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Aus für "Macharif"

Eine Demonstration der Angst und Hilflosigkeit der Machthaber in Marokko? "Macharif", die beliebteste und qualitativ einsame Kultursendung des marokkanischen Fernsehens, wurde abgesetzt.

Von Martina Sabra | 28.05.2011
    Immer mittwochabends begrüßte der junge marokkanische Kulturmoderator Yassin Adnan seine Zuschauer: fünf Jahre lang, über 220 mal. Das gebildete arabische Publikum mochte seine frische, unkonventionelle Art zu fragen. Die Gäste kamen gern zu ihm, weil sie sich von ihm ernst genommen fühlten. Schließlich ist Yassin Adnan selbst ein bekannter Dichter und Kulturjournalist. Schriftsteller wie Tahar Ben Jelloun oder der berühmte Dichter Adonis aus Syrien: Prominente aus der ganzen arabischen Welt nahmen an seinem Tisch Platz. Aber auch junge literarische Talente aus der marokkanischen Provinz konnten sich bei ihm präsentieren. Yassin Adnan:

    "Wir wollten die Fragen der Zeit von einer kulturellen Perspektive aus behandeln. Viele Sendungen haben zu öffentlichen Diskussionen in den marokkanischen Medien geführt. Ich bekomme auch viele Briefe von Zuschauern und sehr viele Reaktionen auf Facebook. Da fragen die Menschen einen bestimmten Gesprächspartner an: Mach doch mal ein Gespräch mit diesem Schriftsteller oder Denker oder Dichter."
    Da seine Interviewsendung auf Arabisch produziert wurde, erreichte Yassin Adnan in Marokko nicht nur die schmale französischsprachige Elite, sondern das breite Publikum. Seine Sendung wurde nicht nur in Marokko gesehen, sondern auch in anderen Teilen der arabischen Welt und in Europa. Doch seit Anfang Mai warten die Zuschauer mittwochabends vergeblich auf ihren Termin. Der Grund: Yassin Adnan hatte die aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen in der arabischen Welt und in Marokko zum Thema gemacht:

    "Wir haben eine vierteilige Reihe über den arabischen Frühling produziert, und junge Sozialwissenschaftler aus Marokko befragt. Wie kommt es, dass diese Jugend, die als entpolitisiert galt, mit einem Mal auf die Straße geht? Wie kommt es, dass die jungen Leute den Schritt heraus aus Facebook in die Realität machen? Wir wollten nicht bei einer Beschreibung der Ereignisse bleiben, sondern mit unseren Sendungen ein wenig in die Tiefe gehen, das war alles."

    Solcher Tiefgang war der Programmleitung des ersten marokkanischen Fernsehens wohl zu riskant. Anfang Mai wurde statt der Sendung über die arabischen Proteste unkommentiert eine alte Ausgabe von "macharif" wiederholt. An den folgenden Sendeterminen lief ein Unterhaltungsprogramm.

    Eine offizielle Begründung für die Absetzung der Sendung hat Yassin Adnan bisher nicht erhalten. Solange er kein offizielles Schreiben in Händen halte, wolle er die Programmpolitik des Senders nicht kommentieren, sagt der Journalist.

    Mehrere Dutzend marokkanische Kulturschaffende haben deutlich gegen die Absetzung der Sendung Stellung genommen: "Macharif," heißt es in einem aktuellen Aufruf, "war in den letzten Jahren einer der wenigen Räume für ernsthafte Debatten im marokkanischen Fernsehen. Wir wenden uns gegen die Vorherrschaft des Sicherheitsdenkens in den öffentlichen Medien." Die Liste der Unterzeichner dieses Aufrufs liest sich wie ein Who is Who der intellektuellen Elite Marokkos: Die Schriftsteller Tahar Ben Jelloun, Abdellatif Laâbi, Youssouf Amine Elalamy und Abdella Taia sind ebenso dabei wie die berühmte Feministin und Sozialwissenschaftlerin Fatima Mernissi. Auch in Dubai und im Libanon haben Intellektuelle und Kulturschaffende gegen die Absetzung von Macharif protestiert.