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Ausländer raus, Rentner rein und Schluss mit der Großzügigkeit

Parteichefin Marie Le Pen fordert mit ihren Parolen die etablierten Parteien heraus. Umfragen zu Folge könnte ihre rechtsextreme Front National bei den Europawahlen die stärkste Partei in Frankreich werden. Das hätte Folgen für ganz Europa.

Von Ursula Welter | 24.10.2013
    Ein Dorf, wie es viele gibt in Frankreich. Agnetz in der Picardie. Die Kirche auf dem Hügel, 13. Jahrhundert, Steinmauern, Stockrosen, ein Haus für die Jäger. Trügerische Idylle.

    Vor einem Restaurant am Straßenrand bricht Hektik aus. Marine Le Pen fährt vor. Die Chefin des Front National, der marineblauen Bewegung - den gefälligeren Titel trägt die Partei seit den Präsidentschaftswahlen.

    Alles ist vorbereitet, im Hinterzimmer sitzen fünf Frauen, acht Männer am ovalen Tisch, einer im Rollstuhl, ehemaliger Algerien-Kombattant, die anderen Bauern, Polizisten, Metzger, Lehrer, alle im Rentenalter, eine Witwe, eine Postangestellte, die Runde ist handverlesen. Der Ablauf folgt einem gut inszenierten Drehbuch. Die Fragen sind vorformuliert, schließlich ist Presse im Saal.

    "Voilà, ich bin hier, um Ihre Fragen zu beantworten, eine nach der anderen."

    Die Witwe darf anfangen.

    "Ich habe kein Geld, um ins Altersheim zu gehen, wie kann man die häusliche Pflege verbessern?"

    Marine Le Pen hält sich nicht mit den Verästelungen der sozialen Sicherungssysteme auf. Der Schuldige ist für sie ausgemacht, illegale Einwanderer, die die Kassen plündern:

    Wir sehen das Elend der Welt auch, gibt sich Marine Le Pen geschmeidig, aber:

    "Meine Rolle ist es zuerst an meine Mitbürger zu denken. Die Franzosen sollten als Erste Zugang zu Sozialwohnungen bekommen, es muss eine Nationalitäten-Quote und eine für Rentner geben, mit Sozialkriterien ist es nicht getan. Da wird immer einer ärmer sein als Sie, da kommt eine kurdische Familie daher mit fünf Kindern und drei Euro in der Tasche und hat Vorrang vor der französischen Witwe, die nicht mehr ein und aus weiß, das ist unmöglich."

    Ausländer raus, Rentner rein, Schluss mit der Großzügigkeit:

    "Milliarden von Euro für die medizinische Versorgung von illegalen Einwanderern."

    Anklage reiht sich an Anklage. Marine Le Pen spricht, wie stets dynamisch, redet wie ein Wasserfall, die Stammtischatmosphäre lässt nicht lange auf sich warten.

    Weil die Chefin der rechtsextremen Partei die Probleme beschreibt, wie die Alten sie empfinden, erntet sie eifriges Nicken. Dass die Politikerin wenig konkrete Lösungen im Gepäck hat, fällt da kaum auf.

    "Hier auf dem Land fehlt es uns an Ärzten", sagt eine andere Rentnerin.

    "Man zahlt immer mehr Steuern und hat immer weniger Service", pflichtet Le Pen bei, die Alten nicken erneut.

    "Alles auf dem Land schließt, die Post, die Entbindungsstationen, die Schulen, die Kasernen ... "

    Da kann keiner widersprechen. Schuld sind in den Augen Le Pens alle Regierungen, ob konservative oder sozialistische, ihr Gegner ist das System und natürlich: Brüssel:

    "Es wurde entschieden, Frankreich unter das Diktat der Europäischen Union zu stellen", sagt die Europa-Abgeordnete Le Pen, ohne freilich zu erwähnen, dass Sie aus Brüssel ein anständiges Monatsgehalt bezieht.

    "Es gibt wirklich allen Grund zur Beunruhigung. Schauen Sie die europäische Austeritätspolitik an, die Lage in Portugal, da sollen die Renten um zehn Prozent gesenkt werden, die wollen das nur nicht vor den Wahlen verraten."

    Le Pens Partei will den Euro abschaffen, er habe Frankreich ins Verderben geführt. Und jetzt gehe es den Sparern ans Geld:

    "Schauen Sie sich nur an, was der Internationale Währungsfonds plant."

    Sagt sie.

    "Das Projekt ist, zehn Prozent aller Spareinlagen aller Europäer einzubehalten.
    Im Falle Zypern hat man noch gesagt, ab 100.000 Euro Spareinlagen, aber jetzt vom ersten Euro an. Sie haben also 1000 Euro gespart, man nimmt Ihnen 100."

    Raunen im Saal.

    "Jeder Franzose muss wissen, was da auf ihn zukommt."

    Illegale Einwanderung, Menschen, die Frankreichs Sozialkassen plündern, bedrohte Spareinlagen, hohe Kriminalität - alles wird zu einem dunklen Brei angerührt.

    "In den kleinsten Orten explodiert die Zahl der Einbrüche. Mafia, fahrendes Volk …"

    Der Front National, werde den ländlichen Raum wieder zum Leben erwecken, verspricht Marine Le Pen. Da scheint für einen Augenblick die Sonne durch die bodentiefen Fenster in den Saal.
    Anderthalb Stunden dauert das Feuerwerk, das die Frau zündet, deren Beliebtheitswerte stetig steigen, und die ihre Wähler inzwischen nicht mehr nur im Süden und in den alten Industrieregionen des Nordens findet: Die Rentner, die enttäuschten Landwirte, die pensionierten Lehrer - sie alle sehen in Le Pen die letzte Hoffnung.

    Vor ein paar Jahren sagt dieser 75-Jährige, nachdem die Tafel aufgehoben ist, wäre er nicht zu einer Wahlveranstaltung des Front National gegangen, jetzt setze er auf "Marine" wie er vertrauensvoll sagt:

    "Sie ist viel moderater, als ihr Vater, und man muss ja schließlich an etwas glauben, auf etwas hoffen."

    "Wissen Sie, ich habe links gewählt, ich habe rechts gewählt, jetzt Front National und ich denke, damit wird sich was ändern."

    "Die wird sich viel mehr als die anderen um uns kümmern", wirft auch die Witwe ein, die sieben Kinder groß gezogen hat, die meisten davon sind arbeitslos.

    "Ich finde nicht, dass sie rassistisch wirkt, es gibt doch auch Ausländer, die zum Front National gehören, ich werde auch beitreten."

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