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"Ausrichtung auf die lokalen Bedürfnisse"

Die fehlenden Unterschriften sind geleistet, Berggruen kann die Karstadt-Filialen übernehmen. Den Schlüssel zum Erfolg dieser Investition sieht Handelsexperten Thomas Roeb von der Fachhochschule Bonn/Rhein-Sieg in der Standortausrichtung selbst und im Segment Textil.

Thomas Roeb im Gespräch mit Dirk Müller | 03.09.2010
    Dirk Müller: Besser hätte ein Drehbuchautor das alles nicht schreiben können. Seit gestern Nachmittag melden im Fünf-Minuten-Takt die Agenturen: Die Karstadt-Einigung ist unter Dach und Fach. Ein paar Minuten später dann das Dementi: Doch noch nicht so ganz, denn die notwendigen Unterschriften fehlen noch. Dann ging das so weiter, stundenlang in den späten Abend, in die Nacht, in den heutigen Vormittag. Seit gut eineinhalb Stunden sind die Unterschriften schließlich da, jetzt dürfte nichts mehr schief gehen.

    – Wir wollen darüber sprechen mit Thomas Roeb, Handelsexperte an der Fachhochschule Bonn/Rhein-Sieg. Guten Tag!

    Thomas Roeb: Guten Tag!

    Müller: Herr Roeb, jetzt war das in den zurückliegenden Stunden spannender als so mancher "Tatort". Ist das auch ein guter Deal?

    Roeb: Gut für wen? – Für die Mitarbeiter sicherlich, denn die Alternative wäre eine Zerschlagung des Unternehmens gewesen. Und die hätte sicherlich zu einem Verlust von schätzungsweise 5.-, 6.-, 7.-, 8.000 Arbeitsplätzen geführt von den rund 25.-, 26.000, die Karstadt noch hat.

    Müller: Das ist doch schon was!

    Roeb: Das ist auf jeden Fall etwas, ja, auch für die jeweiligen wirtschaftlichen Gesamtsituationen in den Städten. Viele von den Hertie-Kaufhäusern, die ja in die Insolvenz gegangen sind, stehen heute noch leer und insofern ist das eigentlich für die Gesellschaft ein guter Deal. Ob es für die Vermieter ein guter Deal war, ist schwer zu sagen, aber sie hätten sicherlich nicht zugestimmt, wenn sie das Gefühl gehabt hätten, dass sie mit einem anderen Deal sehr viel mehr verdient hätten.

    Müller: Schlägt Ihr Herz für die Vermieter?

    Roeb: Nein! Mein Herz schlägt, wenn Sie mich schon so direkt fragen, eher für die Käufer und für die Mitarbeiter.

    Müller: Dann reden wir über die Vermieter. Es ist doch besser, etwas zu schlechteren Konditionen zu vermieten, als es leer stehen zu lassen?

    Roeb: Wenn Sie mich so fragen? Als damals der Deal über die Bühne ging, der Verkauf der Häuser über die Bühne ging, war ich bombensicher, dass der Middelhoff sich irgendwo etwas ausgedacht hatte, irgendeinen Trick, um die noch mal rückkaufen zu können, weil ich mir einfach nicht vorstellen konnte, dass man dieses damals schon etwas wackelige Konstrukt Karstadt als Mieter so vertrauenswürdig einschätzen würde, dass man die Häuser zu dem Preis kaufte, zu dem man sie damals erworben hat. Dass sie das tatsächlich gemacht haben, das habe ich bis heute nicht genau verstanden. Nur: Dass sie es gemacht haben, da haben sie niemanden, über den sie sich beklagen können, als sich selbst.

    Müller: Hat das auch diesmal etwas mit sozialer Verantwortung zu tun?

    Roeb: Das wird sicherlich eine Rolle gespielt haben, ja. Soziale Verantwortung – es geht ja auch um den Ruf. Einer der Hauptbeteiligten auf der Vermieterseite ist ja die Deutsche Bank. Ich glaube nicht, dass die Deutsche Bank gerne morgen in den Schlagzeilen, Herr Ackermann insbesondere persönlich in den Schlagzeilen als derjenige hätte stehen wollen, der hauptverantwortlich für den Verlust von 8.000 Arbeitsplätzen ist. Das braucht die Deutsche Bank, glaube ich, nicht.

    Müller: Aber dann haben wir doch schon mal eine Erklärung?

    Roeb: Auf jeden Fall!

    Müller: Herr Roeb, blicken wir nach vorne. Können Kaufhäuser in großen Innenstädten noch überleben?

    Roeb: In großen Innenstädten auf jeden Fall. In den kleineren und mittleren Innenstädten müssen wir gucken. Es gibt ja, was immer aus dem Blick gerät – wir schauen uns Karstadt, wir schauen uns Kaufhof an, das sind die beiden großen Namen, die kursieren -, es gibt aber eine ganze Menge, einige hundert sogar, kleinere und mittlere Warenhäuser, die in Privatbesitz sind, also im Besitz einzelner Betreiber, Betreiberfamilien, teilweise haben die dann zwei oder drei von diesen Häusern. Und die in kleineren und mittleren Städten durchaus ihren Mann stehen und nicht unerfolgreich sind. Schlüssel zu diesem Erfolg ist die lokale Ausrichtung der Sortimente, die Ausrichtung auf die lokalen Bedürfnisse. Und wenn es Karstadt gelänge, das nachzuvollziehen - im Rahmen eines großen Konzerns - was diese kleinen Unternehmen leisten, dann haben die Warenhäuser eine Chance, ja.

    Müller: Wenn Sie jetzt, Herr Roeb, einen Beratervertrag in diesen kleineren und mittleren Städten bekommen würden, was würden Sie Karstadt raten?

    Roeb: Genau das, was ich gerade gesagt habe. Ich habe zwar keinen Beratervertrag, aber ich kenne einige der Protagonisten da. Und darüber genau ist gesprochen worden. Das sehen die auch so. Das ist übrigens auch kein großes Geheimnis. Der Trick liegt nur darin, das vernünftig umzusetzen. Die Idee einer lokalen Anpassung ist nicht neu. Man hat es halt in der Vergangenheit nicht richtig gemacht, weil man die Kontrolle in der Zentrale nicht gerne aufgeben wollte. Ich glaube, dass das in der Zukunft etwas anders wird.

    Müller: Vielleicht können wir das auch mit Blick auf unsere Hörer etwas konkreter machen. Was muss sich beispielsweise am Sortiment ändern?

    Roeb: Das kann ich Ihnen nicht generell sagen, weil es eben auf die lokale Ausrichtung ankommt. Das Einzige, was sich generell sagen lässt, ist sicherlich, dass das Thema Textil gestärkt werden muss. Das ist eine Schlüsselwarengruppe für Warenhäuser überhaupt, wie ja auch für die Innenstädte, in denen die Warenhäuser tätig sind. Aber was sich zum Beispiel in organisatorischer Hinsicht ändern müsste, ist, dass man dem Management, vielleicht sogar auch den Abteilungsleitern vor Ort eine größere Handlungsautonomie lässt hinsichtlich der Auswahl der Sortimente.

    Müller: Weil jeder vor Ort besser weiß, was notwendig ist, als die in der Zentrale?

    Roeb: Das wäre eine Hypothese, die man testen sollte, ja.

    Müller: Gehen wir noch einmal auf das Sortiment zurück. Das war ja auch ein Punkt, der jahrelang diskutiert worden ist, dass man sich zu langsam auf die neuen Gewohnheiten, auf die neuen Kauferwartungen auch eingestellt hat. Wenn man moderner werden will – das hat ja auch der Investor Berggruen gesagt -, was heißt das konkret?

    Roeb: Das Thema Textil, wenn man das jetzt mal als Hauptthema herausgreift. Nur mal eine Größenordnung zu nennen: Karstadt hat ungefähr 40 Prozent seines Umsatzes mit Textil erwirtschaftet. Kaufhof macht ungefähr 60 Prozent. Also, das muss mehr werden bei Karstadt. Wenn man das forcieren will, dann muss man sich natürlich mit Wettbewerbern wie H&M, Sarah und Ähnlichen auseinandersetzen und wird sich die Frage stellen müssen, wie man gegenüber diesen Wettbewerbern bestehen kann, beziehungsweise wie man sich von diesen Wettbewerbern etwas absetzen kann. Das ist ja nicht jeder, der da einkauft bei H&M. In der Beantwortung dieser Frage liegt wahrscheinlich einer der entscheidenden Schlüssel für den zukünftigen Erfolg von Karstadt.

    Müller: Muss Karstadt, müssen die Produkte, muss das Angebot preiswerter werden?

    Roeb: Es muss preiswerter werden nicht im Sinne von billiger, wie das Wort preiswert im Deutschen ja gerne verwendet wird, sondern im ursprünglichen Wortsinn: wert seinen Preis. Das kann durchaus bedeuten, dass es punktuell sogar teuerer wird, wenn dafür die Qualität und vor allen Dingen die modische Qualität überproportional steigt.

    Müller: Und wer geht in Zukunft noch in diese Häuser rein? Sind das vornehmend die Senioren?

    Roeb: Wer geht denn heute noch rein? – Es gibt ja Kunden! Es ist ja nicht so, als wenn Karstadt jetzt völlig leer stünde und darauf wartete, dass sie endlich noch mal einen Kunden finden. Es gibt ja Leute, die da einkaufen. Sind das genug? Müsste man darüber nachdenken? Karstadt schreibt im laufenden Geschäft keine Verluste. Also so dramatisch ist die Situation nicht, sonst hätte Herr Berggruen das auch nicht gekauft, der ist ja nicht verrückt. – Es gibt Ansätze zu der Sanierung, die diese Situation, die wir jetzt haben, stabilisieren und auch fortentwickeln in positiver Hinsicht. Und insofern ist die Herausforderung eigentlich nicht so sehr, komplett neue Kundenschichten für sich zu erschließen. Der typische 14-, 15-Jährige, oder die typische 14-, 15-Jährige wird bei Karstadt nicht kaufen, das muss sie auch nicht. Es würde völlig ausreichen, wenn man jeden, der über die 30 oder über die 35 ist, aus diesem Kreis in ausreichender Anzahl von Kunden behielte, wie man sie ja schon hat.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Thomas Roeb, Handelsexperte an der Fachhochschule Bonn/Rhein-Sieg. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Roeb: Bitte schön.