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"Die Eule, die gerne aus dem Wasserhahn trank"

15 Jahre verbrachte der Autor Martin Windrow mit seinem Waldkauz Mumble. In die Erzählungen über diese Zeit in seinem Buch "Die Eule, die gerne aus dem Wasserhahn trank" arbeitete er die Natur- und Kulturgeschichte der Eule ein.

Von Dagmar Röhrlich | 08.04.2015
    Mit seinen großen, rot umrandeten Augen schaut Waldi, ein Käuzchen des jüngsten, vierköpfigen Nachwuchses der Waldkäuze im Vogelpark in Steinen (Kreis Lörrach), in die Kamera des Fotografen.
    Ein junger Walkauz (picture alliance / dpa / Rolf Haid)
    Ende Mai 1978 fuhr Martin Windrow zur Water Farm, um seinen Vogel abzuholen: eine Waldkäuzin, Strix aluco, in Gefangenschaft von Hand aufgezogen. Das Küken saß auf einer Stuhllehne und sah mit großen, glänzenden Augen vertrauensvoll zu ihm auf:
    "'Piep' machte das Flaumbündel leise. Entzückt beugte ich mich vor."
    Da war es passiert, schreibt Martin Windrow in seinem Buch "Die Eule, die gerne aus dem Wasserhahn trank": Es war Liebe auf den ersten Blick:
    "Das Bündel (...) sprang auf meine rechte Schulter. Es fühlte sich an meiner Wange an wie eine große, warme Pusteblume und duftete wie ein zartes, junges Kätzchen."
    Die rechte Schulter des Autors sollte Mumbles Käuzchenleben lang ihr bevorzugter Platz bleiben. Fünfzehn Jahre verbrachten die beiden gemeinsam, und in die Erzählungen über diese Zeit arbeitet der Autor die Natur- und Kulturgeschichte der Eule ein.
    "Soweit sich die Evolution zurückverfolgen lässt, entstammte meine Eule einer sehr viel älteren Linie als Sie und ich."
    Irgendwann vor 160 Millionen Jahren begann die Ahnenlinie der Vögel, und vor drei Millionen Jahren hatte es sich die Familie der Eulen in ihrer Nische bequem gemacht.
    "Dies geschah zu einem Zeitpunkt, als unsere eigenen, dichtbehaarten, zwergenhaften Vorfahren (...) mindestens noch eine halbe Million Jahre brauchten, um zu entdecken, wie nützlich es sein kann, zwei Kieselsteine aneinanderzuschlagen."
    Der Leser erfährt viel über die Evolution der Eulen, ihr Verhalten und auch ihre Biologie. Dass der Autor eigentlich Militärhistoriker ist, schlägt bei manchen überraschenden Vergleichen durch: etwa, wenn es um die Fähigkeit der Eulen geht, aufgrund ihres S-förmigen, wirbelreichen Halses den Kopf immer auf einer Höhe zu halten, obwohl sie selbst sich bewegen:
    "Erst in den letzten Jahrzehnten haben menschliche Ingenieure ein wirklich effizientes gyroskopisches Stabilisierungssystem für Panzertürme entwickelt. Es hat ein halbes Jahrhundert gedauert und viele Millionen gekostet."
    Im Mittelpunkt des Buchs steht jedoch Windrows Leben mit Mumbles. Begeistert wie ein junger Vater verfolgt der Autor die Entwicklung von Mumbles - eines Federknäuels mit großer und keineswegs immer einfacher Persönlichkeit, einer Vorliebe für Schreibmaschinen und Schnürsenkel.
    "Die Eule, die gerne aus dem Wasserhahn trank" ist ein hinreißendes Buch mit traurigem Ende. An einem Morgen lag Mumbles lebloser Körper zwischen Narzissen: Ein Unbekannter hatte ihre Voliere geöffnet. Martin Windrow brach in Tränen aus - zum ersten Mal seit 20 Jahren. Und verwunden hat er den Verlust wohl immer noch nicht.
    Zielgruppe:
    Eulenfreunde, Vogelfreunde, Tierfreunde, Menschenfreunde.
    Erkenntnisgewinn:
    Erstens: Ein Waldkauz ist keine Feldlerche und kein Wanderfalke, sondern eine geflügelte Katze, die ein gemütliches Zuhause liebt. Zweitens: Trotzdem ist der Kauz als Haustier völlig ungeeignet.
    Spaßfaktor:
    Ein ganz besonderes Buch über eine ganz besondere Liebesgeschichte, das davon lebt, wie ein Käuzchen Wohnung und Leben eines Menschen auf den Kopf stellt.
    Martin Windrow: "Die Eule, die gern aus dem Wasserhahn trank. Mein Leben mit Mumble", Hanser-Verlag, 318 Seiten, 19,90 Euro.