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"Aus den Fehlern lernen bei der Bestellung des neuen Materials"

Patrick Döring verlangt von der Deutschen Bahn, Konsequenzen aus den Problemen mit Klimaanlagen in Fernzügen zu ziehen. Gegebenenfalls müssten die Wagen nachgerüstet werden. Es sei zu überprüfen, ob die bis zu zwölf Jahre alten Wagen den heutigen Komfortansprüchen noch genügten.

Patrick Döring im Gespräch mit Dirk Müller | 15.07.2010
    Dirk Müller: Bei mehr als 50 Grad im ICE, das kann kein Mensch über mehrere Stunden aushalten. Zahlreiche Passagiere sind denn auch kollabiert, weil die Klimaanlage in den zurückliegenden Tagen in über 40 Zügen versagt hat. Die Bahn reagiert wie immer hilflos, unbeholfen, so sehen das jedenfalls die Oppositionsparteien. Das soll auch schon gewesen sein bei den defekten Radlagern beispielsweise, beim Winterchaos sowie auch bei den defekten Türen. Das Vertrauen in die Deutsche Bahn sinkt, der Druck auf die Konzernführung wächst. Am Telefon ist nun Patrick Döring, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Guten Tag.

    Patrick Döring: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Döring, fahren Sie jetzt doch lieber auch wieder mit dem Auto?

    Döring: Nein. Ich bin und bleibe leidenschaftlicher Bahnfahrer, wenn es auch zurzeit quälend und mühsam ist bei diesen Temperaturen, für den Fall, dass, wie auch bei mir Freitag auf der Rückfahrt von Berlin passiert, die Klimaanlage nicht funktioniert.

    Müller: Und da hatten Sie so einen kleinen Taschenventilator dabei?

    Döring: Nein. Es war Gott sei Dank nur ein Ausfall in einem Wagen, sodass man dann den Wagen wechseln konnte. Aber es deutete sich eben schon an, dass bei diesen extremen Temperaturen ganz offensichtlich die Auslegung der Klimaanlagen nicht ausreicht.

    Müller: Wie oft haben Sie sich schon privat und auch politisch über die Bahn geärgert?

    Döring: Das System Bahn ist ein komplexes und ein immer wieder für Überraschungen gutes, und deshalb will ich mal nicht ärgern, aber vor allen Dingen wundern sagen, ich glaube, dass die Qualität des Personenverkehrs tatsächlich, wie auch vom Vorstandsvorsitzenden Grube in mehreren Reden angekündigt, das Brot- und Buttergeschäft des Unternehmens ist, und deshalb muss auch der gesamte Fokus, auch der Investitionsfokus auf diesem Bereich liegen.

    Müller: Machen Sie das doch bitte etwas konkreter. Worüber wundern Sie sich?

    Döring: Ich glaube, es ist extrem wichtig, jetzt zu schauen, wie technisch die Fahrzeuge, die zum Teil ja zwölf bis 18 Jahre alt sind, in einen Zustand gebracht werden, dass sie mit den heutigen Komfortansprüchen Schritt halten können. Man muss deshalb auch darüber sicher nachdenken, ob die Klimakomponenten gegebenenfalls auswechselbar sind, denn in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien, fahren ja ICEs oder ICE-ähnliche Modelle mit Klimakomponenten, die bis 50 Grad Temperatur ausgerichtet sind. Also: Nachrüstung des vorhandenen Wagenmaterials. Vor allen Dingen muss man aus den Fehlern lernen bei der Bestellung des neuen Materials. ICX – das steht ja an in diesem Jahr, wird sicher erst dann in fünf Jahren ausgeliefert, aber man muss jetzt die richtigen Ausschreibungen machen, damit man eben auch aus den Fehlern lernt, die da zu Beginn gemacht wurden. Und ich finde auch, dass die deutsche Bahnindustrie sehr wohl schauen muss, ob alles das, was sie da ausliefert, auch mit den Wartungsintervallen und mit den sozusagen Anforderungen an den Nutzer, ob das alles passt, oder ob man dort auch nachsteuern muss, notfalls eben auch Wartungsintervalle verkürzen muss, um den Inbetriebgeber, in diesem Fall die DB AG, dann zu verpflichten, intensiver sich der Sache zuzuwenden.

    Müller: Demnach, Herr Döring, hat die Konzernführung, hat die Deutsche Bahn über Jahre notwendige Investitionen verschlafen?

    Döring: Nein, das sicher nicht. Ich sage mal, es ist ja ein Unterschied, ob ich das Fahrzeug sozusagen auf dem technischen Stand halte, auf dem es ausgeliefert wurde, oder ob ich investiere in Nachrüstung. Das muss man im Einzelfall sicher entscheiden. Hier bei den Klimaanlagen zeigt sich jetzt, dass vielleicht auch nach dieser Dauer des Betriebes nach über zehn Jahren Verschleißerscheinungen auftreten, dass eventuell dann Investitionen nötig werden. Aber mein Gefühl ist nicht, dass das Unternehmen weniger investiert hat, ganz im Gegenteil. Das beweist auch die Bilanz. Das Unternehmen hat mit steigender Profitabilität auch immer mehr investiert, auch in Wagenmaterial, auch in Komfort, auch in das Netz. Das ist ja auch die Anforderung, die wir als Aktionär, als Eigentümer haben, dass eben die Erträge auch zurückfließen in das System Schiene.

    Müller: Das verstehe ich, Herr Döring, nicht ganz. Sie haben doch eben gesagt, all das muss gemacht werden, die Wartungsintervalle müssen verkürzt werden. Das kostet Geld.

    Döring: Nein! Ich habe gesagt, die Industrie muss überlegen, ob die Wartungsintervalle, die sie selbst angegeben hat, noch zeitgemäß sind, denn ich sage mal, letztendlich führt das Unternehmen das aus, die Bahn das aus, was ihnen die Hersteller mitteilen. Und wenn jetzt deutlich wird, dass die Hersteller vielleicht auch das Risiko unterschätzt haben, dann muss man die Wartungsintervalle anpassen. Das würde Geld kosten, da haben Sie völlig Recht, aber ich finde, es ist auch legitim, dass der Fahrzeugbesitzer, in diesem Fall die Bahn, jetzt nicht sich anders verhält, als der Hersteller das vorher angegeben hat. Ich glaube, das kann man und sollte man auch nicht erwarten.

    Müller: Es hat ja heute, Herr Döring, diese Berichte gegeben, wonach die Klimaanlagen "gut funktionieren" nur bis 32 Grad. Das ist doch kaum vorstellbar?

    Döring: Ja. Wenn das tatsächlich seinerzeit so bestellt wurde, ist es tatsächlich kaum vorstellbar. Das ist jetzt das Glück des aktuellen Managements, dass es dafür keine Schuld trägt, aber es wäre tatsächlich ein fahrlässiger Punkt, wenn seinerzeit der DB-Vorstand Fahrzeuge bestellt hat, an denen tatsächlich die Grenzen so liegen. Das – da gebe ich Ihnen vollkommen Recht – ist völlig unverständlich.

    Müller: Das Personal bei der Bahn, wenn denn mal jemand was sagt, vielleicht bis auf Ausnahme der Gewerkschaft, beklagt sich immer darüber, dass es zu wenig gewesen sind, die sich um alles kümmern können, die alles organisieren können. Können Sie das nachvollziehen?

    Döring: Ich sage mal, das Unternehmen hat ja eher mehr Personal als nötig als zu wenig. Die Frage ist nur, ob das Personal richtig eingesetzt ist, und da bin ich sehr dafür, dass wir dann auch schauen, ob eben gerade beim Thema Kommunikation mit dem Kunden, auch Kulanzfragen bei diesen Schwierigkeiten, ob man dort nicht mehr Personal einsetzen kann, ob beim Thema Wartung - ob das nur eine Personalfrage ist, oder eben auch eine Frage der Anforderungen, die dort transportiert wurden vom Hersteller. Da muss man jetzt tief in die Strukturen hineingehen und schnellstmöglich Abhilfe schaffen. Mir ist jetzt wichtig, dass die Fahrgäste jetzt nicht noch einen bürokratischen Aufwand haben, um bei den erheblichen Problemen, die sie gehabt haben, dann wenigstens mit einer kulanten Lösung Abhilfe geschafft werden kann, sofern das überhaupt möglich ist.

    Müller: Herr Döring, wie groß ist noch der Einfluss der Politik auf das Geschehen der Konzernführung?

    Döring: Der Einfluss der Politik ist so groß, wie das in einer Aktiengesellschaft nun mal ist. Wir haben das Aktienrecht, wir haben einen Aufsichtsrat, der seinen Kontrollpflichten nach Aktiengesetz Sorge trägt, wir haben einen Vorstand, der für das operative Geschäft zuständig ist, und dieser Vorstand muss natürlich auch das tun, was operativ nötig ist, und dann haben wir den Anteilseigner Bund, und der Eigentümer kann auch Strategiewechsel transportieren. Das müsste er dann tun. Bisher ist das nicht passiert. Ich bin sehr dafür, dass wir als Koalition auch mit der Bundesregierung sprechen, ob wir andere Strategien als die bisher, ich sage mal, Logistikunternehmen in der Welt, ob wir andere Strategien dem Vorstand aufgeben. Das können wir nach Aktienrecht. Darüber muss man politisch diskutieren und ich freue mich darüber.

    Müller: Was heißt das? Mehr privat, oder was meinen Sie?

    Döring: Nein. Ich glaube, das Unternehmen hat ja in Wahrheit drei Geschäftsfelder. Das ist die weltweite Logistik für Güterverkehr, das ist der europäische Personenverkehr, gerade auch durch den Zukauf in Großbritannien deutlich geworden, wir wollen die offenen Netze in Europa nutzen, um auch, ich sage mal, mehr internationalen Verkehr abzubilden, und wir haben dann sozusagen den Nahverkehr, das ist ein überwiegend rein lokales Geschäft, weil ja in Wahrheit die Konstruktionen unseres Regionalverkehrs ÖPNV ganz anders sind als in anderen europäischen Ländern. Und jetzt muss man schon überlegen, wo soll der Schwerpunkt am Ende liegen. Bisher hieß es immer, wir sind sozusagen ein Mobilitätsdienstleister in allen Bereichen, PKW, LKW, Bus, Nahverkehr, Fernverkehr, aber es kann schon auch sein, dass der Eigentümer sagt – und ich wäre sehr dafür, dass wir darüber diskutieren -, der Schwerpunkt des Unternehmens liegt dann eben nicht mehr in der internationalen Logistik, sondern er liegt zum Beispiel im Schienenpersonennah- und Schienenpersonenfernverkehr. Diesem Strategiewechsel, den muss der Vorstand dann, wenn der Eigentümer den vorgibt, sicher auch Rechnung tragen. Die Diskussion kann stattfinden, jederzeit, schon morgen können wir meinetwegen damit anfangen.

    Müller: Bei uns im Deutschlandfunk Patrick Döring, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion in Berlin. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Döring: Sehr gerne! Auf Wiederschauen!