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"Aus jeder Äußerung von Sozialdemokraten werden Widersprüche konstruiert"

Gerechtere Lastenverteilung, Kampf gegen Steuerdumping und Schuldenabbau: Der Vorsitzende der SPD-internen AG für Arbeitnehmerfragen, Klaus Barthel, fordert einen Themenwahlkampf. Man brauche keine "Koalitionsspektakel", die SPD wolle ohnehin "einen kompletten Regierungswechsel".

Klaus Barthel im Gespräch mit Christiane Kaess | 19.08.2013
    Christiane Kaess: Klaus Barthel von der SPD, Mitglied des Bundestages und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen, guten Tag!

    Klaus Barthel: Guten Tag, Frau Kaess!

    Kaess: Wie erklären Sie sich denn die überraschende Wende von Kanzlerkandidat und Parteichef?

    Barthel: Von einer Wende kann doch überhaupt nicht die Rede sein! Also, ich habe manchmal den Eindruck, aus jeder Äußerung von Sozialdemokraten werden Widersprüche konstruiert. Aber alles das, was jetzt da diskutiert wird mit Steuerehrlichkeit, Steuervollzug, Besteuerung von internationalen Konzernen, Steuerhinterziehungen, findet sich in unserem Regierungsprogramm genauso wieder wie die Pläne beim Spitzensteuersatz und bei der Vermögenssteuer. Das gehört alles zusammen.

    Kaess: Aber Herr Barthel, dennoch bleibt der Eindruck, dass Kanzlerkandidat und Parteichef gerade eben im Moment nicht ihr Wahlprogramm verteidigen, sondern schon vor der Wahl wieder infrage stellen!

    Barthel: Davon kann überhaupt nicht die Rede sein. Peer Steinbrück hat zum Beispiel jetzt auch beim Deutschland-Treffen noch mal eindeutig sich zu den Steuerplänen bekannt. Und das Entscheidende für uns ist doch, dass es um zwei Dinge geht: Erstens, wir müssen die kleinen Leute davor bewahren, dass sie in Zukunft wieder allein die Lasten tragen, die auf uns zukommen, die Lasten für den Schuldenabbau, die Lasten dafür, was Frau Merkel in Europa angerichtet hat, und die Lasten dafür, dass seit Jahren eine Umverteilung zugunsten der großen Vermögen stattfindet. Das ist das eine, und das andere ist, dass wir einen handlungsfähigen Staat brauchen, der endlich genug Geld hat für Bildung, für Kinderbetreuung, für die Infrastruktur, für die Kommunen, und es noch schafft, die Schulden abzubauen. Und im Moment erleben wir doch eine gespenstische Debatte hier vor der Wahl, es wird so getan, als würde der Staat in Geld schwimmen, als hätten wir überhaupt keine Probleme. Und spätestens am 23. September wird ein ganz andere Lied gesungen, da ist plötzlich das Geld dann wieder knapp und die kleinen Leute haben dann die Lasten zu tragen, die die Großen jetzt vermeiden wollen.

    Kaess: Und deshalb, Herr Barthel, fragt man sich natürlich, warum ausgerechnet die SPD jetzt über Steuersenkungen spricht!

    Barthel: Wir sprechen überhaupt nicht über Steuersenkungen, sondern es geht darum, wie verschaffen wir den öffentlichen Haushalten die Einnahmen, die wir brauchen, um einerseits die kleinen Leute zu schonen, und zweitens den Staat ordentlich zu finanzieren? Und da spricht Herr Gabriel zum Beispiel von den 160 Milliarden, die uns verloren gehen durch die Steuerpraktiken von großen Konzernen und durch das Vorhandensein von Steueroasen auch in Europa. Und Frau Merkel duldet es, dass wir Länder in Europa retten, mit Milliarden, die gleichzeitig Steuerdumping betreiben zulasten der deutschen Steuerzahler. Und das ist ein wichtiger Punkt, auf den man hinweisen muss!

    Kaess: Aber Herr Barthel, nach einer Aussage, besser Steuerhinterziehung zu bekämpfen, als die Steuern zu erhöhen, da entsteht doch automatisch der Eindruck, dass das ein Zugeständnis an die schlechten Umfragen ist, nach dem Motto, wenn es auch anders geht, ziehen wir den Bürgern auch weniger Geld aus der Tasche?

    Barthel: Na ja, also … Es geht darum, deutlich zu machen, dass wir nicht Steuern deswegen erhöhen wollen, um irgendjemand zu ärgern oder irgendwie Klassenkampf zu betreiben oder unser Mütchen an irgendjemandem zu kühlen, sondern dass es dabei um Ziele von Gerechtigkeit und von Zukunftsfähigkeit unseres Landes geht. Das ist der Inhalt dieser Debatte, die wir führen.

    Kaess: Soll die SPD geöffnet werden für andere Bündnisse, mit der FDP, oder hin zu einer großen Koalition?

    Barthel: Das ist überhaupt nicht das Thema! Sondern wir reden über Inhalte, und ich hoffe, wir reden jetzt wirklich mal über die Inhalte des Wahlkampfes, um nicht aus jedem Thema jetzt wieder ein neues Koalitionsspektakel zu machen. Und es geht darum, dass wir als Sozialdemokraten deutlich machen, was wir unter Steuergerechtigkeit verstehen, und was wir unter Zukunftsfähigkeit unseres Landes verstehen. Und darüber haben die Wählerinnen und Wähler zu entscheiden, und danach reden wir über Koalitionen.

    Kaess: Der mögliche Koalitionspartner hat es aber durchaus schon so verstanden, Jürgen Trittin spricht von hasenfüßigen Signalen!

    Barthel: Na ja, das ist doch klar, jede konkurrierende Partei – und da gehören die Grünen auch dazu – versucht natürlich, aus allen Äußerungen, die Sozialdemokraten machen, ihr Kapital zu schlagen. Das ist völlig legitim, wir werden uns aber dadurch nicht verrückt machen lassen.

    Kaess: Was ist denn so schlimm an einer großen Koalition? Es ist ja immerhin das beliebteste Bündnis bei den Wählern offensichtlich?

    Barthel: Na ja, das würde ich mal bezweifeln. Aber wir diskutieren jetzt eben nicht über Koalitionen, sondern es geht darum, wir wollen einen kompletten Regierungswechsel, wir wollen einen Bundeskanzler Peer Steinbrück und wir lassen die Wählerinnen und Wähler darüber entscheiden, ob es eine Mehrheit dafür gibt oder ob eben es mit Schwarz-Gelb weitergehen soll!

    Kaess: Sagt Klaus Barthel von der SPD. Er ist Mitglied des Bundestages und Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Danke für das Gespräch heute Mittag!

    Barthel: Ich danke Ihnen!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.