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Auseinandersetzung mit dem Faschismus
Computerspiel mit Hakenkreuz

Kein Szenario wird in Computerspielen öfter bemüht, als der 2. Weltkrieg. Dabei bleibt das Nazi-Regime jedoch oft ausgeblendet. Doch langsam beginnt sich das zu ändern. Zwei Beispiele aus Norwegen und Deutschland zeigen eine neue Aufarbeitung von Geschichte.

Von Christian Schiffer | 05.09.2018
    Cover des norwegischen Computerspiels "My Child Lebensborn": Ein blonder Junge hockt traurig auf dem Boden, vor ihm einige Bilder, die er gemalt hat.
    Das Computerspiel "My Child Lebensborn" beschäftigt sich mit einem düsteren Kapitel der Geschichte. (Teknopilot AS)
    Eigentlich freut Karin sich auf den ersten Tag in der Schule. Sie möchte mit den anderen Kindern spielen und lernen zu dürfen. Doch die anderen Kinder werden für Karin zur Hölle. Sie hänseln sie, schlagen sie - und schlimmeres. Denn Karin ist ein sogenanntes "Lebensborn-Kind". Lebensborn, das war ein SS-Verein, der das Ziel hatte, eine arische Elite heranzuzüchten. Auch in den von Deutschland besetzten Gebieten wurden Kinder, die den Rassevorstellungen der Nazis entsprachen, aus ihren Familien geraubt. Irgendwann war der Krieg vorbei, doch die "Lebensborn-Kinder" waren noch da – und hatten es schwer in ihrer Heimat, der Hass auf die Nazis wurde nun an ihnen ausgelassen.
    Der Spieler als Demokrat
    Karin ist die Protagonistin eines Computerspiels mit dem Titel "My Child Lebensborn". Hier schlüpft man in die Rolle einer demokratisch gesinnten Person, die sich in Norwegen nach dem Krieg bereit erklärt ein Lebensborn-Kind zu adoptieren. In Norwegen wurde die Geschichte der Lebensborn-Kinder lange verdrängt, die Gamedesignerin Catharina Bøhler recherchierte deswegen intensiv und sprach mit noch lebenden Lebensborn-Kindern, um die Thematik in ihrem Spiel möglichst authentisch wiederzugeben. Erst habe es Kritik gegeben an der Idee, ausgerechnet dieses ernste Thema in ein Computerspiel packen zu wollen, aber dann seien die Reaktionen fast durchweg positiv gewesen:
    "Der erste Rezensent schrieb, dass er geweint hätte und dass es ein wichtiges Spiel sei. Es gab nur eine einzige negative Besprechung und ihr haben dann auch viele User in den Kommentaren widersprochen. Natürlich haben ein paar Leute das Spiel falsch verstanden und uns vorgeworfen, wir würden und lustig machen über die Kinder oder gar über den Schmerz, den die Menschen im Krieg erleiden mussten. Aber jedesmal, wenn diese Menschen das Spiel dann gespielt oder wir mit ihnen gesprochen haben, verstanden sie unsere Intention. Ehrlich gesagt dachten wir, dass es sehr viel mehr Gegenwind geben würde."
    Ernsthafte Beschäftigung mit der Nazi-Zeit
    "My Child Lebensborn" ist vordergründig irgendwie eine Art Manager- oder Tamagotschispiel, bei dem man sich um die kleine Karin kümmern muss und eine Menge lernt über den Rassenwahn der Nazis. Dass ein Computerspiel sich mit der NS-Diktatur in dieser Form auseinandersetzt ist ungewöhnlich. Doch so langsam scheinen sich auch Gamedesigner sich mit dieser Zeit ernsthaft beschäftigen zu wollen. Einer von ihnen ist Jörg Friedrich von dem kleinen Berliner Studio "Paintbucket Games". Er arbeitet gerade an "Through the Darkest of Times". Die Idee dazu kam ihm letztes Jahr:
    "Trump war Präsident geworden, es stand zur Debatte, dass Front National die Präsidentschaftswahlen gewinnen könnte, Polen, Ungarn … und wir dachten, dass man da doch auch mal als Videospiel etwas machen müsste. Und wir haben uns angekuckt, was tragen Computerspiele eigentlich zum Zeitgeist bei, sowohl positiv als auch negativ. Wir fanden dann, dass wenn es um diese Art von Themen geht, also Faschismus, Diskriminierung, autoritäre Regime, all das, fanden wir das eher dünn. Und dachten, vielleicht könne wir das ja ändern."
    Erstes deutsches Spiel mit Hakenkreuzen
    "Trough the Darkest of Times" soll ein Strategiespiel werden über den zivilen Widerstand im Dritten Reich. Die Grafik ist schwarz-weiß gehalten und orientiert sich an Künstlern wie Käthe Kollwitz, Otto Dix oder John Heartfield, Künstler also, deren Kunst von den Nazis als entartet angesehen wurde. Das erklärte Ziel der Macher: Ihr Spiel soll so aussehen, als ob es damals verboten worden wäre. "Trough the Darkest of Times" wird auch das erste deutsche Spiel sein, dass offiziell Hakenkreuze enthalten darf. Eine Entscheidung, die Jörg Friedrich begrüßt, denn er findet: Ein Spiel, dass sich gegen die nationalsozialistische Ideologie wendet, muss den Nationalsozialismus auch in all seinen menschenverachtenden Facetten und Symbolen zeigen dürfen.
    "Wir dachte erst ganz naiv, dass wenn wir keine Hakenkreuze zeigen, dann geht das schon. Dann haben wir gelernt, dass auch keine Figur den Hitler-Gruß machen darf oder etwas in diese Richtung sagen darf. Und das ist eine Erleichterung!"
    Erscheinen soll "Through the Darkest of Times" noch in diesem Jahr. Und vielleicht inspiriert es auch andere Gamedesigner, sich mit dem dunkelsten Teil der deutschen Geschichte auseinanderzusetzen.