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Ausgehungert

Medizin. - Blut ist ein Symbol für das Leben. Und das gilt nicht nur für den gesunden Körper sondern auch für einen seiner wichtigsten Widersacher, der Krebs. Schon sein einigen Jahren versuchen Forscher und Ärzte deshalb den Tumoren die Blutzufuhr abzuschneiden, ja überhaupt zu verhindern, dass neue Adern in den Krebsherd sprießen. Dieses Konzept wurde einst euphorisch als Durchbruch gefeiert, später häuften sich Rückschläge, aber der Versuch, das Blut im Tumor zum Stocken zu bringen, hat schließlich doch den Sprung vom Labor in die Klinik geschafft.

Von Volkart Wildermuth | 01.03.2004
    Ein Millimeter - größer kann ein Krebsherd ohne eigene Blutversorgung kaum werden. Eine stecknadelkopfgroße Wucherung aber kann die Gesundheit nicht beeinträchtigen, wäre ungefährlich. Wenn es gelänge, einen Tumor in diesem Stadium zu blockieren, käme das einer Heilung des Krebses gleich. Das war die Vision, die vor 15 Jahren erstmals Forscher und Mediziner faszinierte. Doch um sie Wirklichkeit werden zu lassen, musste erst einmal verstanden werden, wie die Adern überhaupt in den Krebsherd gelangen. Das Grundprinzip erläutert Professor Hellmut Augustin von der Klinik für Tumorbiologie in Freiburg.

    Tumoren sind in der Lage eine Reihe von gefäßbildenden Wachstumsfaktoren zu produzieren. Der bekannteste und bedeutendste ist VEGF der vaskuläre endotheliale Wachstumsfaktor, der dann das Blutgefäßsystem des Wirtsorganismus in die Lage versetzt, neue Gefäße sprießen zu lassen, die in den Tumor hinein wachsen und dort ein neues Gefäßbett bilden.

    Sobald ein Tumor so groß wird, dass sein Inneres nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff aus der Umgebung versorgt wird, beginnt er VEGF zu bilden, und regt damit die sogenannte Angiogenese an. Naheliegende Adern wachsen in Richtung Krebs und durchdringen ihn, bis das krankhafte Gewebe an den Blutkreislauf des Patienten angeschlossen ist und damit beliebig weiter wuchern kann. Im Tiermodell läßt sich dieser Prozess leicht unterbrechen, zum Beispiel mit Antikörpern, die ganz gezielt den Wachstumsfaktor VEGF abfangen. Die klinische Umsetzung aber erwies sich als schwierig. Bei Brustkrebs zeigte der Antikörper namens Avastin keinen Effekt. Im vergangenen Jahr aber belegte eine große Studie, dass Avastin in Kombination mit einer herkömmlichen Chemotherapie weit fortgeschrittenen Dickdarmkrebs günstig beeinflusst. Im Schnitt lebten Patienten, die sich täglich den Antikörper gegen VEGF spritzen, 25 Prozent länger als diejenigen, die nur die klassische Behandlung bekamen.

    Es bedeutet fünf Monate im Mittel. Bei einer Ansprechrate von 45 Prozent ist das jedoch als ein Mittelwert zu verstehen. Es gibt eine Reihe von Patienten, die nicht darauf reagiert, es gibt es auch eine Reihe von Patienten die bereits seit mehreren Jahren mit einer Avastintherapie leben. Insgesamt ist eine 25-prozentige Lebensverlängerung natürlich ein sehr großer Durchbruch.

    Das hat auch die amerikanische Zulassungsbehörde FDA überzeugt. Seit Donnerstag letzter Woche ist Avastin in den USA zur Behandlung von Dickdarmkrebs zugelassen. Das ist ein wichtiger Fortschritt für das Gebiet der Angiogeneseblockade, für Hellmut Augustin ist jetzt aber entscheidend, nicht euphorisch zu werden, sondern die neue Therapiemöglichkeit Ziel genau einzusetzen.

    Man nahm an, dass Angiogenesehemmung die magic bullet, die magische Waffe gegen alle Tumoren ist. Tatsächlich zeigt sich jetzt, dass Angiogenese nicht gleich Angiogenese nicht gleich Angiogenese ist. Die Intensität der Angiogenese in unterschiedlichen Tumoren ist sehr unterschiedlich und wir sind dabei individualisierte angiogene Tumordiagnostiken einzuführen, um abschätzen zu können, welche Patienten am besten von einer antiangiogenen Intervention profitieren werden.

    Nur Patienten, in deren Tumoren sich tatsächlich neue Gefäße bilden, können von der neuen Therapie profitieren. Hier wird fieberhaft an entsprechenden Tests gearbeitet. Doch auch die Auswahl geeigneter Tumorarten und geeigneter Patienten wird wohl nicht ausreichen, um das ganze Potential der Hemmung der Angiogenese für die Therapie zu eröffnen, meint Professor Lothar Schweigerer von der Uni-Kinderklinik Göttingen.

    Das hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass Tumoren wahrscheinlich ein ganzes Spektrum an angiogenen Substanzen produzieren um ihre Angiogenese in Gang zu setzten. Und deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass es neben Anti VEGF Molekülen auch andere Moleküle geben muss, und dann wird der Erfolg der antiangiogenen Therapiestrategie aus meiner Sicht nur zu erzielen sein, wenn man solche Moleküle kombiniert einsetzt, also an verschiedenen Angriffspunkten, das man so etwas miteinander kombiniert wie bei der Chemotherapie.

    Sowohl Lothar Schweigerer als auch Hellmut Augustin prüfen derzeit in ersten kleinen Studien an Patienten neue Angiogenese-Blocker. Den ersten Sprung vom Labor ans Krankenbett hat dieser neue Ansatz in der Krebstherapie geschafft. Jetzt kommt es darauf an, die Behandlung zu verfeinern und zu optimieren. In Zukunft wird die Möglichkeit, dem Krebs die Blutzufuhr abzudrehen, zwar kein Wundermittel sein, aber ein weiterer wichtiger Pfeil im Köcher der Medizin, neben der Operation, der Chemotherapie und der Bestrahlung.