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Ausstellung "Anti-Semitism 1919-1939"
New York und seine jüdischen Emigranten

Wie verwandelt sich eine Gesellschaft in eine antisemitische? Wie fassen Hass und Zorn Fuß? Das sind die leitenden Fragen hinter der Ausstellung "Anti-Semitism 1919-1939" in der New York Historical Society. Vom Titel sollte man sich nicht irreführen lassen: Es geht in der Schau auch um rassistisches Denken von heute.

Von Sacha Verna | 22.04.2016
    Die Lower East Side von Manhattan
    Die Lower East Side von Manhattan (AFP / Stan Honda)
    Auf dem Rand des weißen Porzellanaschenbechers steht: "Der Stürmer – für treue Mitarbeit". Aus der Schale starrt einen eine jener Fratzen an, die im visuellen Vokabular der Nationalsozialisten den archetypischen Juden darstellten. Da sind Schilder mit Aufschriften wie "Arisches Geschäft" oder "Juden ist die Benutzung der Parkbank verboten". Da ist eine Handvoll Notizblätter mit dem Entwurf der Rede, die Adolf Hitler 1939 vor dem Reichstag über die "Judenfrage" hielt.
    Louise Mirrer ist Präsidentin der New York Historical Society. Normalerweise widmet sich diese Institution in ihren Ausstellungen der Blütezeit der amerikanischen Salonmalerei um die vorletzte Jahrhundertwende oder dem amerikanischen Bürgerkrieg und seinen Auswirkungen auf New York.
    "Wir hätten auch eine Ausstellung über den amerikanischen Antisemitismus veranstalten können, so Louise Mirrer. Die meisten der 50 Exponate in der New York Historical Society stammen aus dem Museum des Zweiten Weltkrieges in Boston. Dessen Gründer Kenneth Rendell besitzt tatsächlich eine Menge antisemitisches Propagandamaterial, das auf amerikanischem Boden entstand."
    Aber: "Besonders auf New York, was Deutsche und Juden betrifft."
    "Die deutsche Gemeinde in New York während des Weltkrieges war sehr groß, und viele dieser Leute sabotierten die amerikanische Teilnahme am Krieg."
    Heute wiederum hätten viele vergessen, warum gerade in New York so viele Juden leben: Die Schau endet mit den Reisepässen von Peppi Stern, ihrer Tochter Stefanie und ihrem Schwiegersohn Siegfried Gundelfinger, die mit einem roten "J" gekennzeichnet sind. Diese Dokumente ermöglichten der Familie im Juli 1939 die Flucht aus Deutschland nach England.
    Besuchern aus Deutschland und aus anderen Teilen Europas dürften diese Insignien des Antisemitismus nur allzu vertraut sein. Für New Yorker Schulkinder aber ist diese kleine Ausstellung bestimmt eine neue Erfahrung. Es bleibt zu hoffen, dass sie bei Jungen und Erwachsenen das Bewusstsein für die Gefahren der rassistischen Rhetorik schärft, die sich zurzeit auch im amerikanischen Präsidentschaftswahlkampf äußert. Mexikaner, Muslime, Juden – es kommt nicht darauf an, um wen es sich handelt, nur als "der Andere" sollen sie wahrgenommen werden und als Zielscheibe sie sich eignen."