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Außenpolitischer Sprecher der SPD lehnt Militäroption gegen Iran ab

Der außenpolitische Sprecher der SPD Rolf Mützenich zweifelt an den Aussagen des Irans über militärische nukleare Programme. In einer militärischen Intervention sehe er keine Option. Es brauche unter anderem bilaterale Gespräche mit dem Iran und dafür sei Russland ein wichtiger Partner.

Rolf Mützenich im Gespräch mit Dirk Müller | 09.11.2011
    Dirk Müller: Andere Krisenregionen verdecken oftmals, dass die übrigen Krisenregionen keinesfalls auf dem Weg aus der Krise sind, oder immer noch als gefährlich gelten, immer noch eine Gefahrenquelle sind, beispielsweise der Iran. Politik und auch die Medien sind seit Anfang des Jahres in hohem Maße auf die Arabische Revolution fokussiert, wenn es um den Nahen Osten geht. Von Teheran war monatelang so gut wie keine Rede, bis jetzt, bis gestern. Das vermeintliche Atomwaffenprogramm des Regimes in Teheran ist zurück auf der Agenda, weil die Internationale Atomenergiebehörde offenbar Erkenntnisse darüber hat, wonach im Iran weiterhin nukleare Waffentechnologie entwickelt werden soll.
    Wir bleiben beim Thema Iran, wir bleiben beim Thema mögliche Atombombe aus Teheran. Am Telefon ist nun Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Guten Tag, Herr Mützenich.

    Rolf Mützenich: Guten Tag, Herr Müller.

    Müller: Herr Mützenich, niemand hat die Absicht – das haben wir heute aus Teheran gehört -, niemand hat die Absicht, eine Bombe zu bauen. Glauben Sie dem Iran?

    Mützenich: Nein. Wir bezweifeln ja schon seit mehreren Jahren, nicht nur aufgrund der Berichte der Internationalen Atomenergiebehörde, die ja eine Vielzahl von Fragen immer wieder aufgeworfen hat in ihren Berichten, sondern auch durch andere Informationen, dass diese Aussagen aus dem Iran glaubhaft sind. Wir haben immer wieder darauf hingewiesen, der Iran muss deutlicher machen, dass er ein allein ziviles Programm unternimmt, und offensichtlich ist dieser Bericht ja angetan, jetzt zusätzliche Zweifel noch mal zu äußern, was einzelne Komponenten betrifft.

    Müller: Der Iran hat auch immer wieder gesagt und auch jetzt heute noch einmal begründet, es hat zahlreiche Untersuchungen, Inspektionen vor Ort gegeben, es ist nie etwas gefunden worden. Ist das kein Argument?

    Mützenich: Nein, es ist natürlich durchaus ein Argument, und ich bin ja auch dafür, dass weiterhin diese Offenheit und diese Besuche stattfinden. Aber der Iran kann nicht bezweifeln, dass die Internationale Atomenergiebehörde und nicht nur jetzt Herr Amano, sondern auch damals El-Baradei immer wieder Fragen gehabt hatten, die in den Berichten aufgetaucht sind und die dann zum Schluss auch den Sicherheitsrat erwogen hatten, auch dann mit Zustimmung Chinas und Russlands, zu Sanktionen zu kommen.

    Müller: Welche Rolle spielt Russland in diesem Karussell?

    Mützenich: Eine sehr wichtige Rolle, und ich war auch dankbar gewesen, dass gestern der russische Präsident Medwedew bei seinem Besuch hier in Deutschland noch mal klar gemacht hat, dass der Iran auch eine Bringschuld hat, und ich hoffe, dass die Russen dies jetzt auch stärker in bilateralen Gesprächen einfordern.

    Müller: Haben die Russen auch eine Bringschuld?

    Mützenich: Ich denke schon. Sie sind Mitglied des Sicherheitsrates, sie sind Vetomacht und sie verfügen über gute Kontakte, aber auch über Handelsbeziehungen. Aber da ist Russland nicht alleine, da spielt auch die Volksrepublik China, da spielt aber auch Indien zum Beispiel eine Rolle, und Indien ist auch zurzeit Mitglied im Sicherheitsrat.

    Müller: Nun haben wir auch immer wieder Informationen bekommen, auch in den vergangenen Tagen, dass zahlreiche russische Wissenschaftler, zahlreiche russische Ingenieure in Iran vor Ort mit entwickeln, an welcher Sache auch immer. Glauben Sie noch Moskau?

    Mützenich: Es ist durchaus angemessen, immer hier wieder Fragen zu stellen, inwieweit in Russland auch die staatlichen Behörden eine Kontrolle darüber haben, was sowohl Wissenstransfer, als auch Gütertransfer betrifft. Aber es ist ja auch nicht nur Russland möglicherweise hier involviert. Wir haben ja sehr stark auch eine Beziehung gehabt in den vergangenen Jahren von Akteuren aus Pakistan, aber auch Nordkorea ist genannt worden, also sehr unterschiedliche Fassetten, die eine Rolle spielen müssen und die in einigen Berichten der Internationalen Atomenergiebehörde ja auch aufgetaucht sind.

    Müller: Geht es auch, Herr Mützenich, um finanzielle Interessen?

    Mützenich: Mit Sicherheit spielen finanzielle Interessen eine Rolle. Es spielen individuelle finanzielle Interessen eine Rolle, ansonsten kann man keine Wissenschaftler, kann man kein Know-how abwerben. Auf der anderen Seite spielen natürlich Handlungskontakte eine große Rolle, natürlich auch die Frage von Rohstoffen. In dieser Situation ist natürlich Iran sehr privilegiert. Aber das hat natürlich unter anderem auch dazu geführt, dass wir in den letzten Jahren versucht haben, genau in diesen sensiblen Bereichen anzusetzen, und ich glaube immer noch, dass es richtig gewesen war, dass man 2003 eben überlegt hat, über die Kontaktgruppe, über die Sechsergruppe, wo auch Deutschland Mitglied ist, zu diesen Gesprächen zu kommen. Aber das sind zwei Dinge und ich glaube, die Bundesregierung ist jetzt auch gut beraten, im Sicherheitsrat eine sehr wichtige Rolle in der weiteren Bearbeitung des Iran-Dossiers zu spielen.

    Müller: Teheran, Herr Mützenich, hat noch einmal jetzt argumentiert, das ist alles nur ein Vorspiel für neue Sanktionen. Geht es um neue Sanktionen?

    Mützenich: Auch neue Sanktionen spielen natürlich eine Rolle. Es ist ja zum Beispiel über die iranische Zentralbank gesprochen worden, andere Fragen, insbesondere auch, wie arabische Unternehmen, arabische Länder auch über Dreiecksbeziehungen hier mit dem Iran Kontakte pflegen. Aber auf der anderen Seite kommt es ja nicht nur darauf an, auf den Iran einzuwirken – wir haben eben über andere Länder gesprochen -, aber auch dem Iran muss ein Bedrohungsszenario genommen werden, was es in den letzten Jahren gegeben hat. Präsident Obama hat dies ein bisschen herausgenommen, das war sehr gut gewesen, aber ich glaube, deswegen müssen auch unmittelbare Gespräche weiterhin geführt werden und vonseiten Europas haben wir auch ein Interesse daran.

    Müller: Glaubwürdigkeit, Vertrauen, das sind ja auch Stichworte, die in dieser Auseinandersetzung immer wieder eine wichtige Rolle spielen. Nun haben wir ein weiteres Argument heute Morgen, gestern Abend aus Teheran gehört: Es gab ja auch einmal George Bush und den Irak-Krieg. Ist der Westen glaubwürdig?

    Mützenich: Eben! Und deswegen habe ich darauf hingewiesen, dass es gut gewesen ist, dass Präsident Obama auch ein neues Kapitel, eine neue Seite zu islamischen Staaten aufgeworfen hat. Wir kommen natürlich jetzt in eine auch schwierige Situation im inneramerikanischen Wahlkampf, Vorwahlkampf, auch das wird eine große Rolle spielen, das ist mir klar. Umso mehr wird natürlich Europa auch gehalten sein, die Dinge, die in Iran auch immer wieder zu Ängsten geführt haben, auch offen das aufzunehmen in Gesprächen, und deswegen müssen wir auch weiterhin für Gespräche plädieren.

    Müller: Würden Sie aus israelischer Regierungssicht eine mögliche Militärintervention ausschließen?

    Mützenich: Ich bin durchaus offen dankbar für das, was gestern der israelische Verteidigungsminister Barak gesagt hat, heute Morgen auch Regierungssprecher, die ja diese Dinge, die in den letzten Tagen in Israel, aber auch darüber hinaus immer wieder diskutiert worden sind, etwas zurückgenommen haben, und ich glaube, das ist auch richtig, weil ja offensichtlich es auch in Israel eine Diskussion darüber gibt, ob überhaupt eine militärische Eskalation zu den Folgen führen wird, die man will, nämlich das Atomprogramm nicht nur kurzfristig zu stoppen, sondern auch zu einer Verhaltensänderung im Iran zu kommen, und da gibt es eine Menge Zweifel, die ja auch in Israel diskutiert worden sind.

    Müller: Also Militäroption für Sie keine?

    Mützenich: Nein! Ich glaube nicht, dass das eine zielführende Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt ist. Jetzt muss eben aufgrund des Berichts der Internationalen Atomenergiebehörde auch der Sicherheitsrat befasst werden, und ich glaube, als Mitgliedsland, wo Deutschland jetzt auch eine Rolle spielt, tun wir gut daran, auch den Sicherheitsrat als Akteur zu benutzen.

    Müller: Bleiben wir beim Thema Glaubwürdigkeit. Nicolas Sarkozy hat gesagt, Netanjahu ist ein Lügner. Glauben Sie Jerusalem?

    Mützenich: Ich bin überrascht über diese Dinge, die dort offensichtlich informell auch wieder aufgeschnappt worden sind. Ich bin mir aber auch nicht sicher, dass die israelische Regierung gut beraten ist, insbesondere in der Frage des Nahost-Friedensprozesses, der Frage des Siedlungsbaus, nur mal als ein Beispiel zu nennen, eben andere Krisenherde nicht zumindest zu versuchen zu befrieden, und ich glaube, das ist genau der Aspekt, den wir ja auch von Europa, der aber auch vonseiten Deutschlands immer wieder genannt worden ist. Wir brauchen jetzt unmittelbare Gespräche zwischen Palästina und Israel, und ich glaube, der Siedlungsstopp gehört mit dazu.

    Müller: Könnte man sich aus europäischer Sicht von Netanjahu getäuscht fühlen?

    Mützenich: Man muss immer wieder Fragen stellen, die aber dann die gesamte israelische Regierung, die israelische Politik betreffen. Insbesondere spielen ja offensichtlich sehr stark auch ethnische und religiöse Momente eine Rolle. Wir haben Gesetzentwürfe im Parlament, die mich durchaus schaudern lassen, von einzelnen Parteien in Israel, die im Grunde genommen auch Bevölkerungsgruppen in Israel aus dem rechtlichen Staatsgefüge ausschließen wollen. Alles das sind Diskussionen, die wir gut beraten wären, auch diese Gespräche mit den israelischen Partnern zu führen.

    Müller: Zum Schluss, Rolf Mützenich, noch einmal zurück zum Iran. Was kann der Westen jetzt tun?

    Mützenich: …, insbesondere zu versuchen, einen weiteren Gang in den Sicherheitsrat zu formulieren, insbesondere auch andere Länder in den Sicherheitsrat so stark mit dem Bericht der Internationalen Atomenergiebehörde zu konfrontieren, dass es auch zu weiteren möglicherweise Beschlüssen innerhalb des Sicherheitsrates kommt, die vielleicht dann auch ein Verhalten ändern. Aber es braucht dafür auch bilaterale Gespräche, und Russland ist dafür ein wichtiger Partner.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk Rolf Mützenich, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Berlin.

    Mützenich: Ja! Alles Gute nach Köln.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.