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Ausbildung internationaler Militärbeobachter
Mit Warlords verhandeln lernen im Allgäu

UN-Militärbeobachter beobachten nicht nur, sie schlichten auch Konflikte. Worauf es dabei ankommt, lernt in Bayern gerade eine Gruppe von 41 Leuten aus 27 Ländern. Neben Nervenstärke brauchen die Männer und Frauen vor allem eins: ein Verständnis der Kultur, in der sie sich bewegen.

Von Thomas Wagner | 02.07.2019
Wie Verhandlungen führen mit schwierigen Gesprächspartnern? Das lernen angehende UN-Militärbeobachter derzeit im Westallgäu
Im Sitzungsraum mit Maskierten - in Opfenbach werden gerade UN-Militärbeobachter ausgebildet, wie man mit schwiergen Gesprächspartnern verhandelt (Deutschlandradio / Thomas Wagner)
"Soldiers attention!"
Strammstehen in Opfenbach: Wer's nicht besser weiß, wähnt sich in der 2.200-Einwohner-Gemeinde im Westallgäu in einer der Krisenregionen dieser Welt. Der "Warlord" hat sich zu ersten Verhandlungen angekündigt im fingierten Hauptquartier der UN-Friedensmission, die dieser Tage in einem Opfenbacher Schulgebäude untergekommen ist.
"The security check without weapon is not a security check. I'm safe when I have my weapon with me."
"Don't worry."
Die Delegation des "Warlords", dem Anführer einer Separistenarmee, will mit Waffen ins Hauptquartier der UN-Friedensmission; der Kommandeur dort lehnt dies ab – die Gespräche drohen zu scheitern, noch ehe sie so richtig begonnen haben. Die Lösung findet sich in letzter Minute.
"Let's make a compromise: Let's unload the weapon."
"The colonel won't be happy about that. But I will do that."
Die War-Lord-Delegation darf die Waffen in den Verhandlungsraum mitnehmen, muss aber zuvor die Munition herausnehmen.
"Wir spielen hier ein klassisches Konfliktszenario"
Zum Glück: Alles ist nur ein Rollenspiel, allerdings ein realitätsnahes Rollenspiel.
"Wir spielen hier ein klassisches Konfliktszenario von zwei Parteien. Wir haben hier eine Waffenstillstandslinie, die im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens verhandelt wurde. Und auf beiden Seiten gib es natürlich militärische Organe. Und davon haben wir eben einen der verantwortlichen militärischen Führer, den Warlord, kennen gelernt. Und dem sind die zukünftigen Militärbeobachter hier erstmalig begegnet", erklärt Major Denis Stephan.
Er schult im Rahmen der multinationalen Übung "Blue Flags" im Westallgäu diejenigen, die später einmal mit "Warlords", mit Rebellenführern, mit Regierungsvertretern und auch mit Vertretern der Zivilgesellschaft in solchen Ländern verhandeln sollen, in die die Vereinten Nationen eine UN-Friedensmission entsandt haben.
Dem "Warlord" einen eingeschenkt
Solche Verhandlungen sind manchmal, das zeigt das Rollenspiel im Westallgäu, ziemlich schwierig.
"What is so fucking funny here? I don't like this person here."
Der 'Warlord' geht schier an die Decke, als sich mitten in der Diskussion über das Zusammenspiel der UN-Blauhelme mit seiner Rebellenarmee plötzlich eine Frau zu Wort gemeldet hat. Es ist Anna Karina Endres. Sie hat als Berufssoldatin den Dienstrang eines Hauptmanns und ist eine der Übungsteilnehmerinnen für zukünftige "Military Experts on Mission", also für angehende Militärbeobachter. Im Rollenspiel hat sie dem 'Warlord' dann kräftig eingeschenkt.
"Ich hatte ihn nochmals darauf hingewiesen, was im Waffenstillstandsabkommen steht. Und dass er dagegen auch verstoßen hat. Und das wusste er ganz genau."
In beruhigendem Tonfall redet der UN-Vehandlungsführer auf den 'Warlord' ein. Der kriegt sich wieder ein – Zuckerbrot und Peitsche als Verhandlungstaktik haben sich fürs Erste bewährt. Anna Karina Endres:
"Ich denke, man muss sehr gelassen sein in diesen Verhandlungen. Weil: Bis Friede erreicht wird, ist es ein ganz langer Weg."
"Psychologie spielt eine gewisse Rolle"
Doch um in Verhandlungen diesen langen Weg zum Frieden auch tatsächlich erfolgreich gehen zu können, bedarf es der Übung – so wie dies derzeit im Westallgäu geschieht, meint Ausbildungsleiter Major Denis Stephan:
"Also, Psychologie spielt eine gewisse Rolle. Man muss auch selbst menschlich stark sein, mental stark sein, um letztendlich diesen Charakteren auch gewachsen sein zu können. Wenn man gegenüber Bataillonskommandanten einwirkt, die 30 Jahre Militärerfahrung haben, davon 20 Jahre Kriegserfahrung haben, das sind wir aus unserem zivilen mitteleuropäischen Umfeld heraus nicht gewohnt, haben das nie erleben müssen."
Mental stark sein, ein gutes psychologisches Bauchgefühl mit einbringen, ebenso über gute militärische Fachkenntnisse verfügen: All diese Eigenschaften sind wichtig für angehende internationale Militärbeobachter. Aber sie reichen längst noch nicht aus. Wichtig ist das Interesse an der jeweiligen Kultur und den Traditionen in einem anderen Land weit weg von Deutschland.
Wesentlich: Kultur und Werte des anderen kennen
Das zeigt sich im Westallgäu bereits im Umgang der Lehrgangsteilnehmer untereinander. Sie sind nämlich aus 27 Nationen ins Westallgäu gereist. Zu ihnen gehört unter anderem Captain Subila Akse aus Pakistan:
"Zwischen den Ländern gibt es große kulturelle Unterschiede in Kultur und Tradition. Nehmen wir ein Beispiel: Sie wollten mir gerade die Hand geben. Das machen wir aber nicht in Pakistan. Und wer in unserem Land etwas erreichen will, muss das wissen. Und das gilt natürlich auch umgekehrt: Ich habe mich, bevor ich hierher gekommen sind, sehr intensiv mit der Kultur in Europa auseinander gesetzt."
Angehende internationale Militärbeobachter während der Übung "Blue Flags" im Westallgäu
Unter den angehenden Militärbeobachtern sind auch 50 Prozent Frauen (Deutschlandradio / Thomas Wagner)
Und das sei bei einem späteren UN-Einsatz überlebenswichtig:
"Wenn man in das Land eines anderen geht, dann hat man erst mal das zu respektieren, was die Leute dort respektieren. Und wenn man dann nicht über die Kultur dort Bescheid weiß, kann man auch die Werte dort nicht verstehen. Will heißen: Wenn wir irgendwohin entsandt werden, müssen wir genau darüber aufgeklärt werden, was die Menschen dort verärgert – und was sie erfreut."
50 Prozent der Entsendeten sind Frauen
Trotz allen Respekts: Der 'Warlord' im Rollenspiel scheint nicht besonders begeistert über den Verlauf der Gespräche zu sein, verlässt mit seiner Delegation den Verhandlungssaal im Opfenbacher Schulgebäude – nächster Tag, nächstes Treffen, vielleicht dann mit mehr Erfolg.
Dass gerade in Krisenregionen fast immer Männer das Sagen haben, ist altbekannt. Neu: Der hohe Frauenanteil bei der Übung von über 50 Prozent der Lehrgangsteilnehmer. Doch das macht, im Hinblick auf zukünftige Missionen, durchaus Sinn, glaubt Teilnehmerin Anna Karina Endres, die im kommenden Jahr einen Einsatz im Südsudan im Auge hat:
"Was spannend ist: Ich weiß, dass Frauen sehr große Probleme haben werden, mit männlichen Führern zu sprechen. Aber dort wird dann meine Aufgabe sein, auf die Frauen zuzugehen, weil die ganz oft sehr viele Informationen haben, an die meine männlichen Kameraden nicht herankommen. Deswegen fördert die UN zurzeit die Frauen, weil es ganz wichtig ist, dass die Frauen dort auch Aufmerksamkeit bekommen und dort auch Aufgaben übernehmen und noch wahrgenommen werden."