Dienstag, 19. März 2024

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Außenskelett aus Calcit
Blattschneiderameisen mit Rüstung

Blattschneiderameisen der Art Acromyrmex echinatior müssen sich in den Wäldern Südamerikas regelmäßig gegen andere Ameisenkolonien behaupten. Eine Studie zeigt nun: Die Evolution hat die kleinen Insekten beim Wettrüsten mit einem Vorteil versehen, der sie auch vor weitaus größeren Gegnern schützt.

Von Dagmar Röhrlich | 25.11.2020
Blattschneiderameisen im Zoo von Frankfurt am Main
Blattschneiderameisen legen mit Hilfe zerschnittener Pflanzenstückchen Pilzgärten an. (picture alliance / dpa / Frank Rumpenhorst)
Acromyrmex echinatior wird schon seit vielen Jahren erforscht. Mehr noch: Unter Ameisenfans ist die Art beliebt, wird oft auf Auktionen verkauft. Eigentlich sollte also so ziemlich alles über sie bekannt sein. Trotzdem ist noch niemand eine Besonderheit bei den Arbeiterinnen aufgefallen – bis sich Hongjie Li mit ihnen zu beschäftigen begann:
"Die Kollegen haben mir gesagt, dass bei diesen Ameisen das Chitin-Außenskelett mit Wachs überzogen sei. Viele Insekten haben einen solchen Wachsüberzug. Doch mit welchem Lösungsmittel ich es versuchte: Das Wachs ging nicht ab. Da begann ich zu überlegen, ob es sich um einen mineralischen Überzug handeln könnte. Also habe ich die Geologen überzeugt, diese Ameisen zu röntgen. Geologen mögen keine organischen Proben, aber ich sagte ihnen, dass es wohl so etwas wäre wie ihre Steine. Sie lachten, und dann haben wir die Ameisen geröntgt und dabei die ganze Zeit über diese Geschichte gelacht. Und es stellte sich heraus, dass wirklich so etwas wie Stein auf den Ameisen war."
Bislang unbekanntes Phänomen bei Insekten
Genauer: Das Außenskelett der Ameisen besteht aus Calcit, dem Mineral, aus dem Kalkstein ist, beschreibt Hongjie Li, der damals an der University of Madison forschte. Die Insekten tragen also eine Art Rüstung. Damit hatte das Forschungsteam nicht gerechnet. Zwar besitzen auch Krebstiere Chitinpanzer, die mit Kalkeinlagerungen verstärkt sind. Doch bei Insekten war dieses Phänomen bislang noch nicht beobachtet worden. Als nächstes untersuchten die Forscher, woher der Calcit auf den Ameisen stammt. Vielleicht von Bakterien oder Pilzen? Nein, sagt Pupa Gilbert von der University of Wisconsin in Madison.
"Wir sehen in der Tat, wie dieses Material als calciumreiche Partikel von innen durch das Chitin-Außenskelett nach außen transportiert wird und dann dort kristallisiert."
Kalk wird erst allmählich im Außenskelett eingelagert
Wie der Mechanismus genau funktioniert, ist offen. Wenn die junge Arbeiterin schlüpft, besteht ihr Außenskelett nur aus Chitin. Der Kalk wird erst allmählich eingelagert, mit zunehmendem Alter immer mehr. Und es gibt eine Besonderheit: In diese Calcitminerale ist viel Magnesium eingebaut:
"Der einzige andere Fall, den ich kenne, mit so einer Zusammensetzung ist die Spitze der Seeigel-Zähne: Die ist extrem hart und extrem steif und extrem stark. So stark, dass sie Löcher in Felsen beißen können."
Der Magnesiumanteil macht auch den Ameisenpanzer härter und widerstandsfähiger. Doch wozu? Um das herauszufinden, ließen Forscher die Arbeiterinnen der kleineren Acromyrmex-Ameisen auf die Soldaten einer anderen, viel größeren Art von Blattschneiderameisen treffen, erzählt Cameron Currie von der University of Madison:
"Wir sagten uns, dass eine solche Rüstung den größten Vorteil in einem Ameisenkrieg bringen dürfte. Und im Experiment war dann ganz klar: Junge, ungepanzerte Acromyrmex-Ameisen werden von den Soldaten einfach geschreddert, es überlebt kaum eine. Die gepanzerten hingegen gewinnen, fast alle überleben, und die Soldaten der Riesenameisen sterben. Es ist also wie eine magische Rüstung, die den Schwächling dominant macht."
Vorteile im Ameisenkrieg
In Mittel- und Südamerika, wo die nächste Kolonie feindlicher Blattschneiderameisen nie weit ist, ist die Panzerung ein wichtiger Vorteil im Wettrüsten. Außerdem schützt sie die Arbeiterinnen anscheinend recht gut vor normalerweise tödlichen Pilzinfektionen. Sie hat also mehr als einen Vorteil. Und so wundert es nicht, dass die Evolution sie nicht nur einmal hervorgebracht hat. Inzwischen haben die Forscher sie auch bei einer anderen Art gefunden – und die Suche geht weiter.