Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Ausbildungsmarkt
Corona und Azubis - alles auf den Kopf gestellt

Anfang August startet traditionellerweise das neue Ausbildungsjahr. Aber in diesem Sommer ist alles anders und für so manchen Azubi platzen Träume. Denn durch die Corona-Pandemie ist der Weg zum Ausbildungsvertrag schwieriger geworden. Politik und Wirtschaft wollen gegensteuern.

Von Armin Himmelrath | 31.07.2020
Mit der Mund- und Nasen-Bedeckung als ständigem Begleiter geht eine junge Frau an aufgestapelten Papierrollen entlang. Der Hintergrund ist unscharf.
Ausbildung mit Mund- und Nasenbedeckung ist mittlerweile ganz normal - es freut sich, wer einen Ausbildungsplatz bekommt und auch angelernt wird (Picture Alliance / dpa / Wolfgang Kumm)
"Der Appell an dieser Stelle an die Unternehmen ist ganz klar: Bildet aus!" - Der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil, SPD:
"Das ist auch für den neuen Ausbildungsjahrgang wichtig, denn die Azubis von heute sind natürlich auch die Fachkräfte von morgen. Wenn wir langfristig wettbewerbsfähig und wirtschaftlich erfolgreich sein wollen, dann ist es angesichts der demografischen Entwicklung am Ausbildungsmarkt geboten, dass Ausbildung stattfindet, dass jetzt nicht nachgelassen wird."
"Eine duale Ausbildung ist das Krisensicherste, was man haben kann." - Die Bundesbildungsministerin Anja Karliczek, CDU.
"Wir tun gerade alles dafür, dass gerade die Auszubildenden in ihren Betrieben bleiben können, auch wenn es in einigen Branchen vielleicht schwierig ist und alle in die Kurzarbeit gehen. Wir unterstützen nochmal, wer seine Auszubildenden hält und jetzt auch gerade die Ausbildungsplätze weiter anbietet. Wir haben ein hohes Interesse daran, dass die duale Ausbildung so stark bleibt, wie sie in der Vergangenheit war."
Deborah Agricola ist 16 Jahre alt und lebt in Frankfurt. Eigentlich wollte sie zum 1. August eine Ausbildung beginnen, pünktlich zum Start ins neue Ausbildungsjahr. Sie wollte auf die von der Politik so gepriesene duale Ausbildung setzen, ihren Weg in den Beruf finden. Aber dann kam das neuartige Coronavirus, und die Pandemie warf in Sachen Ausbildung ziemlich viel durcheinander, erzählt Deborah.
"Ich habe jetzt im Juni meinen Abschluss gemacht. Den Realschulabschluss, in Frankfurt. Und eigentlich wollte ich eine Ausbildung machen, die mir aber zurzeit nicht möglich ist, da viele nicht angenommen haben, aus dem Grund, dass sie halt – die Firmen – jetzt erstmal andere Sachen regeln. Das kam auch per E-Mail bei vielen so zurück."
Pandemie drängt Azubis ins Abseits
Bewerbungen, die nicht mehr bearbeitet wurden. Mails, auf die es keine Antwort gab. Die 16-Jährige fühlte sich in den vergangenen Monaten immer mehr ins Abseits gedrängt. Interesse an ihr, der frisch gebackenen Schulabgängerin, schien es kaum noch zu geben.

"Am Anfang waren auch noch Bewerbungsgespräche. Es hat dann im Februar ungefähr angefangen, wo die Firmen dann gesagt haben, dass das nicht geht – ja."
Eine Ausbildung bei der Stadtverwaltung in Frankfurt hätte sie sich gut vorstellen können. Beworben hat sich Deborah dort auch. Aber "da war es so, dass ich den Test dann online machen musste statt vor Ort, wie es eigentlich bei der Stadt Frankfurt ist. Ich habe auch einen Kumpel dort, der denselben Beruf macht. Der wurde letztes Jahr angenommen und der hat auch gesagt, dass es dadurch komplett auf den Kopf gestellt ist. Und dann musste ich den Test halt zuhause machen und musste halt Daten nachreichen. Es hat dann nicht so geklappt, weil die die Daten nicht angenommen haben, also mein Bewerbungsschreiben. Ja, es ist halt durch Corona sehr, sehr kompliziert gewesen."
Nordrhein-Westfalen, Bonn: Anja Karliczek (CDU), Bundesministerin für Bildung und Forschung, UND Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit- und Soziales, sprechen bei der Eröffnung der Zentralen Servicestelle Berufsanerkennung bei der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) in Bonn.
Bildungsministerin Anja Karliczek (SPD) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) machen sich für die Ausbildung stark (Oliver Berg/dpa)
Christopher Meier kennt diese Geschichten. Meier ist Geschäftsführer der Industrie- und Handelskammer IHK zu Köln. Dort ist er zuständig für die Aus- und Weiterbildung. Das neue Ausbildungsjahr, das offiziell am morgigen Samstag beginnt, habe einen ungewöhnlichen und schwierigen Vorlauf gehabt, sagt Christopher Meier.
"Bei den Schülern war da nicht ganz klar: Wie finden die Abschlussklassen statt? Wie finden die Abschlussarbeiten statt? Wie ist mein Abschluss überhaupt? Gibt es einen Corona-Abschluss oder ähnliches? Und viele Unternehmen dann auch – ich sage mal: den Lockdown, den wir dann hatten im März – eher dafür die Zeit aufbringen mussten, zu gucken: Wie überlebt mein Unternehmen? Beziehungsweise wie stellen wir uns auf die Geschehnisse ein – im Sinne von Homeoffice et cetera pp.?"
So war das auch bei Chiara, ebenfalls 16 Jahre alt, aus Bremen. Zum ersten August beginnt sie ihre Ausbildung zur Bestatterin. Für die Stelle hatte sie sich bereits im letzten Herbst beworben, also vor Corona. Und auch eine Zusage erhalten. Aber dann kam die Unsicherheit.
"Ich hatte am Anfang schon ein bisschen Sorge, als ich gehört hatte, dass dann halt auch viele Ausbildungsplätze gefährdet sind. Aber ich denke, ich habe mir da einen ziemlich sicheren Beruf ausgesucht. Deswegen hat sich da nichts großartig geändert."
Kein normaler Arbeitsalltag
Es blieb beim vereinbarten Ausbildungstermin. Was sich allerdings ändert: Der Arbeitsalltag im Bestattungsinstitut und im Kontakt mit den trauernden Familien.
"Es wird wahrscheinlich schon vieles auf mehr Distanz ablaufen müssen. Die Beerdigungen werden wahrscheinlich mit weniger Gästen sein. Ja, man muss viel mehr noch als sowieso schon auf Hygiene und sowas achten. Was ja in dem Beruf sowieso schon wichtig ist, dass man darauf achtet, wenn man dann auch mit den Verstorbenen Kontakt hat. Aber ich denke, das wird noch wichtiger und noch verschärfter, auch die Regeln sein."
Kurzarbeit könnte sich negativ auf berufliche Ausbildung auswirken
In der Coronakrise war von den Auszubildenden weniger zu hören. Eine Befragung zeigt, dass viele um die Qualität ihrer Ausbildung wegen Unterrichtsausfall oder Kurzarbeit fürchten.

Gelegentlich, sagt Chiara, werde sie angesprochen auf ihren ungewöhnlichen Berufswunsch. Dabei sei ihr schon mit 14 Jahren klar gewesen, dass sie diesen Beruf ergreifen wollte und keinen anderen.
"Laut meiner Mutter liegt es an einem Film, den ich geguckt habe: "My Girl". Ich weiß nur, da habe ich das erste Mal gesehen, dass es diesen Beruf gibt. Und mein erstes Praktikum, was ich von der Schule aus machen musste, habe ich dann bei einer Bestatterin gemacht. Und, ja, da war ich mir dann halt noch sicherer, weil mir auch die Vielfältigkeit an dem Beruf gefallen hat."
Ein Beruf, der irgendwie zur Krise passt, sagt Chiara mit einem Lächeln. Aber sie stimmt auch Christopher Meier von der IHK zu, der sagt: Eine absolute Ausnahmesituation sei das gewesen. Über Wochen und Monate hinweg, für Schülerinnen und Schüler, für Unternehmerinnen und Unternehmer.
"Und da ist mit Sicherheit das Thema Rekrutierung der Auszubildenden für dieses Jahr nach hinten gerutscht, logischerweise. Bei beiden Seiten. Und wir haben so ein Gap von zwei bis drei Monaten – und merken aber jetzt, dass durchaus viele Ausbildungsverträge reinkommen, die abgeschlossen worden sind oder wo man jetzt in Gesprächen ist. Und von daher glauben wir, dass wir in diesem Jahr noch einen ganz passablen Endspurt hinlegen werden."
500 Millionen Euro oder auch der Azubi-Rettungsschirm
Auch wenn Christopher Meier Zuversicht verbreitet: Normal ist in diesem Sommer auf dem Ausbildungsmarkt gar nichts. Außer vielleicht, dass alle Entscheider – so wie in jedem Jahr – die Bedeutung der dualen Ausbildung hervorheben. So wie Matthias Anbuhl vom Deutschen Gewerkschaftsbund DGB. Der forderte bereits im Mai, dass die Situation bei den Azubis dringend politische Reaktionen erfordere.
"Wir haben die Idee, dass man eine Art Ausbildungsversprechen macht. Das heißt, den Betrieben sagt: Wenn ihr dann in Liquiditätsproblemen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten, dann könnt ihr diesen Jugendlichen auslagern – entweder zu einem anderen Betrieb oder zu einem Bildungsträger, der dann das erste Ausbildungsjahr bei ihm macht. Und wir übernehmen auch einen Teil der Ausbildungsvergütung für euch."
Normalerweise würden solche Forderungen von der Bundesregierung routiniert abgebügelt. Aber in Corona-Zeiten ist vieles anders und ungewöhnlich. Und so hat die Große Koalition einen Ausbildungs-Rettungsschirm auf den Weg gebracht, der fast alle DGB-Forderungen aufgreift. Dieser Rettungsschirm ist Bestandteil des Konjunkturpakets, mit dem die Wirtschaft aus der Krise geholt werden soll. 500 Millionen Euro liegen bereit, damit die Betriebe weiter Azubis einstellen. Ausbildungsplätze gegen Geld. Das ist die simple Idee. Leonie Gerbers ist Staatssekretärin im Bundesarbeitsministerium.
"Ganz zentral ist einmal diese Prämie. Ich glaube, das ist auch das, was die meisten kennen. Kleine und mittlere Unternehmen, die also, wie gesagt, obwohl sie jetzt unter der Pandemie gelitten haben, ihr Ausbildungsniveau erhalten, bekommen für jeden Auszubildenden 2.000 Euro. Und die kleinen und mittleren Unternehmen, die ihr Ausbildungsniveau sogar steigern und in diesem Jahr mehr Ausbildungsplätze besetzen als in den vergangenen drei Jahren im Durchschnitt, die bekommen sogar eine Prämie in Höhe von 3.000 Euro."
Rückgang der Ausbildungsplätze variiert
IHK-Mann Christopher Meier ist davon - wenig überraschend - natürlich ziemlich angetan: "Erstens finde ich das sehr gut. Weil, das Thema Ausbildung findet oft nicht statt. Also, wir reden ganz oft über Studienanfänger und ähnliches, aber wir reden nie über die duale Ausbildung, die aus meiner Sicht das Rückgrat und das Fundament der deutschen Wirtschaft sind. Und von daher finden wir es gut, dass da auch, ich sage mal, eine gewisse Wertschätzung im Rahmen einer Ausbildungsprämie geplant ist. Aber grundsätzlich ist es so, dass diese Prämie natürlich, ich sage mal, auch eine Wertschätzung der dualen Ausbildung ist. Und da kann man sich nicht genug drüber freuen."
Eine Auszubildende eines Handwerksbetrieb fasst unter den Hinweisen der Inhaberin einen Anhänger. 
Der Freistaat Thüringen vergibt Ausbildungszuschüsse wegen der Corona-Pandemie - so auch an Goldschmieden (Picture Alliance / dpa / Christophe Gateau)
Leonie Gerbers erklärt, für wen die Sonderzahlung gedacht ist: "Das ist eine Prämie, die sich an kleinere und mittlere Unternehmen bis zu 250 Mitarbeitern richtet – also: 249, die Definition für kleine und mittlere Unternehmen. Wir haben vor allem die dualen Berufsausbildungsgänge im Blick, richten uns aber auch an kleine und mittlere Unternehmen, die im Bereich der Gesundheits- oder Sozialberufe Ausbildungen anbieten. Und wichtig ist, dass es unternehmen sind, die jetzt durch die Pandemie Einschränkungen erfahren haben. Und das definieren wir entweder über Einbrüche bei den Umsätzen oder dass im ersten Halbjahr 2020 Kurzarbeit in Anspruch genommen wurde."
Wie groß die Einbrüche bei den angebotenen Ausbildungsplätzen sind, das variiert deutlich von Branche zu Branche. Christopher Meier von der IHK Köln:
"Bundesweit reden wir von insgesamt neun Prozent weniger angebotenen Ausbildungsstellen. Ich glaube aber, das Thema Ausbildung ist weiterhin der ideale Motor gegen Fachkräftemangel. Und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass wir uns in einem Jahr wieder über das Thema Fachkräftemangel unterhalten. Und von daher haben wir bei bestimmten Branchen Einbrüche, aber bestimmte andere Branchen laufen auch ganz normal weiter. Also, wir haben auch durchaus Unternehmen, die diese Zeit aktiv nutzen und sogar mehr Azubis einstellen, weil sie sagen: Die Zeit will ich nutzen, beziehungsweise die Chance will ich nutzen, weil ich sonst vielleicht nicht so im Fokus bin, da weiter aktiv Leute zu suchen, und ich stelle vielleicht ein, zwei Azubis mehr ein, weil ich weiß: ich brauche sie für die Zukunft."
Trotzdem gibt es natürlich auch Unternehmen, die sich in der aktuellen Krise zunächst einmal dagegen entschieden haben, weiter auszubilden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schätzt, dass in einzelnen Branchen, etwa im Einzelhandel, jeder fünfte Ausbildungsplatz betroffen sein könnte. Christopher Meier von der IHK zu Köln sieht diese Zahlen aber gelassen. Sie seien häufig nur eine Momentaufnahme."
"Wir haben in bestimmten Bereichen weniger Ausbildungsplätze, das muss man auch so sagen. Das ist der Bereich Messebau/Veranstaltungen, das ist der Bereich Reisebranche und auch in Teilen der Bereich Hotel und Gaststätte, wobei die mittlerweile auch schon aufholen. Das sind Bereiche, wo wir weniger Meldungen haben. Aber wir haben durchaus viele Branchen, wo es, ehrlich gesagt, ganz normal weiterläuft."
Geplatzte Träume
Ganz normal? Das hat Deborah Agricola, die 16-Jährige aus dem hessischen Frankfurt, ganz anders erlebt. Und zwar nicht nur direkt bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz, sondern auch schon vorher, auf dem Weg zum qualifizierten Mittleren Schulabschluss. Sie und ihre Klassenkameradinnen seien, sagt die junge Frau, in doppelter Hinsicht benachteiligt: bei den Ausbildungsplätzen und schon zuvor durch den mangelhaften Distanzunterricht in der Schule.
"Also, ich fand es sehr schwierig, da von vielen Lehrern die Unterstützung gefehlt hat, auch danach. Hätte ja vorher schon die ganze Zeit was kommen können, eine größere Reaktion und ein bisschen mehr Unterstützung. Ich denke, das hätte nicht nur mir geholfen in der Klasse, da jetzt einige keinen Qualifizierten haben und dadurch einige Berufe nicht machen können. Meine Freundin zum Beispiel, die wollte Krankenschwester werden, und jetzt zum Beispiel durch Deutsch fehlt ihr halt die Note, um den Beruf zu machen. Weshalb sie sich jetzt etwas Anderes suchen muss. Aber das war halt ihr Traumberuf. Das macht sie halt sehr, sehr traurig."
Ein Fußgänger mit einem Mundschutz geht in Tokio an einer Leuchttafel mit Börsennotierungen vorbei 
Wie die Coronakrise die Weltwirtschaft verändert
Viele Länder haben in den letzten Jahrzehnten von der Globalisierung profitiert. Aber der Protektionismus nimmt zu und viele Staaten stellen in der Coronakrise ihr eigenes Wohlergehen in den Vordergrund.
Leonie Gerbers, Staatsekretärin im Bundesarbeitsministerium: "Jetzt in diesem Jahr haben wir wirklich eine schwierige Situation. Wir sehen das auch. Das hat einmal sicherlich noch den Aspekt, dass auch die Agentur für Arbeit nicht in der Form wie in den vergangenen Jahren Berufsberatung machen konnte, dass auch so was wie Ausbildungsbörsen, die es ja sonst gibt, nicht stattfinden konnten aufgrund der Pandemie. Aber eben auch auf Seiten der Unternehmen eine große Unsicherheit war, für viele auch jetzt noch die Auftragsbücher nicht gut aussehen. Und um da trotzdem auch einen Impuls zu setzen, dass das Ausbildungsniveau gehalten wird, deshalb gibt es ja diesen Ausbildungsschirm. Und wenn wir sehen, dass eine Ausbildung im Handwerk durchschnittlich 17.000 Euro kostet, dann ist das schon ein Anreiz aus meiner Sicht."
Direkte Hilfe für die Arbeitgeber – und die Hoffnung, dass damit indirekte Hilfe für die Auszubildenden verbunden ist. Das ist das Konzept hinter dem 500-Millionen-Euro –Programm der Bundesregierung. Immerhin, der Forderung nach einer Aussetzung des Mindestlohns für Azubis erteilt die Staatssekretärin eine deutliche Absage.
"Das würde ich jetzt für überhaupt gar keine gute Idee halten. Wir haben ja die Mindestausbildungsvergütung tatsächlich erst jetzt in der Koalition durchgesetzt. Das ist ein Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag. Und die Mindestausbildungsvergütung ist jetzt in diesem Ausbildungsjahr 20/21 sozusagen neu eingeführt und gilt und ist auch ein wichtiges Element, um die duale Berufsausbildung attraktiv zu machen – und das wäre jetzt keine gute Idee."
"Der Ausbildungsmarkt läuft anders als der Arbeitsmarkt"
Ohnehin, rät IHK-Mann Christopher Meier, sollte man sich nicht nervös machen lassen von den aktuellen politischen Debatten um die Ausbildungssituation.
"Ganz wichtig ist: Der Ausbildungsmarkt läuft anders als der Arbeitsmarkt. Und der 01.08., der Ausbildungsbeginn morgen, ist nicht in Stein gemeißelt. Also, der Mythos: 01.08., – und danach ist kein Ausbildungsbeginn mehr möglich – da muss man ganz klar sagen: Dem ist nicht so. Man kann auch ohne Probleme am 1.9., 1.10., 1.11. seine Ausbildung beginnen. Also, da vor allen Dingen braucht keiner in Panik und operative Hektik verfallen."
Ein anderes Problem aber bleibt. Was, wenn ein Schulabgänger oder eine Schulabgängerin jetzt eine Ausbildung beginnt, das Unternehmen dann aber später in Turbulenzen gerät? Ein durchaus realistisches Szenario, sagt Staatssekretärin Leonie Gerbers.
"Es wird auch Betriebe geben, kleine und mittlere, die Insolvenz anmelden müssen. Und da ist uns auch ganz wichtig, dass die Ausbildung dann nicht abbricht. Das ist natürlich nicht schön; das ist für die jungen Menschen auch wirklich schlimm, wenn man in der Ausbildung mittendrin steckt, zweites Ausbildungsjahr, drittes Ausbildungsjahr, und dann durch die Insolvenz des ausbildenden Betriebes nicht fertigmachen kann, und deshalb: Für diese Fälle haben wir auch eine Übernahmeprämie, die beträgt auch 3000 Euro."
Eine Auszubildende trägt einen Nasen-Mundschutz bei der Arbeit an einer Drehbank
Ungewisse Zukunft - viele Auszubildenden hoffen, dass ihr Betrieb die Corona-Pandemie übersteht (Picture Alliance / dpa / Christophe Gateau)
Diese finanzielle Prämie sei zwar für die Unternehmen attraktiv, sagt Christopher Meier. Aber gerade im Fall einer unterbrochenen Ausbildung gebe es auch andere Lösungsmöglichkeiten vor Ort.
"Also, insgesamt ist es so, dass wir hier, zumindest in der Region, keine große Kündigungswelle haben. Also, es ist jetzt nicht so, dass wir Hunderte oder viele Azubis haben, die jetzt gekündigt worden sind oder ähnliches – im Gegenteil. Also wir haben diese vielleicht auch befürchtete Kündigungswelle nicht. Und sollte es Unternehmen geben – die es auch immer schon gab – die dann in Insolvenz gehen, oder in Insolvenz gehen müssen, haben wir es bisher eigentlich immer auch ganz gut geschafft, die Azubis bei anderen Unternehmen so unterzubringen, dass sie da erfolgreich ihre Ausbildung weiter fortführen konnten."
Keine Ausbildung im Home-Office
Der IHK-Vertreter hält, das lässt er immer wieder durchblicken, die Sorge um einen kollabierenden Ausbildungsmarkt infolge der Corona-Krise für übertrieben. Ja, es gebe zeitliche Verschiebungen, und ja, es gebe aktuell weniger offene Stellen als sonst um diese Jahreszeit. Aber "es sind auch noch, muss man ganz klar sagen, noch genügend offene Stellen da. Auch in vielen spannenden Bereichen – sowohl im gewerblich-technischen Bereich, im kaufmännischen Bereich, und da einfach die Beratungs- und Informationsmöglichkeiten, die es gibt, die es im Internet gibt, die es bei Kammern gibt, bei IHKs, bei Handwerkskollegen, bei der Agentur für Arbeit – einfach nutzen, um sich nochmal fit zu machen für Bewerbungsgespräche, für Bewerbungsunterlagen. Und dann sind wir eigentlich guten Mutes, weil, Stellen sind genug da."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Auf eins allerdings, sagt Meier, dürften Azubis nicht hoffen: dass sie, ähnlich wie viele andere Angestellte in den kommenden Monaten verstärkt aus dem Home-Office heraus arbeiten können. Jedenfalls nicht regulär und automatisch.
"Insgesamt ist es so, dass eigentlich eine Ausbildung jetzt nicht im Homeoffice stattfinden kann. Also, sie müssen ja eigentlich angelernt werden, es muss was gezeigt werden, und eigentlich ist Homeoffice für Azubis nicht vorgesehen. Ich denke, da sind wir auch alle flexibel mit umgegangen, weil es im Rahmen des Lockdowns auch nicht anders möglich war. Ich glaube, da muss man irgendwo einen Mittelweg finden, genauso wie man ihn insgesamt finden muss. Wo das möglich ist und wo das sinnvoll ist, kann man das mit Sicherheit auch nutzen. Auch für Azubis: Vereinbarkeit Beruf und Familie vielleicht ein bisschen auch mit reinzubringen. Aber insgesamt bin ich da ein bisschen vorsichtig. Weil: Ausbildung – es kommt natürlich auch auf den Beruf an. Also, die Ausbildung eines Kochs im Homeoffice stelle ich mir persönlich sehr schwierig vor. Auch bei großen Maschinen, CNC-Maschinen oder ähnliches, wird das sehr schwierig. Im Bürobereich kann man da mit Sicherheit mehr machen. Aber prinzipiell ist es eigentlich nicht vorgesehen. Aber ich denke mal, da werden wir auch weitere Entwicklungen haben."
"Jeder Jugendliche kann was. Und jeder kann irgendwas gut"
Für Christopher Meier ist es wichtiger, dass jeder Jugendliche möglichst gut zum gewählten Ausbildungsplatz passt – und umgekehrt. Dass diejenigen, die zum ersten August – oder auch später – ihre duale Ausbildung beginnen, einen Beruf finden, der wirklich ihrer Persönlichkeit entspricht.
"Jeder Jugendliche kann was. Und jeder kann irgendwas gut. Und das müssen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen halt für sich rausfinden – das ist schwierig, weil, sie haben so einen Wechsel vom Sollen zum Wollen. Also, sie haben ja damals ganz oft den Schülern immer gesagt, was sie tun sollen, und jetzt müssen sie eine Entscheidung treffen, was sie tun wollen. Und das ist ja ein völlig anderer Ansatz. Und vielen Schülerinnen und Schülern ist einfach nicht bewusst, was sie gut können."
Deborah, die 16-jährige Realschulabsolventin aus Frankfurt am Main, hat die Unsicherheiten infolge der Coronakrise jedenfalls genutzt, um ihren Berufswunsch noch einmal zu schärfen. Für eine Ausbildung in der Kommunalverwaltung will sie sich nicht mehr bewerben, stattdessen hat sie neue Pläne: "Also, ich würde gerne Justizfachwirtin werden oder in der JVA als Vollzugsbeamte arbeiten. Einfach aus dem Grund, dass ich den Kontakt mit Menschen sehr mag und vor allem: In der Schule mochte ich Politikwissenschaften sehr, sehr gerne. Und ich kenne mich auch mit den Gesetzen sehr gut aus. Und ich denke, dass das sehr gut passt."
Auch Chiara, die angehende Bestatterin aus Bremen, blickt nach vorne. Dass sie ihren Ausbildungsweg ausgerechnet im Corona-Jahr startet, spielt für die 16-Jährige keine Rolle. Sie freue sich auf den neuen Lebensabschnitt, sagt Chiara. Welche Hoffnungen sie damit verbindet?
"Ich wünsche mir einfach, dass es gut läuft und dass ich es durchziehen kann und ich mich immer gut mit den Leuten da verstehe. Und dass ich alles schaffe mit der Berufsschule. Genau, bei der Berufsschule wird sich nämlich viel ums Kaufmännische drehen."