Dienstag, 16. April 2024

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Ausgewiesene europäische Diplomaten
"Die EU steht vor den Trümmern ihrer Russlandpolitik"

Das Timing der Diplomaten-Ausweisung aus Russland sei ein Schlag ins Gesicht der EU, sagte Markus Kaim, Stiftung Wissenschaft und Politik, im Dlf. Russland begreife sich als Großmacht, die in einer anderen Liga spiele. Die EU sei aus russischer Sicht nicht satisfaktionsfähig und kein anerkannter Partner.

Markus Kaim im Gespräch mit Barbara Schmidt-Mattern | 06.02.2021
Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und der russische Außenminister Sergej Lawrow
Josep Borrell, Hoher Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik und der russische Außenminister Sergej Lawrow bei einer gemeinsamen Pressekonferenz (picture alliance / dpa / TASS / Russian Ministry Of Foreign Affairs)
Längst belastet der Umgang des Kreml mit dem Oppositionellen Alexej Nawalny auch das Verhältnis zwischen Moskau und den Europäern: Vorläufiger Höhepunkt des unfreundlichen Miteinanders war die Ausweisung dreier europäischer Diplomaten aus Russland während eines Besuchs des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in Moskau, am Freitag (5. Februar 2021). In Brüssel ist von einem Eklat die Rede, die Atmosphäre bei der Pressekonferenz von Borrell und Außenminister Sergej Lawrow sei frostig und demütigend gewesen, berichten Beobachter.
Die EU stehe nun vor den Trümmern ihrer Russlandpolitik, sagte Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik in den "Informationen am Mittag". Der EU-Außenbeauftragte Borrell sei in einer Mission des guten Willens nach Moskau gefahren. Nun müsse sich die Europäische Union fragen, wie sie das Verhältnis zu Russland künftig gestalten wolle. Die Hoffnung, einen Wandel durch Annäherung zu erreichen, habe getrügt. Russland begreife sich als Großmacht, die in einer anderen Liga der Welt spiele.
Der SPD-Politiker Matthias Platzeck im Porträt.
Verhältnis zu Russland - "Nicht die Sanktionsschraube weiter anziehen"
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Das Gespräch in voller Länge.
Barbara Schmidt-Mattern: Herr Kaim, drei Gesandte wurden gestern also ausgewiesen, aus den Ländern Deutschland, Polen und Schweden. Der Kreml wirft ihnen vor, an den Protesten für die Freilassung Nawalnys teilgenommen zu haben, Ende Januar. Wie groß ist denn jetzt der diplomatische Schaden zwischen der Europäischen Union und Russland?
Markus Kaim: Der EU-Außenbeauftragte Borrell hat ja im Vorfeld seines Besuches in Moskau bereits diagnostiziert, dass die EU-Russland-Beziehungen sich auf einem Tiefpunkt befinden, und von der Sachlogik her können sie da nicht noch tiefer rutschen. Aber das war dann, glaube ich, doch noch einen Schritt weiter, die Ausweisung der drei Diplomaten gestern, die in der Sache vielleicht nicht wirklich überraschend gekommen ist. Aber das Timing ist doch wirklich ein Schlag ins Gesicht der Europäischen Union gewesen, wo er persönlich versucht hat, jetzt noch mal einen Neuanfang in den europäisch-russischen Beziehungen zu gestalten mit Blick auf das Außenministertreffen am 17. Februar und den Gipfel im März, wo es um eine breitere Debatte der EU-Russland-Beziehungen gehen wird, also sozusagen eine Mission des guten Willens nach Moskau gebracht hat. Dann von Moskau so in dieser Art und Weise behandelt zu werden, ist schon ein Affront, auch wenn die Entscheidung darüber eigentlich erst am Montag bekanntgegeben werden sollte und gestern durchgesickert ist. Das Timing ist ein Schlag ins Gesicht der Europäischen Union, das markiert, glaube ich, die nächsten Wochen und Monate des gemeinsamen Miteinanders.

Vom Selbstverständnis her in einer Liga der geopolitischen Weltmächte mit China und den USA

Schmidt-Mattern: Und wenn wir jetzt mal bei dieser europäischen Lesart bleiben, ein Schlag ins Gesicht der Europäischen Union: Da kommt ja noch hinzu, dass Sergej Lawrow gestern auch kein Blatt vor den Mund genommen hat und in Anwesenheit von Josep Borrell erklärt hat, für Russland sei die EU ein unzuverlässiger Partner – auch das ja nicht gerade eine diplomatische Sprache. Welches Kalkül steckt denn hinter so harschen Worten, hinter so einem scharfen Auftreten jetzt?
Kaim: Ich glaube, es markiert eine Art Ungleichgewicht. Die Europäische Union betont ja – trotz aller Kritik an der Annexion der Krim, die ja die erste Runde von Sanktionen in Gang gesetzt hat, die bis heute gelten, trotz des Falls Nawalny, trotz der Nowitschok-Vergiftung in Großbritannien und einer Reihe von Verfolgungen von Oppositionellen in Russland – immer wieder, dass die EU Russland bräuchte für eine Vielzahl von Fragen in der internationalen Politik, der Krisenbewältigung, der Konfliktbewältigung, Syrien sind die Stichworte hier, Libyen und viele andere mehr.
Ich glaube, es ist jetzt noch mal deutlich geworden, Russland braucht die Europäische Union nicht oder zumindest nicht in dem Umfang. Russland begreift sich – und das ist gestern fast bildhaft deutlich gewesen – als Großmacht, die in einer anderen Liga spielt, nämlich in einer Liga der geopolitischen Weltmächte, mit den USA zusammen, mit China vielleicht zusammen. Aber die Europäische Union ist in diesem Kreis aus russischer Sicht nicht satisfaktionsfähig, ist kein anerkannter Partner, und das hat Sergej Lawrow gestern wirklich in einer bildhaften Manier Josep Borrell spüren lassen. Dementsprechend steht die Europäische Union vor den Trümmern ihrer Russlandpolitik, und ich beneide die Staats- und Regierungschefs im März nicht, die tatsächlich versuchen wollen, mal eine grundsätzliche Antwort auf die Frage zu geben, wie denn das Verhältnis zu Russland in strategischer Sicht losgelöst von den Alltagsgegensätzen gestaltet werden soll.

"Es hat niemals eine kohärente Politik innerhalb der EU zu Nord Stream 2 gegeben"

Schmidt-Mattern: Nun ist die Selbstsicherheit aufseiten Russlands das eine, Sie haben es gerade beschrieben, auf der anderen Seite gibt es ja aber, wenn ich darauf noch einmal zurückkomme, den Vorwurf der Unzuverlässigkeit durch die Russen an die Europäer. Ist an diesem Vorwurf denn möglicherweise etwas dran, wenn wir zum Beispiel mal auf den Streit gucken um die Gaspipeline Nord Stream 2. Da spricht die Europäische Union ja mit gespaltener Zunge, und das könnte man ja als Unzuverlässigkeit im Wortsinne auslegen.
Kaim: Das würde ich so nicht sehen, weil tatsächlich muss man ja sagen, dass die Frage von Nord Stream 2 von Anfang an, also seit das Projekt 2015 aufgegleist worden ist, innerhalb der Europäischen Union strittig gewesen ist. Es hat ja niemals eine kohärente Politik innerhalb der EU zu dieser Frage gegeben, auch wenn die Bundesregierung nicht müde geworden ist, das häufig eben als eine Frage zu definieren, die die gemeinsame europäische Energiepolitik betreffen würde. Aber es ist doch deutlich geworden, dass die EU niemals zu einer gemeinsamen Russlandpolitik gefunden hat, zu einer gemeinsamen Haltung gegenüber Nord Stream 2, aus dem simplen Grund, dass eben doch unterschiedliche Lager innerhalb der EU existieren und wahrscheinlich auch weiter existieren werden, die sich in ihrer Perspektive auf Russland sehr deutlich unterscheiden. Es gibt diejenigen, die nach wie vor auf eine Form von Wandel durch Annäherung setzen, auf Kooperation hoffen und darauf, dass dann eine innere Transformation Russlands einsetzen würde.

Die Hoffnung deutscher Regierungen: "Wandel durch Annäherung"

Schmidt-Mattern: Und ist das sinnvoll, darauf zu setzen, auf diesen Wandel durch Annäherung?
Kaim: Ich glaube, die Empirie der letzten 20, 30 Jahre sollte uns da sehr vorsichtig sein lassen. Es ist ja eine Hoffnung deutscher Regierungen immer gewesen, dass Wandel durch Annäherung eine Politik sei, die auch mit anderen Titeln – Modernisierung – dazu führen würde, dass Russland letztlich würde wie wir. Diese Hoffnung hat doch erheblich getrügt, und der kann man nicht allen Ernstes weiter Glauben schenken. Das bestärkt diejenigen, das sind gerade vor allen Dingen die osteuropäischen Staaten innerhalb der EU, die eine deutlich kritischere Haltung gegenüber Russland pflegen und Russland als Bedrohung betrachten.
Norbert Röttgen
Röttgen (CDU) zu Nord Stream 2 - "Über das Verbot von Energie als politische Waffe verhandeln"
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen hat in der Diskussion um den Bau der Gaspipeline Nord Stream 2 für ein Moratorium plädiert. Gemeinsam mit der EU, Russland und den USA müsse dort die Sorge ausgeräumt werden, dass das Projekt als geopolitische Waffe gegen osteuropäische Staaten eingesetzt wird.
Schmidt-Mattern: Lassen Sie uns den Radius noch mal erweitern und auch die USA mit in den Blick nehmen: Joe Biden hat seine erste große Rede zur Außenpolitik gehalten in dieser Woche und in Richtung Russland gesagt, er wolle Schulter an Schulter mit Amerikas Verbündeten zusammenarbeiten und aber – und jetzt kommt die Adresse an Russland – autoritären Staaten wie China und Russland entschiedener entgegentreten. Das klingt ja auch nicht gerade nach Entspannung.
Kaim: Ja, ich glaube, die amerikanische Politik steht unter etwas veränderten Vorzeichen, glaube ich, vor derselben Herausforderung wie die Europäer auch. Auch die USA jetzt unter Joe Biden kritisieren die innenpolitischen Entwicklungen in Russland, Stichwort Nawalny-Fall, sie kritisieren nach wie vor das außenpolitische Verhalten Russlands in Syrien, in Libyen und andernorts, sehen aber sehr klar, dass man Russland gerade aus amerikanischer Perspektive für viele Fragen der internationalen Politik braucht. Sergej Lawrow hat ja gestern einige angesprochen: die Zukunft des Nuklearabkommens mit dem Iran, der Klimawandel, die Bekämpfung des internationalen Terrorismus und eine Vielzahl. Zwischen diesen beiden Polen von Notwendigkeit und Konfrontation versucht die Biden-Regierung einen Weg zu finden und hat das eben jetzt versucht deutlich zu machen, aber ich glaube, ein interessanter Punkt oder wichtiger Punkt, der sie von der Regierung Trump deutlich unterscheidet, ist eben auch das Zurückweisen, das klare Benennen russischer Einflussversuche auf die amerikanische Politik 2016 und jetzt 2020 auch während der Präsidentschaftswahl.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.