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Ausstellung "California Dreams"
Sehnsuchtsort mit Schattenseiten

San Francisco ist bekannt für die Golden Gate Bridge, Flower Power oder die Tech-Industrie, und es ist bis heute ein Sehnsuchtsort für viele Menschen. In der Ausstellung "California Dreams" in der Bundeskunsthalle in Bonn wird die Stadt porträtiert - und mit manchem Klischee aufgeräumt.

Von Peter Backof | 12.09.2019
Das Bild "Golden Gate Bridge" (1934) von Ray Strong ist in der Ausstellung "California Dreams: San Francisco - ein Porträt" in der Bundeskunsthalle zu sehen.
Sehnsuchtsort im Westen - Ausstellung "California Dreams" in der Bundeskunsthalle (dpa / Rolf Vennenbernd)
Henriette Pleiger: "Die wunderbare Arbeit von Doug Hall: eine zehn Meter große Doppelprojektion, wo man eintaucht wirklich in die Bucht von San Francisco. Man fährt mit einem großen Containerschiff unter der Golden Gate Brücke durch und erlebt quasi Wasser, Pazifik, das Maritime."
Beschreibt Henriette Pleiger, eine der beiden Kuratorinnen von "California Dreams", der Ausstellung über San Francisco in der Bundeskunsthalle.
Naturgewalt und wirtschaftliche Power - als wäre man vor Ort: Wie eine Aktualisierung des berühmten Turner-Gemäldes "Regen, Dampf und Geschwindigkeit" wirken auch andere Gemälde, Fotos und Projektionen in Riesenformaten. Daneben historische Gebrauchsgegenstände der indigenen Bevölkerung, sowie, im chronologischen Verlauf, die "Olivetti"-Schreibmaschine von Allen Ginsberg und eine "Levi Strauss"-Jeans, die Steve Jobs trug. Alles fast wie zum Anfassen: Man taucht ein in die vielen Facetten der "California Dreams".
Identitäten der Stadt spiegeln sich in der Kunst
Sylvia Kasprycki: "Ich hoffe, dass wir jenseits dieser Reiseführeroptik Geschichten erzählen, die viele Leute noch nicht gehört haben."
Wie sich, als man Mitte des 19. Jahrhunderts Gold fand, die Einwohnerzahl innerhalb weniger Monate verzwanzigfachte und aus dem Dorf "Yerba Buena" (gutes Kraut) San Francisco erwuchs. Wie man – eigentlich komplett irrational – ein kolonietypisches rechtwinkliges Straßennetz über Hügel legte und so "Die Straßen von San Francisco" entstanden, die dann 1906 nach dem großen Erdbeben in Schutt und Asche lagen. Das sind historische Eckdaten, aber die Ausstellung fächert die ganze Siedlungs- und Kolonisationsgeschichte in der Bay Area auf und erzählt sie auf Umwegen und mit Anekdoten.
Über die Hälfte der Exponate sind künstlerische Arbeiten und reflektieren San Franciscos Identität kritisch; von der Profitgier in Goldrauschzeiten bis zum Obdachlosenlager als Kollateralschaden des Siliciumrauschs im Silicon Valley, heute. Das Bild vom oft verklärten Sehnsuchtsort und Hippieparadies bekommt merklich Risse.
"Wir wollen nicht verherrlichen"
Sylvia Kasprycki: "Wir wollen nicht verherrlichen. In vielerlei Hinsicht sind all diese revolutionären gesellschaftlichen Bewegungen eine Reaktion auf vorhergehende Missstände. Wir zeigen, wie der Goldrausch zu Umweltverschmutzung geführt hat. Bis heute ist die San Francisco Bay Area durch hydraulische Bergbauverfahren mit Quecksilber verseucht. Das ist die Schattenseite, die bis heute nachwirkt. Auf der anderen Seite zeigen wir, dass Kalifornien heute die progressivste Umweltpolitik macht in den gesamten USA."
Henriette Pleiger: "Es ist eine differenzierte Liebeserklärung, es ist nicht einfach eine oberflächliche Betrachtung der Highlights der Geschichte, sondern der Versuch, eine Vielstimmigkeit herzustellen."
Die dunkle Seite der Stadtgeschichte
"Ishi" zum Beispiel, seinerzeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, als "letzter Indianer" in San Francisco bekannt und als Attraktion ausgestellt, kommt zu Wort und Gesang - und stiehlt anderen Berühmtheiten und Blumenkindern wie Janis Joplin in der Ausstellung fast ein wenig die Schau. Henriette Pleiger und Sylvia Kasprycki nennen es beim Namen: die Unterdrückung, Vertreibung, Ermordung der First Nations ging in Kalifornien besonders grausam voran. Und dass die Stadt sich heute als multikulturell definiert, ist eine Lehre, die daraus gezogen wurde. Und eine andere, in der stark von Immigranten aus Asien geprägten Stadt:
"Nach dem Angriff auf Pearl Harbour wurden sämtliche japanischstämmigen Amerikaner interniert in Kalifornien. Gleichzeitig war es aber so, dass japanischstämmige Amerikaner in der US-Armee gegen Nazi-Deutschland gekämpft haben. Während ihre Familien in einem Internierungslager waren. Das zeigt wie komplex Geschichte sein kann."
Eine Geschichte der Welt im Kleinen
Und das zeigt "California Dreams" - im Grunde eine Geschichte der Welt, mit Fokus auf San Francisco. Der kalifornische Traum, diese Utopie von Freiheit, Mut und Widerstandskraft? Da ist schon etwas dran und davon bleibt am Ende der Ausstellung noch etwas übrig, meint Sylvia Kasprycki. Diese besondere Identität San Franciscos zeigt sich ganz aktuell wieder und über die Schau hinaus. Diese Geschichte wird weiter geschrieben und verhandelt:
"Es ist erst wenige Tage her, dass die Stadt San Francisco die amerikanische Waffenlobby, die 'National Rifle Association NRA' als 'Domestic Terroristic Organization' bezeichnet hat, also als inländische Terrororganisation. Das ist natürlich ein unfassbar mutiger Schritt in Anbetracht des politischen Einflusses dieser Waffenlobby. Und ich weiß seit heute morgen, dass die Waffenlobby die Stadt San Francisco dafür verklagt hat."