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Aus dem Rennen?

Vor 60 Jahren trat das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland in Kraft. Seither hat es immer wieder Novellierungen des Gesetzestextes gegeben. Zunehmend wird die Frage diskutiert, ob der Sport im Grundgesetz verankert werden soll oder nicht - und spaltet dabei sogar die Große Koalition.

Von Astrid Rawohl und Jessica Sturmberg | 17.05.2009
    "Aufgabe des Staates ist es die Kultur und den Sport zu fördern."

    Mit diesem Formulierungsvorschlag hatte sich Peter Danckert, der Sportausschuss-Vorsitzende des Deutschen Bundestages, Anfang dieses Jahres erneut dafür stark gemacht, den Sport als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern. Unterstützung erfuhr der SPD-Politiker dabei aus den Lagern der FDP und der Grünen. Allerdings erhielt diese mit neuer Intensität geführte Initiative durch den Widerstand der CDU gerade erst einen heftigen Rückschlag: Ein Gruppenantrag mehrer Parlamentarier im Frühjahr kam nicht zustande, wie Sportausschussvorsitzender Danckert erläutert:

    "Wir brauchen ja eine Zwei-Drittel-Mehrheit und das hätte dann auch wieder einen Konflikt bedeutet mit dem Koalitionspartner, den wir im Sport eigentlich nicht haben und den wir im Rechtsausschuss auch nicht haben und insofern ist das jetzt auf die lange Bank geschoben."

    Es sind ganz grundsätzliche Bedenken. Keine Überfrachtung, keine falschen Versprechen, keine Verfassungslyrik. Das Grundgesetz soll auf die wesentlichen Werte beschränkt bleiben.

    "Wenn sie jetzt einen einzigen Bereich herausnehmen, können sie nicht mehr begründen, warum sie die anderen Bereiche, die ebenfalls jeweils sehr berechtigte Anliegen haben, dann nicht in die Situation versetzen, auch mit einem Staatsziel versehen zu werden, deshalb bin ich generell - und ist auch die CDU generell - gegen die Verankerung weiterer Staatsziele im Grundgesetz","

    betont CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla und spricht damit auch Bundeskanzlerin Angela Merkel aus dem Herzen. Vergeblich hatte der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Thomas Bach, auf der DOSB-Gründungsversammlung vor fast genau drei Jahren versucht - an historischer Stätte in der Frankfurter Paulskirche - die Kanzlerin auf die Linie des Sports zu bringen:
    ""Frau Bundeskanzlerin, ist es nicht an der Zeit, die Leistungen von Millionen Menschen im Sport anzuerkennen, ist es nicht an der Zeit, den Beitrag des Sports zum Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu würdigen? Ich glaube es ist höchste Zeit, dass der Sport in das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen wird."

    Seitdem verfolgt der einflussreiche Lobbyist Bach, der der FDP angehört, gemeinsam mit DOSB-Generaldirektor Michael Vesper dieses Ziel,

    "weil es an der Zeit ist, dass der Sport mit anderen Staatszielen gleichgestellt wird. Der Sport erfüllt wichtige Aufgaben der Daseinsvorsorge in unserer Gesellschaft und muss deswegen in den Abwägungsprozessen, sei´ es vor Gericht, sei es in der Verwaltung, sei es in Parlamenten, entsprechende Berücksichtigung finden"."

    Gut 27 Millionen Mitglieder in über 91.000 Vereinen betreiben Sport. Die größte Personenvereinigung hierzulande steht ihren eigenen Statuten zufolge für Werte wie Integration, Identitätsbildung, Prävention und Rehabilitation im Gesundheitswesen, Engagement im Ehrenamt. Zudem verweist der DOSB-Präsident auf die Wirtschaftskraft des Sportes und seine Medienwirkung. Doch rechtfertigt das ein Staatsziel Sport in der Verfassung?

    ""Ich sehe da keine Reflektion, ich sehe nur die üblichen Balkonerklärungen",

    kritisiert der Berliner Philosophieprofessor und Soziologe Gunter Gebauer und der ehemalige Bundesverfassungsrichter Dieter Grimm schreibt in einem Essay für die Frankfurter Allgemeine Zeitung:

    "Verfassungen sind keine Verdiensturkunden sondern ein Komplex von Rechtsnormen, die Einrichtung und Ausübung der Staatsgewalt regeln."

    Welche Wirkung Sport im Grundgesetz für die Bürger überhaupt hätte, dazu meint der Mainzer Verfassungsrechtsprofessor Friedhelm Hufen:

    "Also das darf man nicht überschätzen, einerseits gibt es keine Ansprüche, die der Einzelne dann hätte, etwa auf Sportförderung einer Stadt ein Stadion zu bekommen oder die Weltmeisterschaft zu bekommen. Ein Staatsziel Sport heißt nur, es ist eben ein Ziel, aber das Mittel des Staates bleibt frei. Die negative Folge wäre allerdings, der Staat hat dann auch mehr Möglichkeiten sich um den Sport zu kümmern."

    Genau das aber begreift der Grünen-Sportsprecher im Bundestag Winfried Hermann als große Chance:

    "Es hätte den Vorteil, dass der Staat dann auch verpflichtet ist, sozusagen für einen sauberen Sport zu sorgen und sich nicht immer darauf rauszureden, es ist zuallererst Sache des selbst organisierten Sports, eben weil es ein Staatsziel ist, und was mir auch wichtig ist, das ist, dass man den Sport nicht vollkommen sozusagen dem privaten Kommerz und dem Sponsoring überlässt, weil man erkennt, dass es eben eine gesellschaftlich positive Funktion ist, die der Sport ausübt und dafür kann man eben dann halt auch öffentliche Mittel zur Verfügung stellen."

    Angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung und der vom Sport allein offenbar nicht in den Griff zu bekommenden Dopingproblematik sieht auch Bundestagspräsident Wolfgang Thierse eine Gelegenheit, dass der Regierung, die immer noch kategorisch ein Anti-Doping-Gesetz ablehnt, mehr Verantwortung zukäme. Für Leistungssport, aber mehr noch für Breiten- und Nachwuchssport:
    "Das könnte ein Instrument dafür sein, dass wir die Förderung des Sportes ernsthafter betreiben, was ja dann auch heißt, wir müssen uns darüber unterhalten, was eigentlich Förderung ist. Das muss ja nicht heißen, nur die Hochleistung um jeden Preis zu erzielen. Sondern für das Wohlbefinden von Menschen ist Sport, ist Bewegung etwas unerhört Wichtiges und das zu fördern, glaube ich, ist ein sinnvolles Staatziel."

    15 von 16 von Bundesländern, die Ausnahme ist Hamburg, haben in ihrer Verfassung Sport zum schützenswerten Gut erklärt. Auch der Entwurf der Europäischen Verfassung, der von der Bundesrepublik Deutschland bereits ratifiziert worden ist, enthält einen Passus zum Sport. Ein entsprechender Artikel im Grundgesetz könnte nach Ansicht des Kieler Verfassungs- und Sportrechtlers Martin Nolte die Akzeptanz der Verfassung insgesamt in der Gesellschaft steigern:

    "Wenn man mal was reinschreibt in die Verfassung, womit sich der Einzelne identifizieren kann, das ja auch eine, sage ich mal, Transmission sein kann für die Akzeptanz anderer Werte, die da schon drin stehen, das man sagt, man findet sich dort in der Verfassung auch selbst wieder."

    Zu viel Gutgemeintes könne das Gegenteil bewirken. Mit Bedacht hätten die Mütter und Väter des Grundgesetzes die Verfassung schlank gehalten und darauf verzichtet, Werte wie soziale Grundrechte, Recht auf Arbeit oder Recht auf Gesundheit zu verankern, betont die bayrische Justizministerin Beate Merk:

    "Das Grundgesetz soll ein Halt sein für die Bürgerinnen und Bürger, aber es soll nicht Einzelwünsche aufnehmen, ich bin sehr wohl der Meinung, dass wir den Sport stärken müssen, aber sicherlich nicht über einen solchen Satz im Grundgesetz".

    Sport im Grundgesetz wird es in dieser Legislaturperiode nicht mehr geben. Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit kommt nicht zustande. Aber man hat sich in der großen Koalition auf den Kompromiss geeinigt, dass

    ""wenn es sozusagen im Bereich der Staatsschutzziele zu Änderungen kommt, dass dann in jedem Fall der Sport mit dabei ist. Das ist eine Zusage der Union, auf die man wahrscheinlich auch bauen kann","

    so der Sportausschussvorsitzende Peter Danckert von der SPD. Einig sind sich aber alle Politiker darin, dass der Sport ein förderungswürdiges Gut ist und auch bleiben soll - unabhängig von einer Verankerung im Grundgesetz.