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Auslaufmodell Diesel
Immer mehr ausgemusterte deutsche Autos in Osteuropa

Die Zahl der ausgemusterten deutschen Dieselfahrzeuge, die in Osteuropa landen, habe sich stark erhöht, sagte BUND-Verkehrsexperte Jens Hilgenberg im Dlf. Anders als in Deutschland gebe es dort keine starke Zivilgesellschaft, die Abgas-Grenzwerte oder Fahrverbote einfordere.

Jens Hilgenberg im Gespräch mit Britta Fecke | 09.10.2018
    Gebrauchtwagenmarkt in Kornwestheim, Baden-Württemberg, Foto: Marijan Murat/dpa | Verwendung weltweit
    Nächster Stopp Osteuropa: Gebrauchtwagenmarkt in Kornwestheim (dpa)
    Britta Fecke: In Deutschland werden Dieselfahrzeuge wegen der schlechten Stickoxidwerte in Innenstädten und wegen der drohenden Fahrverbote ausgemustert. Doch wer glaubt, dass sein alter Diesel verschrottet wird, der irrt. Ein Großteil dieser Autos fährt nämlich später auf osteuropäischen Staaten und verschlechtert dann dort die Atemluft. Ich bin jetzt verbunden mit dem BUND-Verkehrsexperten Jens Hilgenberg. Herr Hilgenberg, wie viele dieser ausgemusterten Dieselfahrzeuge landen denn in Osteuropa?
    Jens Hilgenberg: Ja, das ist eine klare Zahl. Nicht nur in Osteuropa, sondern in ganz Europa landen ungefähr 240.000 Dieselfahrzeuge jedes Jahr aus Deutschland. Diese Zahl hat sich im letzten Jahr stark erhöht. Um mehr als 20 Prozent sind die Exporte von Dieselfahrzeugen hochgegangen, was auch daran liegt, dass sich die Dieselfahrzeuge in Deutschland wegen der drohenden Fahrverbote nicht mehr allzu gut verkaufen. Und Sie haben es schon gesagt: Gerade Osteuropa sind die Abnehmer für die älteren Dieselfahrzeuge, für die Fahrzeuge, die tatsächlich Euro fünf wahrscheinlich noch nicht mal erreichen, sondern eher Euro vier als Abgasnorm haben. Die gehen dann nach Kroatien, nach Slowenien, Bulgarien, Rumänien. Neuerdings geht ein großer Teil der Fahrzeuge tatsächlich auch über die Grenzen Europas hinaus, nämlich in die Ukraine, weil da die Vorgaben noch weniger streng sind als in Europa.
    "Politk lässt sich von Gerichten treiben"
    Fecke: Aber in Europa gelten doch die Stickoxid-Grenzwerte für Innenstädte gleich. Wie kann es sein, dass wir in Berlin mit Fahrverboten kämpfen oder die befürchten und in Warschau diese Wagen teilweise sogar noch mit der Abgasnorm drei problemlos über die Straße fahren?
    Hilgenberg: Wir haben ja auch in Deutschland noch Straßen oder Städte, in denen Fahrzeuge mit Abgasnorm drei problemlos durch die Stadt fahren. Beispielsweise in Hamburg bis auf zwei einzelne Straßen; der ganze Rest der Stadt hat noch nicht mal eine Umweltzone. Wir dürfen deswegen nicht immer nur nach Osteuropa schauen. Aber Sie haben natürlich völlig recht, dass es in vielen Städten außerhalb Deutschlands eine Diskussion geben müsste, die es so in der Form nicht gibt, was aber auch daran liegt, dass einfach in diesen Ländern keine starke Zivilgesellschaft solche Maßnahmen einfordert. Auch bei uns ist es ja so, dass die Zivilgesellschaft diese Maßnahmen einfordern muss, Umweltverbände, Gesundheitsverbände, Verbraucherschutzverbände.
    Fecke: Die Deutsche Umwelthilfe.
    Hilgenberg: Beispielsweise die Deutsche Umwelthilfe. Aber die Fahrverbote in Hamburg sind durch den BUND Hamburg eingeführt worden - und nicht durch die Umwelthilfe. Das muss man auch mal klar sagen. Aber ganz klar ist in dem Zusammenhang, dass nicht die Politik agiert, sondern dass die Politik tatsächlich sich von Gerichten treiben lässt und die Gerichte nur dann entscheiden, wenn die Zivilgesellschaft das einfordert. Und dass wir das in Deutschland so stark machen und machen können, liegt tatsächlich an einer starken Zivilgesellschaft. Die ist in Osteuropa leider nicht in allen Ländern so stark vertreten wie bei uns.
    Deutschland über dem europäischem Maß
    Fecke: Ist der Abgasskandal tatsächlich nur ein deutsches Thema? Trifft das nicht vielleicht auch Österreich oder irgendwelche anderen Länder in der EU?
    Hilgenberg: Es wird in vielen anderen Ländern auch darüber gesprochen. Aber die meisten Städte sind noch nicht so weit, dass tatsächlich Fahrverbote schon ausgesprochen sind. Madrid sperrt ab 2020 beispielsweise alle Diesel aus der Innenstadt und später dann auch aus dem gesamten Stadtbereich. Rom will 2024 Diesel komplett aus dem Stadtbereich aussperren. London hat schon erste Straßen ausgerufen, wo überhaupt keine Verbrenner mehr fahren dürfen. Auch in Österreich wird darüber diskutiert. Aber tatsächlich diese aktuelle Situation, dass Gerichte Fahrverbote - in Stuttgart ja flächig für die ganze Stadt - anordnen, in dieser Situation sind wir tatsächlich in Deutschland ein bisschen über das Maß hinaus, was aber auch daran liegt, dass bei uns die Dieselquoten sehr hoch sind und wir viele Fahrzeuge in den Städten haben.
    Fecke: Sie sprachen vorhin die Zivilgesellschaft an. Haben Sie wirklich das Gefühl, dass die so stark ist in Deutschland, wenn Sie doch einen Satz vorher sagten, dass es eigentlich die Gerichte sind, die die Politik vor sich hertreiben?
    Hilgenberg: Ja. Aber die Gerichte entscheiden dann, wenn die Zivilgesellschaft sie dazu veranlasst. Aus politischen Richtungen kommt da nichts, das muss man ganz klar sagen. Hätten wir nicht die Gerichtsentscheidungen über Fahrverbote in Hamburg, über drohende Fahrverbote in Stuttgart, in Düsseldorf, in München, dann wäre auch die ganze Diskussion rund um diesen sogenannten Dieselkompromiss nie zustande gekommen. Allein die Angst der Bundesregierung vor Fahrverboten, aber auch der Landesregierungen oder auch von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, allein diese Angst vor Fahrverboten hat überhaupt dazu geführt, dass wir im Dieselskandal, im Abgasskandal überhaupt zu Maßnahmen kommen. Ob die wirksam sind oder nicht, muss man dann noch mal dahingestellt sein lassen. Aber nur dadurch wurde überhaupt Druck auf die Bundesregierung ausgeübt zu agieren.
    "Dieselkonzept hängt am Goodwill der Automobilindustrie"
    Die Ergebnisse des Dieselgipfels aus dem vergangenen Jahr, die waren mehr als lasch, und auch die Ergebnisse des Dieselkompromisses oder des Dieselkonzeptes, was letzte Woche vorgestellt wurde, sind auch mehr als lasch, weil sie einzig und allein von dem Goodwill der Automobilindustrie abhängen. Von der Politik kommt nichts und ohne Druck von der Zivilgesellschaft würde auch nichts kommen, weil die Gerichte nicht entscheiden würden, wenn es keine Klagen gäbe, und die Klagen, die kommen von uns als Zivilgesellschaft.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.