Dienstag, 19. März 2024

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Außenminister Maas zur Ukraine
"Mit Selenskyj ist neue Dynamik in den Prozess gekommen"

Bei einem Treffen in Paris soll heute ein neuer Anlauf für Frieden in der Ostukraine genommen werden. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj habe bei der Entmilitarisierung "eindeutig vorgelegt", sagte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) im Dlf. Nun müsse auch Russland seinen Beitrag leisten.

Heiko Maas im Gespräch mit Peter Sawicki | 09.12.2019
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einer Pressekonferenz zur Ukraine-Politik
Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) bei einer Pressekonferenz zur Ukraine-Politik (AFP/ Genya Savilov)
Peter Sawicki: Seit fast sechs Jahren wird die Ukraine von einem Krieg im Osten des Landes erschüttert. Heute soll im besten Fall ein Weg Richtung Frieden eingeschlagen werden. Zum ersten Mal seit 2016 gibt es wieder ein Gipfeltreffen im sogenannten Normandie-Format, wobei vor allem Russland als Interessenvertreter der sogenannten Separatisten eine Schlüsselrolle zugeschrieben wird.
Am Telefon ist jetzt Heiko Maas, Bundesaußenminister und Abgeordneter der SPD. Schönen guten Morgen, Herr Maas.
Heiko Maas: Guten Morgen.
Sawicki: Rückt heute für die Ukraine der Frieden einen Schritt näher?
Maas: Na ja, das hoffen wir doch alle, denn letztlich dauert dieser Krieg schon viel zu lange. Die Menschen gehen da jetzt in den fünften Kriegswinter und wir hoffen, dass es der letzte sein wird. Und es ist ein Krieg in unserer Nachbarschaft in Europa. Das kann uns auch nicht ruhig bleiben lassen. Ich hoffe, dass beide Seiten die Bereitschaft heute mitbringen, wirkliche Schritte weiterzugehen und eine politische Lösung zu finden, an deren Ende dann ein wirklich dauerhafter Frieden in der Ostukraine steht.
"Selenskyj hat eindeutig vorgelegt"
Sawicki: Welche Schritte könnten das sein?
Maas: Es gibt, glaube ich, viele Möglichkeiten, indem beide Seiten dokumentieren können, dass sie die Minsker Vereinbarung weiter umsetzen. Das heißt, der Waffenstillstand, der in der Vergangenheit oft vereinbart wurde, aber selten eingehalten worden ist. Das heißt, wir brauchen dabei mehr Verbindlichkeit. Die sogenannten Entflechtungsmaßnahmen, dass Truppen/Geräte zurückgezogen werden können vor Ort und damit Konflikte, die es dort gibt, auch entschärft werden. Und letztlich die Frage, wie es weitergeht mit den Wahlen, denn letztlich soll es Wahlen geben nach ukrainischem Recht in der Ostukraine. Es soll ein Sonderstatus eingeführt werden für diese Region. Und letztlich müssen die Gebiete dort militärisch übergeben werden. Das sind viele, viele Schritte, die noch gegangen werden müssen, und es gibt viele, viele Möglichkeiten, jetzt damit anzufangen, diesen Weg endlich einzuschlagen.
Sawicki: Lassen Sie uns die Punkte mal einzeln durchgehen. Bleiben wir erst mal bei der Entmilitarisierung, bei der Entflechtung, die Sie angesprochen haben. Das hat ja der ukrainische Präsident bereits eingeleitet seit dem Sommer, umfangreich an mehreren Standorten. Muss da Russland jetzt auch nachziehen?
Maas: Natürlich! Das ist etwas, was beide Seiten tun müssen. Was wir sehen müssen ist, dass Präsident Selenskyj dort eindeutig vorgelegt hat. Das ist die Veränderung im Vergleich zu der Zeit davor. Mit ihm ist neue Dynamik in den Prozess gekommen. Er hat sich dort persönlich hinbegeben vor Ort, hat mit den Verantwortlichen beim Militär noch einmal gesprochen und hat dafür die Voraussetzung geschaffen, dass hier überhaupt Bewegung entstanden ist. Das erwarten wir natürlich auch von der russischen Seite und ich glaube, es gibt durchaus Hinweise dafür, dass wir in dem Bereich einen Schritt nach dem anderen weiter vorankommen.
"Nichts passiert in den letzten Jahren"
Sawicki: Wo sehen Sie genau diese Hinweise von russischer Seite?
Maas: Ja, dass man letztlich dazu bereit gewesen ist, sich jetzt noch einmal zusammenzusetzen. Es ist von der russischen Seite anerkannt worden, dass es Bewegung auf der ukrainischen Seite gibt. Letztlich will man – das hat ja auch der Kollege Sergei Lawrow, der russische Außenminister noch einmal gesagt, im Vorfeld des Treffens heute Abend, dass man Garantien will, Sicherheitsgarantien auch für die Bevölkerung entsprechend dem, was in der Minsker Vereinbarung festgelegt ist. Wenn das alle so wollen und wenn sie es alle so sagen, dann können wir ja auch gerne damit anfangen, das jetzt Stück für Stück weiter umzusetzen.
Sawicki: Aber das ist jetzt erst mal nur die Ansage von russischer Seite, Gespräche führen zu wollen beziehungsweise bereit dazu zu sein. Wie kann man denn Russland dazu verpflichten, den Worten auch Taten folgen zu lassen?
Maas: Eigentlich haben sich beide Seiten schon verpflichtet, nämlich in den Minsker Vereinbarungen, diesen Weg zu gehen.
Sawicki: Aber es passiert ja zu wenig bisher.
Maas: Ja, es ist sogar überhaupt nichts passiert in den letzten Jahren. Deshalb ist es ja so positiv, dass es jetzt diesen Gipfel gibt und endlich man auf Regierungschefebene und Staatschefebene bereit ist, sich noch mal zusammenzusetzen. Es muss jetzt umgesetzt werden, und zwar sichtbar vor Ort, denn in den Minsker Vereinbarungen ist das alles beschrieben, alles festgelegt, auch die Abfolge, nachdem es eine Einigung über die sogenannte Steinmeier-Formel gab. Jetzt müssen Fakten geschaffen werden vor Ort und beide Seiten müssen den Beweis antreten, dass es ihnen ernst ist.
"Verhältnis Russland-Europa hängt von Ukraine-Frage ab"
Sawicki: Aber noch einmal, Herr Maas. Was für einen Hebel gibt es denn gegenüber Russland, da jetzt konkret tätig zu werden?
Maas: Russland hat sich in diesen Minsker Vereinbarungen auch zu diesem Weg verpflichtet und Russland, glaube ich, hat auch international ein Interesse daran, dass man die Bereitschaft zum Frieden in der russischen Außenpolitik erkennt. Alle wissen, dass das Verhältnis zwischen Europa und Russland ganz wesentlich davon abhängig sein wird und bleibt, wie es in der Ukraine-Frage weitergeht. Ich glaube, es gibt durchaus auch Interesse auf der russischen Seite, Signale auf der internationalen Ebene zu setzen, die dazu führen können, dass sich das Verhältnis zwischen Russland und der Europäischen Union noch einmal verändert, und die Voraussetzung dafür sind Fortschritte im Friedensprozess insbesondere in der Ostukraine.
Sawicki: Blicken wir noch mal auf einen anderen Punkt, der aus ukrainischer Sicht besonders wichtig ist mit Blick auf die Gebiete im Osten, was die Wahlen angeht, die dort abgehalten werden sollen. Die Ukraine sagt ja eindeutig, sie möchte die Grenzkontrolle haben über die Ostgebiete, die Gebiete im Osten, und es soll eine Entmilitarisierung geben. Dann können erst Wahlen stattfinden. Russland will mehr oder weniger umgekehrt: erst Wahlen und dann kann man über einen Abzug von Truppen sprechen. Wie will man da auf einen gemeinsamen Nenner kommen?
Maas: Wenn ich das jetzt schon wüsste, wäre es ganz angenehm. Es ist aber nicht so. Letztlich ist das einer, glaube ich, der wichtigsten Punkte, um die es heute Abend gehen wird. Letztlich geht es nicht um das, was geschehen soll, sondern es geht nur noch um die Abfolge, und da gibt es in der Minsker Vereinbarung auch eine Regelung dazu. Die ukrainische Seite will diese Regelung verändern und darüber wird man heute reden müssen. Möglicherweise wird es an anderer Stelle dann ein Entgegenkommen der Ukraine geben müssen. Das ist einer der Kernpunkte, um die es heute Abend geht. Wenn es auf der einen Seite Bewegung gibt, dann wird auch auf der anderen Seite sicherlich dafür noch einmal eine Verständigung erzielt werden müssen bei einem anderen Punkt. Das ist jetzt eine klassische Verhandlungssituation, in die wir hineinsteuern, aber tatsächlich ist die Frage der Abfolge, wann finden die Wahlen statt, wer hat wann letztlich militärisch die Kontrolle über dieses Gebiet, das scheint mir eine der Kernfragen der heutigen Diskussion zu werden.
"Selenskyj ist innenpolitisches Risiko eingegangen"
Sawicki: In der Ukraine gibt es aber durchaus auch Stimmen, aus denen hervorgeht, dass sich Ernüchterung breit macht gegenüber dem Westen. Da gibt es ja zum Beispiel die Ansage vom französischen Präsidenten, Russland mehr entgegenzukommen in Zukunft. Sie kennen ja auch die Debatte rund um die NATO und wie man mit Russland umgehen sollte. Und Präsident Selenskyj, der hat dem "Time Magazine" neulich gesagt, er vertraue niemandem, und das könnte auch Richtung Deutschland gezielt sein. Beunruhigt Sie das?
Maas: Wissen Sie, ich bin vor etwa zwei Wochen noch einmal in der Ukraine in Kiew gewesen bei meinem Kollegen Außenminister, und ich habe auch den Präsidenten Selenskyj gesprochen. Wir haben uns da sehr, sehr lange unterhalten. Ich habe nicht den Eindruck, dass es da ein Vertrauensdefizit gibt. Ganz im Gegenteil! Es gibt Erwartungen an uns und es gibt die Erwartung, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass wir heute Abend dem dauerhaften Frieden in der Ostukraine einen Schritt näher kommen und dass dabei die ukrainischen Interessen nicht unter den Tisch fallen. Ich finde, diese Erwartung ist auch berechtigt. Man muss nämlich auch anerkennen, dass Selenskyj auch ein innenpolitisches Risiko eingegangen ist. Das, was er jetzt dort tut, findet nicht bei allen in der Ukraine ungeteilte Zustimmung. Die Nationalisten, die es dort gibt, die jegliche Form des Kompromisses gegenüber Russland ablehnen, werden die Bemühungen von Selenskyj weiterhin heftig kritisieren bis hin zu Demonstrationen, die da stattfinden. Er tut dies trotzdem und lässt sich von seinem Weg nicht abbringen. Das finde ich bemerkenswert und es hat für mich diese Erwartung an uns, dass wir unseren Teil dazu beibringen, auch gegenüber Russland deutlich machen, dass wir Erwartungen haben, dass nun Russland auch einen Beitrag liefert. Das finde ich völlig gerechtfertigt und ich habe nicht den Eindruck, dass auf der ukrainischen Seite ein Vertrauensdefizit gerade gegenüber Deutschland besteht.
Sawicki: Steht da Deutschland auch fest an der Seite der Ukraine?
Maas: Ich glaube, wenn man als Vermittler in einem solchen Konflikt auftritt, dann sollte man nicht auf der einen oder auf der anderen Seite stehen. Aber man muss anerkennen, was beide Seiten dazu beitragen, dass es Fortschritte gibt, und da ist es ganz einfach so, dass mit der Wahl von Präsident Selenskyj erst neue Dynamik in diesen Prozess gekommen ist, und das ist die Voraussetzung dafür gewesen, dass es dieses Treffen heute überhaupt gibt.
"Die SPD lebt munter weiter"
Sawicki: Wir müssen heute Morgen, Herr Maas, natürlich auch noch über ein anderes Thema kurz sprechen: über Ihre Partei, die SPD, die ihren Parteitag jetzt hinter sich hat. Ist Ihnen selbst klar geworden, in welche Richtung es für die SPD gehen soll?
Maas: Ich glaube, das ist inhaltlich ziemlich deutlich geworden, und zwar auf vielen Ebenen, denn es sind sehr umfassende Positionen beschlossen worden in diesem Leitantrag, aber auch finanzpolitisch, sozialpolitisch. Insofern, glaube ich, kann man der SPD ja einiges vorwerfen, aber man kann ihr nicht vorwerfen, dass sie auf diesem Parteitag nicht gesagt hat, wohin die Reise mit der SPD politisch gehen soll.
Sawicki: Perspektivisch raus aus der Großen Koalition, auf Konfrontation zur Union?
Maas: Ich kann ja verstehen, dass es immer um raus aus der Großen Koalition geht. Die Große Koalition wird ja auch in den Medien schon ein Jahr mehr oder weniger totgeschrieben und sie lebt immer wieder weiter, und ich habe auch gelesen, dass die SPD auch am Ende ist. Die SPD lebt aber auch ganz munter weiter, wie ich auf diesem Parteitag gesehen habe. Nein, wir haben einen Koalitionsvertrag, den wir weiter umsetzen. Wir wollen über ein paar Themen reden im Rahmen des Koalitionsausschusses, ganz unaufgeregt. Das hat in der Vergangenheit funktioniert. Viele Dinge, die wir in dieser Koalition beschlossen haben, standen überhaupt nicht im Koalitionsvertrag drin, wie etwa das Klimaschutzpaket, oder bei der Grundrente haben wir das, was im Koalitionsvertrag stand, durchaus nicht unerheblich weiterentwickelt. Insofern finde ich, dass dieser Prozess ein relativ undramatischer sein kann, und ich glaube, das wäre gut, weil auch die Leute in Deutschland die Erwartung haben, dass sie vernünftig regiert werden.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.