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Ausbildung von Rabbinern an einer Universität

Das Abraham Geiger Kolleg in Potsdam wurde 1999 gegründet und bietet eine Kantoren- und Rabbinerausbildung für liberale Juden an. Es ist keine jüdisch-theologische Fakultät, sondern ein An-Institut der Universität Potsdam. Das soll sich ändern. Doch über das Für und Wider ist ein handfester Streit entbrannt.

Von Carsten Dippel | 15.02.2012
    "Also, die Forderung nach einer jüdisch-theologischen Fakultät ist 200 Jahre alt. Ich erinnere, 1836 an eine Denkschrift Abraham Geigers, der eine jüdisch-theologische Fakultät schon damals gefordert hat in Preußen und gesagt hat, solange die Geistlichen des Judentums nicht so ausgebildet werden wie das die Pastoren und Priester als Privileg erhalten, nämlich an der deutschen Universität, solange ist die Emanzipation der Juden in Deutschland gar nicht abgeschlossen. Hier ist eine ganz alte Bringschuld des Staates auf dem Tablett im Augenblick, etwas was schon überfällig ist."

    Walter Homolka ist Leiter des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam, das seit dem Jahr 1999 eine Kantoren- und Rabbinerausbildung für liberal ausgerichtete Juden anbietet. Als sogenanntes An-Institut ist es mit der Universität Potsdam verbunden, dort jedoch nicht fest integriert. Seit Monaten streitet Homolka mit der brandenburgischen Landesregierung um die Aufwertung zu einer theologischen Fakultät. Nur so könne die Zukunft des Kollegs gesichert werden. Zumal sich der Wissenschaftsrat im Frühjahr 2010 für eine bessere Verankerung der jüdischen Studien an den Universitäten ausgesprochen hatte. Auf Grundlage dieser Empfehlung entsteht derzeit in Berlin das Zentrum für Jüdische Studien. Graduiertenschule und wissenschaftliches Dach, unter dem sich die Lehr- und Forschungseinrichtungen in der Hauptstadtregion zu einem weltweit einmaligen Netzwerk verbinden wollen.

    "Also, ich denke, jetzt ist das Land auch mal gefordert, sich da zu entscheiden, ob das etwas Wichtiges ist, ein Leuchtturm für die Wissenschaftslandschaft in Brandenburg, oder ob man sich dafür nicht so interessiert. Es geht ja nicht darum, etwas Neues zu schaffen, sondern das Bestehende so anzureichern, dass es den Erfordernissen entspricht. Und das ist eigentlich auch ganz einsichtig, denn ein An-Institut hat weder bei der Berufung der Professoren die Möglichkeit des Eingreifens noch bei der Frage, was im Studium unterrichtet wird."

    Das erste deutsche Rabbinerseminar entstand 1854 in Breslau. In Berlin folgten 1872 die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums und im Jahr darauf ein orthodoxes Seminar. Die Einrichtungen erwarben sich bald einen legendären Ruf. Bis die Nationalsozialisten die Seminare schlossen. Als im Jahr 2006 zum ersten Mal nach der Schoah wieder Rabbiner in Deutschland ordiniert wurden, knüpfte dies an die große jüdische Tradition im 19. und frühen 20. Jahrhundert an. Heute sendet neben dem Geiger Kolleg in Potsdam auch die jüdische Orthodoxie mit einem eigenen Seminar in Berlin wieder Rabbiner aus. Doch neben dem Studium von Thora und Talmud hat ein Rabbinatsschüler immer auch in die Gemeinden zu gehen. Praxisnähe wird großgeschrieben. Die akademische Ausbildung läuft parallel an einem der judaistischen Studiengänge, wie sie etwa die Heidelberger Hochschule für jüdische Studien bietet. Deren Rektor, Johannes Heil, hält dieses duale System für völlig ausreichend.

    "Das ist ein heute so vorhandener Weg zu einer wirklich sehr guten Ausbildung, die den Verhältnissen der deutschen jüdischen Gemeinden angemessen ist. Wir haben jedenfalls alle Voraussetzungen, um eben auch für die jüdischen Gemeinden den Bedarf an qualifiziertem Gemeindepersonal zu decken. Der ist bereits in Deutschland vorhanden. Das ist nur nachvollziehbar, dass man die vorhandenen Kapazitäten in Berlin-Brandenburg zusammenführt. Etwas anderes ist es, wenn man zusätzlich und mit Bedarf an öffentlichen Mitteln, eine Einrichtung schafft, die eigentlich niemand braucht. So deutlich muss man das sagen."

    Eine jüdisch-theologische Fakultät, wie sie Homolka vorschwebt, ist daher nach Heils Ansicht überflüssig. Wer sich für Geschichte und Religion, Philosophie oder Kultur des Judentums interessiere, finde ein vielfältiges Studienangebot. Doch der überwiegende Teil der Studenten sei heute nichtjüdisch. Von den jüdischen Studenten strebten wiederum nur wenige ein geistliches Amt an. So betreut das Abraham Geiger Kolleg derzeit gerade mal elf von insgesamt mehr als 300 Studierenden, die in Potsdam bei den jüdischen Studien eingeschrieben sind. Johannes Heil sieht deshalb noch eine ganz andere Gefahr:

    "Wenn wir dann eine Fakultät schaffen, haben wir natürlich auch eine Reduktion der jüdischen Studien in ihrer ganzen kulturwissenschaftlichen Breite auf das Moment einer jüdischen Theologie, von der manche behaupten, dass sie gar nicht existiert und solche Argumente sind nachvollziehbar."

    Über das Für und Wider einer jüdisch-theologischen Fakultät ist längst auch ein handfester politischer Streit entbrannt. Ende 2011 hatte Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht bei einem Besuch in Israel überraschend verkündet, ein Rabbinerseminar in Erfurt errichten zu wollen. Vorausgegangen waren Sondierungsgespräche, die Walter Homolka mit Erfurt führte. Viel zu lange habe das Land Brandenburg gezögert, habe keine eindeutigen Signale ausgesandt. Homolka droht, mit seinem Kolleg abzuwandern. Alles nur ein Pokerspiel?

    "Pokern hieße ja auch, dass man überall was anderes fordert. Wir fordern aber überall das Gleiche. Und deswegen können wir auch mit Fug und Recht sagen, da, wo diese Voraussetzungen optimal geschaffen werden, wo ein Gebäude vorhanden ist, wo genügend Lehrstühle vorhanden sind, da gehen wir hin."

    Im Freistaat Thüringen freut man sich derweil über den Coup, den die Landeschefin mit ihrer Ankündigung landete. Regierungssprecher Peter Zimmermann schwärmt vom "Zugehland" Thüringen. Ein Rabbinerseminar in Erfurt? Das passe doch wunderbar ins Portfolio des internationalen Wissenschaftsstandortes Thüringen! Das lautstarke Interesse der Thüringer Landespolitik irritiert so manchen der Beteiligten. Johannes Heil zum Beispiel:

    "Warum man so leichtfertig solche Positionen bezieht, die dann auch auf bestimmte Aussagen zwingen und Prozesse in Gang setzen, die nicht mehr korrigierbar sind, und es am Ende politische Verluste gibt, wenn sich das Projekt doch nicht realisieren wird, das kann ich nicht nachvollziehen."

    Gehört die Ausbildung von Rabbinern nun an eine Universität? Ist eine jüdisch-theologische Fakultät das Einlösen einer alten Bringschuld, von der Walter Homolka spricht? Für den Leiter des Abraham Geiger Kollegs in Potsdam steht jedenfalls fest:

    "Wenn wir diese Forderung nicht gestellt hätten, wäre die Judaistik in der Religionswissenschaft aufgegangen. Insofern ist auch das kein Argument dagegen, denn die kulturwissenschaftliche Ausrichtung ist ja so ausgedünnt worden, dass es sie auf Dauer gar nicht mehr gegeben hätte. Wenn sie Bestand hat, dann hat sie nur dann Bestand, wenn es die rabbinische Theologie gibt. Und die Zusammenarbeit mit dem jüdischen Zentrum Berlin-Brandenburg. Also wir haben entweder die Möglichkeit, es zu verkleinern, das heißt, wir würden weggehen an einen anderen Standort, dann würden aber die jüdischen Studien in Potsdam in sich zusammensacken. Also, das ist ganz klar, es gibt ja überhaupt keine Ressourcen dafür."

    Johannes Heil, der Rektor der Heidelberger Hochschule sieht das ganz anders:

    "Also, ich glaube, dass die Kollegen in Potsdam oder Berlin ihrerseits nicht unbedingt das Abraham Geiger Kolleg brauchen, um gute Wissenschaft zu betreiben. Um gute Wissenschaft zu betreiben, da brauchen Sie keine geistliche Ausbildungsstätte. Das Rabbinerseminar, das liberale Rabbinerseminar kann nur davon profitieren, aber das Fach jüdische Studien ist nicht auf dieses Rabbinerseminar angewiesen."