Donnerstag, 28. März 2024

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Aus gesellschaftlicher Perspektive hat das Gericht "total versagt"

Das Münchner Gericht habe die gesellschaftlicheb Brisanz des NSU-Prozesses unterschätzt, sagt Christian Fuchs. Angesichts der vagen Indizien werde es schwer, Beate Zschäpe eine Mittäterschaft an den Morden nachzuweisen, so der Co-Autor des Buches "Die Zelle – rechter Terror in Deutschland".

Christian Fuchs im Gespräch mit Jasper Barenberg | 15.04.2013
    Jasper Barenberg: Viel Zeit bleibt nicht. Übermorgen soll in München der Prozess um die zehn rassistischen Morde der Terrorzelle NSU beginnen. Vorher aber muss das Oberlandesgericht noch die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe umsetzen und mindestens drei Plätze im Gerichtssaal für türkische und oder griechische Journalisten reservieren. Schließlich hatten die meisten Opfer Wurzeln in diesen Ländern. Bei aller Diskussion über das Gericht und seinen Umgang mit dem großen Interesse der Öffentlichkeit sind die Verbrechen der Neonnazis in den Hintergrund gerückt, ebenso die ehrgeizige Anklage der Staatsanwaltschaft. Sie wirft Beate Zschäpe Mittäterschaft vor, obwohl Zschäpe offenbar bei keinem der zehn Morde, bei den Anschlägen und bei den Überfällen dabei war. Über die Erfolgsaussichten der Anklage habe ich vor dieser Sendung mit dem Kollegen Christian Fuchs sprechen können, Co-Autor des Buches "Die Zelle – rechter Terror in Deutschland", das die Geschichte der Zwickauer Terrorzelle rekonstruiert. Zunächst ging es in unserem Gespräch aber um den Streit um die Presseplätze. Die Verfassungsrichter in Karlsruhe haben verlangt, türkischen Journalisten Plätze zu garantieren. Was sagt das über den Umgang des Münchener Gerichts mit dem großen öffentlichen Interesse? Das habe ich Christian Fuchs gefragt.

    Christian Fuchs: Ich glaube, das Gericht hat dieses Interesse vollkommen unterschätzt. Und nicht nur das: Sie haben sich auch in ihrer Hoffnung, ihre Unabhängigkeit herausstellen zu können, in ihre formaljuristischen Winkelstricke zurückgezogen. Sie haben alles so gemacht, wie man es immer machen muss, und das ist auch alles juristisch korrekt natürlich gewesen, aber eben ohne Fingerspitzengefühl und Sensibilität dafür, dass unser Land, unser Staat versuchen muss, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, und das müssen alle Gewalten, also die Politik genauso wie die Justiz und auch der Journalismus.

    Barenberg: Was den gesellschaftlichen Stellenwert dieses NSU-Prozesse angeht, da, sagen Sie, hat das Gericht förmlich versagt?

    Fuchs: So kann man das sagen. Aber das Gericht wird es nicht so sehen. Sie sehen, sie haben alles richtig gemacht. Aber aus gesellschaftlicher Perspektive muss man es so sagen, ja: total versagt.

    Barenberg: Das Gericht hat ja immer argumentiert und tut das ja auch weiterhin, es müsse sozusagen auch im Vorfeld und in diesen Randaspekten, zum Beispiel, wenn es über Berichterstattung aus dem Gerichtssaal geht, alles vermeiden, um später eine Aufhebung des Urteils oder eine Revision zu riskieren. Ist das nicht ein wichtiges Argument, auch wenn man sozusagen das große Bild dieses Verfahrens sich anguckt?

    Fuchs: Ich kann diese Ängste natürlich verstehen. Ich kann da auch den Richter und den Präsidenten des Gerichtes total verstehen. Aber es gibt sehr, sehr wenig Fälle, solche relevanten Verfahren, in denen es an solchen Lappalien am Ende gescheitert wäre. Und es gibt ja auch viele andere Beispiele, zum Beispiel das Kachelmann-Verfahren, wo ausländische Medien genauso besonders bevorteilt wurden, in dem Fall Schweizer Medien, weil es ein Schweizer Angeklagter war, und das hätte man sicher übernehmen können, diese Erfahrungen, die es da in anderen Fällen gab.

    Barenberg: Woran genau mangelte es, wenn sie sagen, Fingerspitzengefühl war für Sie hier nicht erkennbar' Was genau war da der Mangel?

    Fuchs: …, dass man die Gefühle von fünf Millionen Migranten mit türkischer Herkunft, die in Deutschland leben, überhaupt nicht auf dem Schirm hatte, dass die natürlich ein großes Interesse haben, unabhängig von ihren Medien auch über diesen Prozess informiert zu werden, wo doch acht der zehn Opfer türkischen Migrationshintergrund hatten. Das ist dem Gericht, glaube ich, nicht so bewusst gewesen, dass es da sehr viel auch um Psychologie und Emotionen geht und eben nicht nur um Paragraphen.

    Barenberg: Ist dieser NSU-Prozess, der am Mittwoch beginnt, der bedeutendste Strafprozess der Gegenwart, wie mancher jetzt urteilt?

    Fuchs: Das weiß ich nicht und kann mit so Superlativen auch immer wenig anfangen. Es ist auf jeden Fall seit den RAF-Prozessen der wichtigste politische Prozess, den wir in unserem Land haben.

    Barenberg: Worin liegt der besondere Stellenwert dieses Verfahrens?

    Fuchs: Es gibt nicht besonders viele Fälle, in denen militanter Terrorismus auf deutschem Boden passiert, und wenn eine kleine Gruppe eine Gesellschaft in ihren Grundwerten so angreift, wie das der NSU mutmaßlich getan hat, dann ist das eine Gefahr für unsere Gesellschaft und für die Demokratie, und darum ist der Prozess auch so wichtig.

    Barenberg: Dann lassen Sie uns darüber sprechen, was der Prozess leisten kann und was er wohl nicht wird leisten können. In Ihrem Buch erzählen Sie ja, wie aus drei Mittelschichtkindern, Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe, rechtsextreme Terroristen wurden, und Sie erzählen auch, wie es gelang, über zehn Jahre im Untergrund zu leben und trotzdem zu morden, ohne gefasst zu werden, und Sie versuchen, schließlich zu rekonstruieren, wie die drei die Taten verübten und wer ihnen dabei half. Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund all dessen, was Sie an Informationen zusammengetragen haben, die Chancen für die Staatsanwaltschaft, dass Beate Zschäpe beispielsweise tatsächlich als Mittäterin dieser Morde am Ende verurteilt werden wird?

    Fuchs: Ganz ehrlich: Ich bin da sehr, sehr vorsichtig. Nach allem, was ich gesehen habe und was die Anklageschrift hergibt, sind die Indizien und auch, was unsere Recherchen ergeben haben, ja sehr, sehr vage, dass sie an den konkreten kriminalistischen Straftaten wirklich einen Anteil hatte. Es gibt einen Beweis, dass ihre Fingerabdrücke an zwei Zeitungsartikeln gefunden wurden, die wahrscheinlich für das Bekennervideo verwendet werden sollten, und sie hat die beiden Männer legendiert. Sie hat ihnen eine Legende, ein Alibi geschafft in ihrer Umgebung in Zwickau, dass sie dort nicht aufgefallen sind als brutale Mörder. Und diese zwei Vorwürfe finde ich eigentlich sehr, sehr wenig, um ihr daraus quasi eine Beteiligung an den konkreten Taten nachweisen zu können.

    In der Anklage muss der Generalbundesanwalt schon mit der Maximalforderung reingehen. Das hätte auch wahrscheinlich die Öffentlichkeit schwer verstanden, wenn das nicht so passiert wäre. Aber jetzt für das Gericht wird das eine haarige Angelegenheit, sie dort wegen den Morden auch dranzukriegen.

    Barenberg: Das heißt, auch nach Ihren Informationen wird es sehr schwer werden, eine konkrete Verbindung von Beate Zschäpe zu den einzelnen Taten nachzuweisen?

    Fuchs: Unbedingt und soweit wir vermuten, wird auch die Verteidigung genau diese Strategie fahren, sie als bloße Frau im Hintergrund inszenieren und Beate Zschäpe, die quasi gekocht hat für die Männer, aber vollkommen unpolitisch war, und da haben neue Recherchen auch von uns gezeigt, dass das nicht so war, dass Beate Zschäpe bewusst und aktiv Kontakt zu Menschen aus dem Rechtsaußen-Milieu in Zwickau gesucht hat, wo sie sich wohlgefühlt hat, sodass da die ideologische Übereinstimmung mit den Männern wohl doch stärker war, als bisher bekannt, und das könnte eine Chance sein für das Gericht.

    Barenberg: Aber man muss abwarten, wie die Richter diese Zusammenhänge dann beurteilen. – Jetzt gibt es ja so manchen, der schon, wie Sie das ja auch in gewisser Weise tun, vor allzu hohen Erwartungen an den Prozess warnen. Da geht es dann oft auch um die vielen Pannen, die sich die Ermittlungsbehörden, die sich Polizei und auch Verfassungsschützer geleistet haben. Welche Rolle wird all das bei dem Prozess spielen?

    Fuchs: Da muss man ganz klar sagen: Das wird in dem Strafverfahren überhaupt kein Thema sein. Dafür gibt es die politische Aufarbeitung in den Ausschüssen, und da tagen ja vier Ausschüsse in den Ländern und im Bundestag, Untersuchungsausschüsse, und das kann ein Strafverfahren auch gar nicht leisten. Das darf niemand erwarten und die Gefahr, die die Beobachter jetzt sehen, ist natürlich, dass diese Aufmerksamkeit, die auf den Untersuchungsausschüssen bisher alleine lag, jetzt abgezogen wird durch das Gerichtsverfahren, und dass diese Aufarbeitung von Polizeipannen und Verfassungsschutz jetzt in den Hinterhalt gerät.

    Barenberg: Vor allem die Angehörigen der Opfer erwarten ja so etwas wie eine vollständige Aufklärung, auch um Ruhe zu finden mit ihrem Schmerz, den sie noch mit sich herumtragen. Wenn ich Sie richtig verstehe, gerade was das Verhalten der staatlichen Ermittlungsbehörden angeht, da ist auch schon Enttäuschung vorprogrammiert, oder?

    Fuchs: Unbedingt! Aber das kann man dem Gericht nicht vorwerfen. Das ist einfach durch die Gewaltenteilung anders organisiert in Deutschland. Ich glaube, es ist schon viel getan, wenn diese Taten auch endlich voll umfänglich aufgeklärt werden, denn da gibt es immer noch weiße Flecken ja auch, wo nicht bekannt ist, zum Beispiel zu den ersten Taten, wie sie an die Tatorte gelangt sind, die Täter. Es gibt keine Wohnmobil-Anmietung zum Beispiel. Und da letztendlich Aufklärung auch durch dieses Verfahren vor dem Oberlandesgericht München zu erhalten, wäre auch schon eine große Leistung.

    Barenberg: Was man von dem NSU-Prozess erwarten kann und was nicht – Christian Fuchs ist Co-Autor des Buches "Die Zelle – rechter Terror in Deutschland". Herr Fuchs, danke für das Gespräch.

    Fuchs: Ich danke.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.