Donnerstag, 25. April 2024

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Ausstellung "Blind Faith"
Alternatives Fühlen in Farben

Was wissen wir? Was fühlen wir? Und was glauben wir? Die Besucher der Ausstellung "Blind Faith" im Münchener Haus der Kunst nähern sich der elementaren Frage nach dem Wahrheitsgehalt des eigenen Bewusstseins. Mitten in Zeiten von Fake News geht es ums Vertrauen - und die Lust am Improvisieren.

Von Andi Hörmann | 01.03.2018
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    Die Performance "Knot in Arrow: Ore Oral Orientation" von Mariechen Danz (Haus der Kunst)
    Noch wird aufgebaut: Das Auf und Ab, das Hin und Her der mechanischen Hebebühne. Sie könnte eigentlich auch Teil der Ausstellung sein.
    Anna Schneider: "Wir haben versucht, uns tatsächlich der Gegenwart zu stellen, mit ihren Problemen und Krisen und eben auch einer genauen Beobachtung der künstlerischen Reaktionen auf unsere Gegenwart."
    Die Welt ist aus den Fugen, Glauben heißt nicht Wissen. "Blind Faith", wörtlich übersetzt: "blinder Glaube." Besser noch: "blindes Vertrauen". In den nächsten Minuten schenken wir es Anna Schneider:
    "Ich bin Kuratorin hier am Haus der Kunst, und ich habe zusammen mit meinen Kollegen Daniel Milnes und Julienne Lorz die Ausstellung "Blind Faith" - also: "blinder Glaube" -, zeitgenössische Kunst zwischen Intuition und Reflexion kuratiert."
    Kaleidoskop an Farben und Formen
    Hier das Bauchgefühl, dort die Kopfgeburt. Gleich vorweg: "Blind Faith" ist eine fantastische Ausstellung, ein Kaleidoskop an Farben und Formen. 28 internationale Künstler und Künstlerinnen begeben sich in ihren Arbeiten auf die Suche nach Wahrheiten und das Erspüren von Wahrhaftigkeit. Der Körper, der Geist - und irgendwie auch die Seele.
    Anna Schneider: "Wir befinden uns in einem Raum, der in ein orangefarbenes Licht getaucht ist, also vielleicht schon an eine embryonale Situation irgendwie erinnert."
    Die Rauminstallation der deutsch-irischen Künstlerin Mariechen Danz ist in zarte Pastelltöne getaucht und trägt den Titel "Womb Tomb".
    Mariechen Danz: "Also Womb ist Gebärmutter, Tomb ist Grabmal. Durch dieses orangerote Licht, was durch die Decke kommt, ist es ein ganz warmer Raum. Es soll ein aktiver Raum sein. Die Wände haben Skulpturen von lebensgroßen, menschlichen Organen: Lungenhälften, halbe Gehirne, Leber, viele Därme, Gehirne. Und die Skulpturen stehen von der Wand ab und ergeben Schatten andere Wand. Und da sind auch bemalte Schatten, so dass es ein Art Bewegung gibt in der Wahrnehmung von den Skulpturen."
    Was wissen wir, was fühlen wir, was glauben wir?
    Mit jedem Schritt, mit jedem Blick nähert sich der Besucher seiner Bewusstseinsveränderung. Was wissen wir, was fühlen wir, was glauben wir? In der Mitte des Raums ist eine thermoaktive menschliche Skulptur aufgebahrt, die wie ein Alien anmutet - geschlechtslos, ein Neutrum. Anfassen ausdrücklich erwünscht: Durch das Berühren ändert sich die Farbe, und es entstehen auf der Haut Wetterkarten in Form von Wärmebildern. Gespenstisch ist das! Könnte aber auch einfach ein futuristisches Unterrichtsmedium sein.
    Mariechen Danz: "Deswegen kann man zum Beispiel anschauen, wie der Darm funktioniert, um zu suchen nach alternativer Wissensvermittlung und sehr, sehr dringende Suche nach Artikulation, die ich brauche zum Beispiel - wie man merkt. Es gibt auch einen kleinen Kinderdarm, der hat Buchstaben drin, 26 Buchstaben, und der ist verstopft mit Sprache. Artikulationsprobleme."
    Anna Schneider: "Nachdem man jetzt quasi aus dem Anfang und dem Ende des menschlichen Körpers heraustritt, eröffnet der Raum 2 jetzt einfach noch mal eine neue Dimension …"
    Und ja, das Wandeln durch die Ausstellung "Blind Faith" ist genau das: Ein Durchschreiten von Dimensionen. Ein Eintauchen in Raum und Zeit - und Emotionen.
    "… aber eben gleichzeitig auch in die Psychologie, je weiter wir nach hinten treten auch in psychedelische, völlig alternative Welten oder Bewusstseinszustände."
    Ein Plädoyer für Improvisation
    Es geht in die Tiefe und wird doch nie esoterisch. Kaum eine künstlerischen Praxis scheint hier ausgelassen: Die Niederländerin Melanie Bonajo dokumentiert in ihrer Videoinstallation rituelle Drogenerfahrungen mit einem ironischen Blick, die US-Amerikanerin Cécile B. Evans inszeniert ein automatisiertes Roboter-Theaterstück und untersucht die Auswirkung digitaler Kultur auf menschliches Handeln. Und der peruanische Künstler David Zink Yi gestaltet einen Raum mit Skulpturen, die wie Bauklötze anmute:
    David Zink Yi: "Diese Ambivalenz zwischen abstrakten Objekten und Klangobjekten ist, was ich auch spannend finde, dass sowohl das eine wie das andere in die Objekte interpretiert werden könnte."
    Es sind aber auch Instrumente. Ein Plädoyer für Improvisation. Und da sind wir wieder beim Titel der Ausstellung: "Blind Faith - zeitgenössische Kunst zwischen Intuition und Reflexion." Kopfgeburt oder Bauchgefühl? Improvisation liegt irgendwo dazwischen.
    David Zink Yi: "Was artikuliert wird, strukturell und musikalisch, das sind Dinge, die in dem Moment entstehen aus plötzlichen Kombinationen von Erfahrungen, die man gesammelt hat über lange Jahre."
    "Jetzt würde ich Sie aber ganz gerne auch noch mal ganz kurz improvisieren hören."
    David Zink Yi: "Ja, klar…"
    Musik, entstanden im Moment - auch sie passt perfekt in die Ausstellung "Blind Faith". Die Diskussion um Fake News hat dem Vertrauen ganz schön zugesetzt. Im Haus der Kunst begegnet es einem auf wundersame Weise in allen möglichen Disziplinen der künstlerischen Praxis - so kunterbunt, so klangvoll, aber auch so reflektiert.