalige Bedeutung von Heirat und Mutterschaft.

Von Sabine Peters | 30.11.2008
    Wie muss es schön gewesen sein in der guten alten Zeit, in "Merry old England", zumal, wenn man zur ländlichen Oberschicht zählte und daher Muße hatte, deren Sitten, Herzensregungen und Tändeleien zu schildern. Weil es aber seinerzeit als ungehörig und unschicklich galt, wenn Frauen schrieben, erschien 1811 ein Roman unter dem Titel "Sense and Sensibility" mit der schlichten Autorenangabe: "By a lady".

    Beim nächsten Roman "Pride and Prejudice" wurde bereits darauf hingewiesen, dass die namenlose "lady" immerhin den oben genannten sehr erfolgreichen Roman vorgelegt hatte, hierzuland bekannt unter dem Titel "Gefühl und Verstand". Die Pfarrerstochter Jane Austen, geboren 1775, erlebte nicht mehr, wie eines ihrer unveröffentlichten frühen Werke, "Northanger Abbey", schließlich doch noch publiziert wurde, 1818, ein Jahr nach ihrem Tod.

    Jane Austen spaltet die Gemüter bis heute: Ihre Bücher gelten dem einen als artige Stickarbeiten, als maßlos langweilig. Und zugegebenermaßen geht es ja gern und ausführlich um Banales, etwa um die Konsistenz des abendlichen Haferschleims, den der alternde Mr. Woodhouse seinen Gästen warm empfiehlt - so beispielsweise im Roman "Emma".

    Mark Twain wollte Jane Austen ihre eigenen Schienbeinknochen über den Schädel schlagen, so sehr reizte ihn das Dauerthema dieser Autorin: Sie schildert in allen Büchern Angehörige des niederen Adels in der südenglischen Provinz; und die wichtigste Frage der selbst zeitlebens unverheirateten Jane Austen lautet jedes Mal: Wie kommen unvernünftige junge Frauen zu Vernunft und zu standesgemäßen Ehemännern?

    Eine Lektüre für Tanten, könnte man spötteln - gäbe es nicht höchst verehrungswürdige Tanten; und Jane Austen selbst war schließlich auch eine solche. Sie wird im übrigen beileibe nicht nur belächelt oder verhöhnt: Austen war bei ihren zeitgenössischen Lesern äußerst beliebt. Später, Anfang des 20. Jahrhunderts, rühmte John Cooper Powys sie als schöpferische Realistin, die ihren Figuren Lust und Last des wirklichen Lebens verlieh, kurz, die ihnen Substanz gab.

    Virginia Woolf bewunderte Austens lebendigen Dialoge und die ironische Figurenzeichnung. Es ist erstaunlich, wie beliebt die nicht eben spannungsgeladenen oder temporeichen Bücher von Austen auch heute sind. In den neunziger Jahren erreichte das Interesse an Austen-Adaptionen für Fernsehen und Kino einen neuen Boom; die - freundlich gesagt - opulent und reichlich gefühlvoll inszenierten Filme waren ein Straßenfeger. Und wer sich im Internet umsieht, findet eine riesige Fangemeinde; die Leute - meist Frauen - tauschen ihr Fachwissen über verschiedene Figuren aus und beraten sich gegenseitig, ob sie sich eher einen Charakter wie den gediegenen Mr. Knightley oder den Charmeur Mr. Churchill zum Partner wünschen.

    Um die Wahl des richtigen Partners geht es natürlich auch in "Northanger Abbey": Catherine Morland ist die Heldin des Buchs, zu der sie doch gar nicht taugt:

    Niemand, der Catherine Morland als Kind gekannt hatte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie zur Romanheldin bestimmt sei. Die familiären Verhältnisse, die Eigenschaften der Eltern, Catherines Aussehen und Veranlagung sprachen sämtlich gegen sie. Sie wirkte dünn und linkisch, hatte eine fahle, farblose Haut, dunkles, strähniges Haar und ausgeprägte Gesichtszüge - so viel zu ihrer äußeren Erscheinung. Dem Wesen nach schien sie nicht minder untauglich zur Heldin. Sie liebte Knabenspiele und zog Kricket nicht nur den Puppen vor, sondern auch den edleren Freuden der Kindheit wie der Aufzucht einer Haselmaus, dem Füttern eines Kanarienvogels oder dem Wässern eines Rosenstrauchs. Sie lernte oder begriff etwas erst dann, wenn man es ihr beibrachte, und mitunter nicht einmal dann, denn oft war sie unaufmerksam und gelegentlich auch begriffsstutzig. Der Tag, an dem der Musiklehrer entlassen wurde, war einer der glücklichsten in Catherines Leben.

    Mit fünfzehn besserte sich ihr Aussehen. Ihre Liebe zum Schmutz wich einer Neigung zum Putz und sie las alle Bücher, die Heldinnen lesen müssen. In dieser Hinsicht machte sie also durchaus befriedigende Fortschritte - und auch auf vielen anderen Gebieten kam sie bestens voran; sie selbst verfasste zwar keine Sonette, aber sie rang sich dazu durch, welche zu lesen, und wiewohl keine Aussicht darauf bestand, dass sie eine Gästeschar durch ein selbstkomponiertes Präludium für Pianoforte hinriß, vermochte sie immerhin den Darbietungen anderer ohne allzu große Ermüdung zu lauschen.


    Diese Catherine also lernt in Bath verschiedene junge Leute kennen, Isabella Thorpe und ihren Bruder John, den jungen Geistlichen Henry Tilney und seine Schwester Eleanor. Einige Wochen lang gibt sie sich den Unterhaltungen und Zerstreuungen hin, die für das Milieu der Seebäder typisch sind: Man besichtigt Sehenswürdigkeiten in der Stadt, geht zur Brunnenhalle, nimmt an Bällen, Dinners, Theateraufführungen und Landpartien teil.

    Die erfahrene Isabella weiß, dass es darum geht, nach einer guten Partie Ausschau zu halten, und sie geht mit einer plumpen List vor, die ein gutgläubiges und geradliniges Gemüt wie Catherine nicht begreift. Die meint, was sie sagt, und versteht also auch die Doppelzüngigkeit von Isabelles Bruder John nicht - er prahlt mit nichtvorhandenen Fähigkeiten und Besitztümern, versucht, mit ihr zu flirten - umsonst. Die unschuldige Catherine fühlt sich wesentlich mehr zu Henry Tilney und seiner Schwester Eleanor hingezogen, wobei dieser Henry auf andere Weise als John seine Überlegenheit über diese Nicht-Heldin zeigt.

    Im Gegensatz zu John bedrängt Henry sie nicht, vielmehr macht er sich auf spielerische Weise zu ihrem Lehrer: Er versteht sich auf Spott, und so lästert er schon bei der ersten Begegnung gegen die erbaulich-sentimentalen Frauenromane, in denen das schöne Geschlecht immer zur rechten Zeit in Tränen ausbricht oder in kleidsame Ohnmacht fällt. Henrys scharfe Zunge macht auch nicht Halt vor den von Catherine so geliebten Schauerromanen, den "Gothic Novels" einer Ann Radcliff - ihr Roman "Die Geheimnisse von Udolpho" war seinerzeit äußerst populär.

    Catherine bewundert alles, was Henry sagt, Verstandenes wie Unverstandenes, und bleibt ihren Schauerromanen trotzdem treu. Da passt es gut, dass Henrys gestrenger Vater, General Tilney, Catherine wohlwollend einlädt, einige Wochen in Northanger Abbey, dem Wohnsitz der Familie zu Gast zu sein. Er scheint ein Interesse an einer Verbindung zwischen Henry und ihr zu haben. Northanger Abbey ist ein ehemaliges Kloster, und auf der Kutschfahrt dorthin, begleitet von Henry, geht es um Catherines hochgespannte Erwartungen; die vielen halbverdauten Gruselromane legen ihr nahe, dass das Heim der Familie Tilney ein schaurig-schöner Ort sein muss.

    "Es ist doch ein herrlicher alter Wohnsitz, wie aus einem Roman, nicht wahr?" "Sind Sie denn auf all die Schrecknisse gefaßt, die ein Gebäude 'wie aus einem Roman' hervorrufen kann? Sind Sie beherzt? Sind Ihre Nerven stark genug für Schiebewände und Tapetentüren?" "Aber ja. Ich glaube nicht, dass ich mich leicht fürchte." "Aber Sie müssen wissen, wenn eine junge Dame zum ersten Mal einen solchen Wohnsitz besucht, wird sie stets fern von der Familie einquartiert. Während alle anderen sich gemütlich in ihren Teil des Hauses begeben, geleitet die uralte Haushälterin sie in aller Form eine abgelegene Treppe hinauf und bringt sie durch mannigfache düstere Korridore in ein Zimmer, das unbewohnt geblieben ist, seit vor etwa zwanzig Jahren ein Vetter darin verstorben ist. Sind Sie einem solchen Zeremoniell gewachsen? Überfällt Sie nicht ein banges Ahnen, wenn Sie erst einmal in diesem düsteren Gemach sind? Die Wände hängen voller Gobelins mit lebensgroßen Figuren, und die Schlafstatt mit purpurrotem Samt erinnert an einen Katafalk. Verlässt Sie da nicht aller Mut?" "Oh! Aber so etwas passiert mir bestimmt nicht." "In der zweiten, spätestens dritten Nacht nach Ihrer Ankunft zieht wahrscheinlich ein schweres Gewitter auf. Donnerschläge, die das Gebäude bis in die Grundfesten erzittern lassen. Und Sie glauben zu erspähen, dass sich unter den erschröcklichen Windstößen ein Gobelin heftiger bewegt als die anderen. Sie erheben sich sogleich, werfen sich das Negligé um und gehen dem Geheimnis nach. Schon nach kurzer Suche entdecken Sie in dem Wandteppich einen Spalt, sie ziehen ihn auseinander, und augenblicklich erscheint eine Tür, und mit dem Leuchter in der Hand schreiten Sie hindurch und gelangen in ein kleines Gewölbe. Da erlischt plötzlich die Kerze im Leuchter und läßt Sie in völliger Dunkelheit zurück." "O nein, nein, sagen Sie nicht so etwas! - Und dann?"

    Henry kann vor Lachen nicht weitersprechen, Catherine schämt sich gehörig - und was sich dann tatsächlich in der Abbey ereignet, ist zwar schreckenerregend, aber doch ganz anders, als es sich die roman-untaugliche Heldin denkt. Die malt sich zunächst so angegraust wie fasziniert aus, Henrys Vater, der General habe seine Frau ermordet oder lasse sie in einem finsteren Kellergelass schmachten. Aber Jane Austen legt bewusst falsche Spuren und ihre Heldin muss lernen, Fantasie und Realität zu trennen. So entpuppt sich ein geheimnisvolles Dokument, das sie nachts unter mysteriösen Umständen findet, tagsüber als banale Wäscheliste. Der Roman tritt über einige Kapitel hinweg selbst als Schauerroman auf - aber nur, um die geweckte Erwartung spöttisch zu unterlaufen. Dieses Vorgehen wurde Austen teils vorgehalten, dann hieß es, sie hätte diesen frühen Roman überfrachtet. Das ist Unsinn.

    Denn schon die junge Autorin zieht die Handlungsfäden mit Leichtigkeit und mit einer bewundernswerten Souveränität. Sie schubst ihre Catherine in die Abbey, damit sie dort lernt: Wenn es einen Schrecken gibt, dann liegt er nicht in den Hirngespinsten von Spukgestalten, sondern im Verhalten realer Menschen. Und die sind nicht, wie in den Schauerromanen der zeitgenössischen Kollegen, Schurken mit diabolischen Zügen. Jane Austen lässt ihr Alter Ego Henry mehrfach in handfeste Kollegenschelte, in Sprach- und Literaturkritik ausbrechen. An den Übertreibungen einer Ann Radcliffe mit ihrem "Udolpho" bleibt kein gutes Haar.

    Wenn es bei Austen eine Beklommenheit gibt, dann wird sie nicht durch unerklärliches Kettenrasseln bei Nacht ausgelöst, sondern durch die Sorge, einen Pantoffel vergessen zu haben. John Thorpe ist kein wachsbleicher glutäugiger Schurke, sondern ein banaler und gedankenloser Aufschneider und Geck. Und der General? Trotz ihres Verdachts gegen ihn wirkt er auf Catherine bei Tageslicht als ein zwar gestrenger, aber beeindruckender Mann. Sie ist erfreut von den wohlwollenden Anspielungen, die er ihr gegenüber als möglicher Schwiegertochter macht. Denn Catherine schätzt Henry schon ein bisschen mehr als eine Schülerin den Lehrer. Dabei hat sie von ihm selbst noch keine Liebeserklärung gehört - und dann muss Catherine erleben, dass sein Vater, dieser scheinbar so großzügige Mann sie Hals über Kopf aus dem Haus wirft, weil ihre Mitgift anscheinend doch nicht so hoch ist, wie er es erhoffte.

    Über Geld spricht man nicht? Vermögensverhältnisse spielen keine Rolle bei einer geplanten Eheschließung? Mag sein, dass das heute keine Rolle spielt, wo alles reine Liebe ist, heute, wo kaum einmal ein Vater seinen Kindern autoritär in ihre Ehepläne hineinredet - seltsam nur, dass klassenüberschreitende Eheschließungen doch die Ausnahme sind, und man könnte sich fragen, welche ungeschriebenen Gesetze auch jetzt noch so funktionieren, dass die Schichten weitgehend unter sich bleiben.

    Jane Austen nimmt kein Blatt vor den Mund; sie verschweigt die materiellen Motive nicht, von denen ihre Zeitgenossen umgetrieben werden. Die ledigen jungen Frauen, von denen sie erzählt, stehen ganz offensichtlich unter dem Diktat der Vermögensverhältnisse. Wenn sie eine respektable Stellung in der Gesellschaft einnehmen wollen, müssen sie sich gut verheiraten, anderenfalls sind sie vom Wohlwollen ihrer Angehörigen abhängig.

    Die Figur der alterslosen Jungfer Miss Bates im Roman "Emma" ist ein abschreckendes Beispiel für eine solche Existenz, sie bedankt sich kniefällig für jeden Sack Äpfel aus der Nachbarschaft und wird nicht müde, die Haltbarkeit ihrer Unterröcke zu loben. Wenn eine Frau nicht enden will wie Miss Bates, muss sie einen erfahrenen, gutsituierten, gebildeten Mann finden, der ihr hilft, sich zu vervollkommnen.

    Henry ist genau der richtige Mann für Catherine, denn er hilft ihr, erste Eindrücke zu überprüfen und den Realitäten ins Auge zu sehen. Dabei erweist sich zum Beispiel, dass die anfangs bewunderte vermeintliche Freundin Isabella eine intrigante Zicke ist - und Jane Austens nimmt den Lesern sogar auch noch ein paar Illusionen über den klugen, gewitzten Henry und die zwar deutlich eindimensional gestrickte, aber liebenswerte und ja schließlich doch heranreifende Catherine. Als die beiden nach allerhand Irrungen und Wirrungen endlich einmal miteinander allein sind, erklärt er sich ihr, offenbar in artigen und überzeugenden Worten, denn dann heißt es:

    Er hatte dies so vorzüglich getan, dass Catherine fand, er könne es nicht oft genug wiederholen. Er versicherte sie seiner Liebe und erbat im Gegenzug jenes Herz, das, wie vermutlich beide schon wußten, längst ihm gehörte; denn wiewohl Henry ihr nun ehrlich zugetan war, wiewohl er ihre Vorzüge erkannte und liebte und ihre Gesellschaft aufrichtig schätzte, muss ich gestehen, dass seine Zuneigung letztlich aus einer gewissen Dankbarkeit erwachsen war, oder mit anderen Worten, erst als er den Eindruck gewann, dass sie eine Schwäche für ihn hatte, begann er ernsthaft über sie nachzudenken. Ich gebe zu, das ist etwas Neues in einem Roman und der Würde einer Heldin furchtbar abträglich. Sollte es aber auch im wirklichen Leben etwas Neues sein, so gebührt mir zumindest anerkennendes Lob für meine grenzenlose Phantasie. Bald darauf fand das genehmigte Ereignis statt: Henry und Catherine heirateten, die Glocken läuteten, und alle Welt lächelte.

    Ironie nach allen Seiten: Henrys Liebeserklärung wird entzaubert, das Konzept der hehren romantischen Liebe wird auf ein solides Fundament gestellt. Und auf der Meta-Ebene, der Selbstreflektion über das eigene Vorgehen, findet ebenfalls eine milde Selbstbespöttelung statt. Danach kann dann alles gut werden, Catherine kommt unter die Haube - und natürlich liest man ein Buch wie "Northanger Abbey" auch, weil es die tiefe Sehnsucht nach einer geordneten, überschaubaren Welt befriedigt. Hier gibt es feste Werte und Währungen, die erkannt und akzeptiert werden müssen, damit alle an den ihnen jeweils zustehenden Plätzen glücklich werden. Jane Austen hat keinerlei Einwände dagegen, die Schichten bleiben jeweils bei sich, und an den Grundfesten der Geschlechterordnung wird nicht gerüttelt. Daher wäre es falsch, sie als Vorreiterin emanzipatorischer Anliegen zu vereinnahmen.

    Austen führt die Leser in das Selbstverständnis ihrer Zeitgenossen ein, und das wirkt von heute aus gesehen manchmal etwas bizarr. Muss es bei Catherine zu einer Atemnot führen, dass der General ihr keinen Diener für die Kutschfahrt nach Hause mitgibt, sondern ihr nur eine Mietdroschke, sprich, ein Taxi organisiert? Offensichtlich war das seinerzeit ein Grund für Tränenströme und Atemnot. Die Unselbständigkeit, die Demut, der Gehorsam und die Empfindlichkeit der jungen Damen wehen einen manchmal sehr fremd an - aber gerade dieses Befremden markiert den Abstand, der zwischen zwei Jahrhunderten liegt.

    Das Fatale zahlreicher historischer Romane, die heute geschrieben werden und sich lustvoll vor malerischer Kulisse ausbreiten, liegt doch darin: Die Umgangsformen und Ansichten von jetzt werden auf historische Figuren projiziert; das heißt ein modernes beziehungsweise postmodernes Bewusstsein wird in alte Kostüme gesteckt. Die jeweiligen Heldinnen in solchen Historienschinken sind, auch wenn sie Häubchen tragen und ihre Stirnlöckchen kräuseln, so reflektiert und selbständig wie eine durchschnittliche heutige gepiercte und tätowierte Abiturientin.

    Die Charaktere von Jane Austen dagegen sprechen und handeln tatsächlich aus ihrer Zeit heraus; es war das literarische Programm Austens, ihren Zeitgenossen einen Spiegel vorzuhalten. Daher ist eben auch die weibliche Selbstbestimmung kein Thema. Catherine wird ihre Erfüllung als Hausfrau im Heim des respektablen Henry finden.

    Auffällig ist in allen Romanen Jane Austens, dass die Freuden der Mutterschaft nicht thematisiert werden. Die Aufzucht der Kinder erscheint als ein wenig erstrebenswerter Dienst, und die entsprechenden Frauen wirken fast immer als unselige, etwas peinliche Geschöpfe, die mit viel Lärm um ihre Kinder herumwuseln oder gar ihre Ehemänner bemuttern.

    Jane Austens Vergnügen als Autorin lag hauptsächlich darin, den zu ihrer Zeit so beliebten "Courtship-Plot" zu inszenieren, und zwar als einen formvollendeten, eleganten Tanz. "Northanger Abbey" ist ein herzhaft altmodischer Roman, er ist nicht auf ein Reizschema reduziert, er baut nicht auf vordergründige Aufmerksamkeitsreflexe. Das Buch lässt sich Zeit. In wohlbemessenen, zierlichen kleinen Schritten entwickelt sich die Beziehung zwischen Henry und Catherine: Aus dem anfänglichen Lehrer-Schüler-Verhältnis wächst eine geschwisterlich anmutende Beziehung, bis die beiden dann schließlich als Mann und Frau vor dem Altar landen.

    Der klaren Komposition ihres Romans entspricht eine disziplinierte und dabei virtuose Sprache. Da gibt es die genießerische Abbildung von Schwatz und Tratsch; da finden sich geistreiche Reflektionen über einen vernünftigen Sprachgebrauch und über bildende Lektüren. Austens Figuren werden wesentlich über ihre Ausdrucksweise charakterisiert, die Autorin schreckt beispielsweise nicht davor zurück, einem John Tilney Flüche in den Mund zu legen, um ihn vom gewitzten Henry abzuheben, dessen Sprechen sich gelegentlich dem Parlando nähert.

    Davon wiederum setzen sich die scharfzüngigen Kommentare Jane Austens selbst ab. Sie stellen immer wieder eine Distanz zum Geschehen her, sie verfremden. Die ungebrochene Identifikation mit der Heldin wird dadurch vermieden. Als Leser kann man sich sozusagen zurücklehnen und aus wohltuendem Abstand das Theater auf Austens Miniaturbühne verfolgen. Die Autorin selbst hat von ihrer Arbeit einmal gesagt: Das seien feine Pinselstriche, die auf einem nicht mehr als zwei Zoll großen Stück Elfenbein aufgetragen würden.

    "Northanger Abbey", dieser aufmüpfige und charmante Schauer- und Liebesroman, ist nicht zuletzt auch ein Bildungsroman, der den sentimentalen Frauenromanen widerspricht; der die Lebenswelt des Landadels auf geradezu ketzerisch wirklichkeitsgetreue Weise abbildet. Damit war Jane Austen ihrer Zeit voraus - ihre Bücher kündigen bereits den Realismus des neunzehnten Jahrhunderts an.
    Jane Austen : Northanger Abbey
    Aus dem Englischen von Andrea Ott
    Nachwort von Paul Pleschinski
    Manesse, 650 Seiten, 25,60 Euro