Donnerstag, 28. März 2024

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Ausgeweitete Sprechzeiten
"In Wirklichkeit ändert das gar nichts"

Per Gesetz will Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die medizinische Versorgung von Kassenpatienten verbessern. Die geplante Erhöhung der Sprechzeiten helfe jedoch wenig, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery im Dlf. Grundsätzlich bewertet er Spahns Pläne aber positiv.

Frank Ulrich Montgomery im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.07.2018
    Sandra Schulz: Am Telefon ist der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery. Einen schönen guten Morgen.
    Frank-Ulrich Montgomery: Guten Morgen, Frau Schulz.
    Schulz: Finden die Ärzte das auch gut, wenn Kassenpatienten auf diesem Weg künftig schneller einen Termin bekommen?
    Montgomery: Unsere Aufgabe als Arzt ist es, jedem Patienten so schnell wie möglich und so gut wie irgend möglich Versorgung angedeihen zu lassen. Deswegen begrüßen wir jeden Versuch, derartige Terminprobleme abzubauen und zu verbessern. Da ist in dem Gesetz eine ganze Menge Positives drin. Das ist ja ein Gesetz, was noch weit über das hinausgeht, was Sie eben angerissen haben in Ihrem Stück am Anfang.
    Ich würde einfach mal sagen: Da ist viel Licht und viel Schatten drin und wir sollten nun auf das Licht gucken und versuchen, vernünftige Lösungen zu finden, durch eine Zusammenlegung von Notfallversorgung, durch gemeinsame Termin-Service-Stellen, durch eine schnellere Abklärung, wie schnell ist denn wirklich der Bedarf eines Patienten für einen Termin. Denn manches im Rahmen von Vorsorgeuntersuchungen kann durchaus auch mal vier Wochen warten. Nicht jeder, vom Patienten als dringlich empfundene Terminwunsch muss auch sofort erfüllt werden.
    "Ärzte arbeiten über 50 Stunden in der Woche"
    Schulz: Das ist ein bisschen unsere Art, auf die Schattenseiten und auf die Streitpunkte zu gucken, Herr Montgomery. Jetzt habe ich schon richtig verstanden, dass diese Erhöhung von 20 auf 25 Stunden Sprechzeit in der Woche auf recht harsche Abwehr trifft bei den Ärzten, oder?
    Montgomery: Ja. Die meisten Ärzte - das zeigen ja auch unsere Statistiken - arbeiten über 50 Stunden in der Woche an Patienten, davon 38 Stunden alleine an gesetzlich versicherten Patienten. Insofern ist das ein klein bisschen vielleicht der Öffentlichkeit geschuldet, dass man hier sehr plakativ von 20 auf 25 geht. Dabei macht man einen Grundfehler: Dadurch entsteht nicht eine einzige Stunde zusätzlicher ärztlicher Arbeitskraft.
    Das ist auch ein Punkt des Schattens an diesem Gesetz. Da fehlt alles drin, um neue Ärzte zu erzeugen, um mehr Ärzte zu erzeugen, ein Masterplan 2020 für ein besseres Medizinstudium, bessere Zulassungsbedingungen, mehr Studienplätze. Das fehlt da alles. Das würde aber wirklich helfen, um langfristig mehr Versorgung zur Verfügung zu stellen. Die Erhöhung von 20 auf 25 Stunden ist ein klein bisschen dem Gedanken geschuldet, dass da alle klatschen, die angeblich faulen Ärzte würden jetzt zur Arbeit getrieben. In Wirklichkeit ändert das gar nichts.
    "Inkongruenzen im Gesetz"
    Schulz: Herr Montgomery, das glaube ich nicht, dass jemand Ärzte für faul hält. Aber die Frage ist doch: Wenn Ärzte 50 Stunden in der Woche arbeiten, warum ist es dann überhaupt so ein Problem, dann 25 Stunden davon als Sprechzeiten für Kassenpatienten anzubieten?
    Montgomery: Das ist im Prinzip bei den meisten Ärzten überhaupt kein Problem. Ich sagte es ja bereits: Die meisten Ärzte arbeiten 38 Stunden in der Woche am Kassenpatienten. Insofern ist das wirklich ein bisschen eine Show-Nummer und wird an der Situation nicht wirklich etwas ändern.
    Schulz: Herr Montgomery, das sind ja keine Sprechzeiten. Das ist ja das Thema, das die Patienten umtreibt.
    Montgomery: Entschuldigen Sie! Ich rede sogar von Sprechzeiten, die deutlich höher sind als 20 Stunden in der Woche. Denken Sie mal an die offenen Sprechstunden, die zum Beispiel Haus- und Allgemeinärzte, Gynäkologen, Augenärzte heute schon haben. Da sollen sie jetzt auch in offenen Sprechstunden besser honoriert werden. Das ist richtig! Nur der Patient muss dann leider in der Praxis lange warten.
    Hier beißt sich auf der einen Seite der Wunsch, in Termin-Service-Stellen feste Termine schnell zu vergeben, auf der anderen Seite die Patienten wieder auf Wartezimmer und lange Wartezeiten zu verweisen. Das sind ein bisschen die Inkongruenzen im Gesetz. Die werden wir aber sicherlich im weiteren Verfahren noch gemeinsam ausverhandeln können.
    Problem der Konzentration zwischen Land und Stadt
    Schulz: Jetzt ist es ja so, dass es Jahr für Jahr mehr Ärzte gibt, aber dieses Problem, das scheint sich zu verschärfen. Wir haben die Zahlen gerade noch mal gehört. Die Zahl von Patienten, die länger als drei Wochen auf einen Termin warten müssen, die hat sich erhöht. Das betrifft inzwischen jeden siebten, und da sprechen wir "nur" über mehr als drei Wochen. Das können ja auch mal Monate sein. Wieso verschärft sich dieses Problem eigentlich bei einer wachsenden Zahl von Ärzten?
    Montgomery: Ja, das ist eine sehr interessante Statistik, weil wir wachsen ungleichmäßig in der Ärzteschaft. Es gibt Fächer wie zum Beispiel - Sie haben in Ihrem Stück am Anfang die Hautärzte angesprochen, die Dermatologie. Die wachsen lange nicht so stark, weil es heute nicht mehr genügend Weiterbildungsplätze für Dermatologen, für Hautärzte in Kliniken gibt. Das heißt, hier ist die Zahl nicht so stark gewachsen, wie sie im Schnitt über alle anderen Fachgruppen gewachsen ist. Gleichzeitig gibt es neue Vorsorgemethoden, die die Arbeitslast in diesem Bereich auch erhöhen. Man muss sehr differenziert in die einzelnen Fachgruppen hineingehen.
    Sie haben dann auch das Problem der Konzentration zwischen Land und Stadt angesprochen. Es ist in bestimmten Fachgruppen heute ein sehr großer Einzugsbereich von Patienten erforderlich. Den finden Sie nur in Mittelzentren oder städtischen Zentren. Hier müssen Sie auch mit den Patienten, mit der Bevölkerung mal ganz ehrlich Tacheles reden. Wir werden nicht mehr jeden Facharzt zu jeder Zeit in jeder ländlichen Struktur anbieten können. Und hier müssen wir dann einfach nicht mehr den Arzt zum Patienten bringen, sondern dafür sorgen, dass der Patient zum Arzt kommt.
    Schulz: Da hat sich der Bundesärztetag ja auch ausgesprochen für bessere Möglichkeiten, das online abzuwickeln. Ist das wirklich realistisch, dass Patienten im Seniorenalter künftig mit ihrem Arzt skypen?
    Montgomery: Frau Schulz, auch Sie und ich werden mal in das Seniorenalter kommen. Ja, das gibt es heute schon. - Nicht jeder, das ist nicht das Allheilmittel. Darüber müssen wir uns völlig im Klaren sein. Aber es kann ja auch sein, dass zum Beispiel ein medizinischer Mitarbeiter in einem Seniorenheim zusammen mit seinem iPhone und dem Skype-Modul darauf dann zum Patienten geht.
    Wenn man einen nichtärztlichen Mediator noch dazwischen hat, gibt es heute sehr viele Möglichkeiten. Die werden aber den Arzt nicht ersetzen und sie werden vor allem die Behandlung, in der ja schon das Wort Hand mit drinsteckt, nicht ersetzen können. Aber alles hilft, was die Kontakte zwischen Patienten und Ärzten beschleunigt und erleichtert.
    Anreize für neue Landärzte schaffen
    Schulz: Sie sprechen jetzt über Fachärzte auf dem Lande und die Versorgung da. Ein großes Problem ist ja auch die hausärztliche Versorgung. Warum ist es eigentlich so unattraktiv für Ärzte im Jahr 2018 oder im 21. Jahrhundert, auf dem Land zu arbeiten?
    Montgomery: Zum ersten, weil durch die Abnahme der Ärzte auf dem Land die Arbeitslast pro einzelnem Arzt stark gestiegen ist. Heute ist es wieder so, dass viele Ärzte auf dem Land wirklich 24 Stunden, sieben Tage die Woche, 52 Wochen im Jahr arbeiten müssen. Das schreckt ab.
    Zweitens erleben wir einen ganz starken Strukturwandel in der Medizin. Auf der einen Seite sind immer mehr Frauen heute Ärzte, die aus vielerlei Gründen nicht so viel Arbeitszeit zur Verfügung stellen können wie Männer. Auf der anderen Seite wollen auch die Männer heute weniger arbeiten. Sie haben ihre Weiterbildung, ihr Studium alles in der Stadt erfahren. Sie bleiben auch lieber in der Stadt leben.
    Und drittens: Auch auf dem Land gibt es heute eine Veränderung der Bevölkerungsstruktur. Der demographische Wandel setzt dort viel stärker ein. Es gibt sehr viel mehr ältere Menschen, weniger junge Menschen. Es findet dort eine Entmischung der Generationen statt. Das alles führt dazu, dass es unattraktiver geworden ist, sich als Arzt niederzulassen. Und wir müssen hier Anreize schaffen, in Form von Infrastruktur-Politik, gemeinsam mit den Kommunen und Gemeinden und den Ländern, damit Ärzte sich auf dem Land wieder leichter niederlassen können.
    "Im großen und ganzen ein guter erster Wurf"
    Schulz: Diese Anreize will Jens Spahn, der Gesundheitsminister ja auch mit Geld schaffen. Das geht dann aus Ihrer Sicht in die richtige Richtung?
    Montgomery: Vieles an dem Gesetz geht auch durchaus in die richtige Richtung. Jens Spahn hält zumindest Wort darin, dass er sagt, wenn Ärzte mehr arbeiten, müssen sie dafür auch mehr Einkommen erzielen. Das ist richtig! Darüber wird man jetzt noch verhandeln müssen, ob das dann alles richtig, gut und ausreichend ist. Aber das ist das typische Geschäft, was dann auch Krankenkassen und die Kassenärztliche Bundesvereinigung miteinander machen müssen.
    Aber viel in dem Gesetz, die regionalen Zuschläge, die Strukturfonds der Kassenärztlichen Vereinigung, die Regelung zu medizinischen Versorgungszentren, geht durchaus in die richtige Richtung. Und ganz viel von den kleineren Dingen, die wir jetzt alle nicht erwähnen können, in diesem Gesetz sind auch nicht schlecht. Insofern sollte man das Gesetz noch ein kleines bisschen diskutieren, ein kleines bisschen an einigen Stellen ändern. Aber im Großen und Ganzen halte ich das für einen guten ersten Wurf, den der Gesundheitsminister dort gemacht hat.
    Schulz: Halten wir so fest! - Ganz herzlichen Dank an Frank-Ulrich Montgomery, den Präsidenten der Bundesärztekammer, heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Einen schönen Tag noch.
    Montgomery: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.