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Ausbildung
"Da ist Durchlässigkeit ganz wichtig"

Von der Hochschule ins Handwerk oder nach der Ausbildung in den Hörsaal: Solche Biografien werden immer häufiger. Bildung müsse deshalb flexibler gemacht werden, sagte im Deutschlandfunk Friedrich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung - und fordert mehr Durchlässigkeit.

Friedrich Esser im Gespräch mit Jörg Biesler | 01.07.2014
    Eine Studentin der Schulpädagogik schreibt am 17.10.2012 während einer Vorlesung in einem vollen Hörsaal in der Universität in Tübingen (Baden-Württemberg) mit.
    Wenn man irgendwann merkt, dass der Hörsaal nichts für einen ist, will das Bundesinstitut für Berufsbildung Abhilfe schaffen. (picture alliance / dpa - Jan-Philipp Strobel)
    Jörg Biesler: In der Bildung gibt es herkömmlicherweise zwei Wege: Der eine führt an die Hochschule, der andere in die Ausbildung. Dass die Grenzen zwischen diesen Wegen durchlässiger werden, daran wird bundesweit schon seit Jahren gearbeitet, denn warum soll nicht ein Handwerksmeister sein Wissen an der Hochschule erweitern oder ein Hochschulabsolvent oder -abbrecher sein Glück in Handwerk oder Industrie finden. Was so selbstverständlich klingt, ist es aber nicht. Heute startet in Berlin die Bundeskonferenz Chance Beruf des Bundesbildungsministeriums. Friedrich Esser ist Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung. Tag, Herr Esser!
    Friedrich Esser: Guten Tag, Herr Biesler!
    Biesler: Eines der zentralen Themen der Konferenz ist die Durchlässigkeit, eben gerade, weil es nicht so selbstverständlich ist. Wo liegen denn im Augenblick noch die Probleme? Was passiert da?
    Esser: Also ich möchte erst mal weniger von Problemen sprechen, Herr Biesler. Sie haben es genau angesprochen eben, wir haben einen Trend. Wir haben einen Bildungstrend zu verzeichnen, es geht in Richtung höhere Qualifikationen, sowohl, was die Bedarfslage der Wirtschaft angeht, wie aber auch die Bildungsvorstellungen und Perspektiven der jungen Leute. Und es ist klar dann auch, dass mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem auch auf diesen Trend reagieren muss, indem Bildung flexibler gemacht wird, indem Bildung variabler gemacht werden kann auch mit Blick auf die Ausgestaltung individueller Bildungskarrieren, und da ist Durchlässigkeit ganz wichtig. Wo knackt es noch? Die ist genau umgekehrt zu beantworten, dass wenig Knacken im Moment zu verspüren ist Dank eines dynamischen, wirklich eines dynamischen Prozesses, dass man sich aufschließt.
    Biesler: Ich frage danach, weil das ja für viele noch was ganz Neues ist. Also, die Hochschulen haben lange Zeit auf der Bremse gestanden, weil sie sich kaum vorstellen konnten, dass jemand ohne Abitur an die Universität kommt zum Beispiel. Das ist also etwas, das auch im Kopf passieren muss, dass ein Handwerksmeister nicht grundsätzlich etwas anderes ist als ein Ingenieur, sondern beide sind berufstätig und in der Verpflichtung, sich sozusagen ihr ganzes Leben lang weiterzubilden. Das ist in den Köpfen noch nicht überall angekommen.
    Esser: Das ist richtig. Es geht den Hochschulen natürlich auch mit Blick auf die demografische Entwicklung darum, auch neue Zielgruppen zu hinterfragen, ob es geeignete, auch neue Zielgruppen für die Hochschulausbildung sein können – erster Punkt. Zweiter Punkt, aber das ist für mich auch noch nicht so richtig belegt und analysiert, geht der Trend der Facharbeit wirklich hin zu einem sehr stark kognitiven Anspruch von Qualifikationen, der dann auch, dieser Anspruch dann auch, vor allem in hochschulischen Lernumgebungen entsprechend qualifiziert werden muss. Und das ist jetzt die zentrale Frage: Wird sich das wirklich so wandeln, dass wir das, was wir vor Ort in den Betrieben können müssen, demnächst auch rein auf schulisches Wissen basieren? Ich mache da ein Fragezeichen.
    Biesler: Ich hab deswegen auch nach den Problemen gefragt, weil wenn man in die Statistik guckt, man sieht, dass die privaten Hochschulen sehr viel mehr Studenten ohne Abitur haben als die öffentlichen, rein staatlich finanzierten. Liegt das daran, dass die schneller merken, wo ein neues Geschäftsfeld ist und darauf reagieren?
    Esser: So ist es. Das ist ein Geschäftsmodell, und da kann man wirklich auch mit der Marketingbrille drauf gucken. Das ist für mich auch ein wichtiger Grund auch oder eine Ursache dafür, dass da zurzeit Bewegung drin ist, dass man neue Kundengruppen erschließt und sucht. Und man muss auch sagen, die Qualität an den Schulen – siehe Pisa – hat sich auch ein Stück weit verbessert.
    Biesler: In einer anderen Richtung gilt es, sozusagen, die Durchlässigkeit auch zu fördern, für die Hochschulabbrecher oder Hochschulabsolventen, die dann doch keinen Beruf finden in dem Fach, das sie studiert haben. Welche Möglichkeiten gibt es da? Was gibt es da für eine Bewegung, die vielleicht für andere Berufe zu qualifizieren?
    Esser: Zuerst mal werbe ich dafür, Herr Biesler, nicht von Abbrechern, Umsteigern oder Studienversagern –
    Biesler: Nun gibt es halt viele!
    Esser: Nein – nicht zu sprechen, sie so zu nennen, sondern ich werbe für einen anderen Begriff: Warum nennen wir sie nicht Incomings, das heißt, diejenigen, die aus einem Bildungssystemteil in einen anderen Teil wechseln. Bei uns sind sie herzlich willkommen. Wir versuchen gerade, mit vielen Projekten auch die passende Form der Eingliederung zu finden, angefangen von Anschlussfähigkeit, die die Ausbildung betreffen, bis hin auch zu Anschlussmöglichkeiten von Studienleistungen an Fortbildung. Wichtig, glaube ich, ist, dass es nicht für alle Berufe gleich machbar sein wird – nehmen wir mal beispielsweise ein betriebswirtschaftliches Studium mit einem kaufmännischen Beruf. Da, glaube ich, sind Anerkennungsfragen leichter zu beantworten als beispielsweise der Übergang eines Soziologiestudenten in einen Handwerksberuf, Tischler zum Beispiel, wo es eben auch auf die handwerkstechnische Qualifikation ankommt, die man an einer Hochschule gegebenenfalls nicht mitbringt.
    Biesler: Aber was sich schon geändert hat, sagen Sie mir, ob es richtig ist, dass die Hochschulen mit bedenken, was mit den Menschen passiert, die – es sind nun mal Abbrecher, deswegen nenne ich sie auch einfach so, die ihr Studium abbrechen, nicht zu Ende bringen – das wird mittlerweile mitgedacht, und es gibt Möglichkeiten, schon an der Hochschule mit denen zu arbeiten und zu überlegen, was der dann werden soll.
    Esser: Ja, sagen wir mal, wir beklagen ja bis zu 30 Prozent Abbruchquoten. Das heißt, dieser Akademisierungstrend läuft ja da auch ein bisschen quer, insofern, dass er eine Sogwirkung erzeugt und auch diejenigen in die Hochschulen treiben, die da im Grunde gar nichts zu suchen haben. Deshalb muss man zwangsläufig auch ein Stück weit da reagieren und jetzt auch von Hochschulseite aus da auch etwas mutiger und selbstbewusster rangehen. Der Studienabbruch, da geht man ja nicht gerne auch mit vor die Tür und macht dafür im Grunde - in Anführungsstrichen - Werbung, indem man Beratungsstellen installiert oder indem man konkrete auch Beratungsangebote macht. Also da haben sich die Hochschulen in der Vergangenheit schwer getan, aber hier scheint es doch eine Öffnung zu geben, das Ganze viel offensiver und viel transparenter in Zukunft zu machen.
    Biesler: Friedrich Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung. Mit ihm habe ich gesprochen über die Bundeskonferenz Chance Beruf, die heute in Berlin beginnt. Danke schön!
    Esser: Ich danke auch! Tschüs, Herr Biesler!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.