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Ausbeutung von Rohstoffen
In Venezuela wird das Tafelsilber verscherbelt

Trotz enormer Ölreserven steckt Venezuela in einer dramatischen Wirtschaftskrise. Statt neue Wirtschaftsmodelle zu entwickeln setzt die sozialistische Regierung in Caracas auf die Ausbeutung von Ressourcen. Der Gold-, Diamanten- und Kupfer-Bergbau soll einen Ausweg aus der Krise weisen, sorgt aber für neue Abhängigkeiten.

Von Anne-Katrin Mellmann | 29.04.2017
    Blick über einen See mit Wasserfällen und üppiger Vegetation im Nationalpark Canaima.
    Im Nationalpark Canaima ist die Suche nach Gold eigentlich verboten. Der Blick auf die spektakulären Tafelberge und den höchsten Wasserfall der Welt soll nicht gestört werden. (picture-alliance / dpa / Michael Jung)
    Im grünen Süden Venezuelas schippern Goldgräber in Einbäumen mit Außenbordmotoren über die breiten Dschungelflüsse, sogar im Nationalpark Canaima. Hier ist die Suche nach Gold eigentlich verboten. Der Blick auf die spektakulären Tafelberge und den höchsten Wasserfall der Welt soll nicht gestört werden. Die Ureinwohner, die Pemon, holen schon seit vielen Jahren Gold aus den Flüssen und aus der Erde, seit ihnen weiße Eindringlinge zeigten, dass sich Gold in Geld verwandeln lässt. Wegen der schweren Wirtschaftskrise und weil keine Touristen mehr kommen, seien inzwischen fast alle Pemon hier zu Goldgräbern geworden, erzählt die junge Mutter Angie Gómez. Sie sitzt in der einzigen Bar von Canaima, in der die Pemon ihr Bier oft mit Gold bezahlen:
    "Wie zerstören mit den Minen unsere Natur, die Flüsse, alles was wir zum Leben brauchen. Hier in Canaíma gibt es heute keine Arbeit. Noch vor einigen Jahren lebten wir von den Touristen, aber jetzt bleiben uns nur noch die Minen, um etwas Geld zu beschaffen. Dadurch hat sich auch unsere Kultur total verändert, früher brauchten wir kein Geld. Wir hatten Maniok und alles das was die Erde uns gab."
    Die Umweltschäden sind sichtbar
    Auch im Naturreservat der Yekuana, etwas weiter westlich auf dem Guayana-Schild, habe der Bergbau in den letzten Jahren extrem zugenommen, erzählt Mayraleno Cortes. Der junge Indigene arbeitet für eine Organisation, die für die Rechte der Yekuana kämpft. Es seien Mestizen, die ohne zu fragen in ihr Gebiet eindringen.
    "Es kommen immer mehr Leute auf der Suche nach Gold und Diamanten. Große Unternehmen stecken dahinter. Sie beuten die indigenen Gemeinschaften aus, lassen die Einwohner für sich arbeiten. Dann verschwinden sie wieder. Die Gemeinschaften aber bleiben und müssen mit Umweltzerstörung und Verschmutzung leben. Am Ende haben sie keine Erde mehr. Deshalb benutzen wir dafür den Begriff 'Zweite Kolonialisierung'."
    Die Umweltschäden sind sichtbar: Zum Beispiel komme es vermehrt zu Missbildungen bei Kindern durch das mit Chemikalien aus Goldminen verunreinigte Wasser, berichtet Cortes. Seine große Sorge ist das neue Gesetz "Arco Minero". Dadurch dürfte es in seiner Heimat bald noch mehr Minen geben.
    Weit weg, im Parlament der Hauptstadt Caracas, kämpft der Abgeordnete Americo di Gracia gegen "Arco Minero". 2016 haben die regierenden Sozialisten das Projekt per Dekret am oppositionsdominierten Parlament vorbei auf den Weg gebracht. Den Einspruch des politischen Gegners lehnte das Oberste Gericht ab. Die reichen venezolanischen Bodenschätze dürfen jetzt von ausländischen Unternehmen ausgebeutet werden, unter dem Dach einer Aktiengesellschaft, die zum Verteidigungsministerium gehört. Erkundungen haben bereits begonnen, erste Lizenzen sind vergeben.
    'Teufelskreis der Rentenökonomie'
    "Arco Minero ist die Vollendung dessen, was wir den 'Teufelskreis der Rentenökonomie' nennen. Gestern hingen wir vom Erdöl ab, heute vom Bergbau oder von beidem. Damit finanzieren wir den Staatshaushalt und die Sozialprogramme. Aus finanzieller Sicht kommt es einem Betrug an der Nation gleich, weil die Probleme der Venezolaner mit Arco Minero nicht gelöst werden. Wir hatten 14 Jahre lang enorme Staatseinnahmen aufgrund der hohen Preise für das Öl aus unserer staatlichen Förderung, aber die Regierung hat alles verschleudert. Und jetzt will sie uns glauben machen, unser Leben werde in fünf oder zehn Jahren besser sein, obwohl wir unsere Flüsse vergiften und den indigenen Völkern den Lebensraum wegnehmen?"
    Dem Unterzeichner des Dekrets, dem sozialistischen Präsidenten Nicolas Maduro, schweben dagegen blühende Landschaften vor:
    "Das Dekret dient der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unseres Landes. Das Gift der Rentenökonomie, unter dem wir lange gelitten haben, wird sich in dieses neue ökosoziale Modell des Bergbaus nicht einschleichen. Alle Gewinne dienen der Entwicklung der Nation, des venezolanischen Volkes. Sie werden investiert in Gesundheit, Wohnungsbau, Erziehung, Kultur, Transport, Infrastruktur, in Leben."
    In Zeiten der Krise, in denen die Staatseinnahmen nicht mehr für den Import von Lebensmitteln und Medikamenten reichen, wird das Tafelsilber verscherbelt. Für Gold und Diamanten opferten die Sozialisten zuerst den demokratischen Gesetzgebungsprozess, dann das Andenken von Hugo Chávez: Der verstorbene sozialistische Präsident hatte den besonderen Schutz der indigenen Bevölkerung in die Verfassung schreiben und deshalb auch den illegalen Bergbau in der Region stoppen lassen. Ana Elisa Osorio war unter Hugo Chávez Umweltministerin. Heute ist sie erbitterte Regierungsgegnerin:
    "Was die Regierung tut, hat mit Chavismus nichts mehr zu tun. Sie handelt im Interesse der Rechten, der Unternehmen, die sich hohe Gewinne aus dem Bergbau versprechen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Lösung der wirtschaftlichen Probleme Venezuelas im Bergbau liegt. Ganz im Gegenteil. Unserer Zukunft gegenüber ist das verantwortungslos."
    Jeder bekommt sein Stück von dem Kuchen
    118.847 Quadratkilometer, etwa zwölf Prozent der Gesamtfläche Venezuelas, sind jetzt Erkundungszone, sollen ausgebeutet werden. Mit dramatischen Folgen für die Umwelt: Der Guri-Stausee, aus dessen Wasserkraftwerk 70 Prozent der Stromversorgung stammen, bekommt durch den Bergbau schon jetzt weniger Wasser und zu viel Schlamm. Klimaveränderungen sind die Folge und die Zerstörung des Lebensraums der indigenen Bevölkerung. Heute sind bereits zwischen 50.000 und 100.000 illegale Bergarbeiter in dem Gebiet, schätzt der Soziologe und linke Vordenker Edgardo Lander. Durch "Arco Minero" würden sie legal und ihre Zahl vervielfacht:
    "Hugo Chávez stand diesem Thema sehr sensibel gegenüber, ganz im Gegensatz zur aktuellen Regierung. Arco Minereo ist ein angekündigter kultureller Völkermord. In diesem Gebiet leben mindestens zehn verschiedene indigene Gruppen, die schon stark vom Bergbau betroffen sind und mit diesem Projekt jegliches Recht auf ihre territoriale Autonomie verlieren."
    Die verlieren sie bereits: Im Gebiet der Yekuana zum Beispiel, in dem Mayraleno Cortes‘ Organisation gegen die Eindringlinge kämpft. Doch die stünden unter dem Schutz der Armee, die die Gewinne kontrolliere.
    "Wir haben um die Präsenz des Militärs gebeten, aber dadurch hat sich unsere Situation nicht verbessert. Im Gegenteil, die Soldaten und die hiesigen Behörden sind zu Komplizen geworden. Sie kennen die Probleme mit den illegalen Minen. Aber an den Kontrollposten kassieren sie einfach ihre 'Spritze', so nennen wir das Schmiergeld hier."
    Jeder bekommt sein Stück von dem Kuchen. Armee und sozialistische Regierung verwalten die Einnahmen. Wenn die sprudeln, werden die Armen Venezuelas wieder Geschenke erhalten. Aber Strukturprobleme löst das nicht. Auf Kosten von Mensch und Umwelt steuert das Land von einer Abhängigkeit in die nächste.