Dienstag, 16. April 2024

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Ausstellung "Der Prozess Klaus Barbie - Lyon 1987"
Plötzlich sah man die Opfer und hörte ihnen zu

In Lyon hatte er im Zweiten Weltkrieg gefoltert und gemordet. Bis 1983 lebte der frühere Gestapo-Chef Klaus Barbie dann unbehelligt in Bolivien. Doch das Ehepaar Klarsfeld jagte ihn. Ab Mai 1987 wurde dem Kriegsverbrecher dann in Frankreich der Prozess gemacht. Eine Ausstellung in Paris zeichnet die Ereignisse nach.

Von Jürgen König | 01.04.2017
    Klaus Barbie bei Prozesseröffnung am 11. Mai 1987.
    Klaus Barbie bei Prozesseröffnung am 11. Mai 1987. (picture alliance / dpa / Roland Witschel)
    Der Prozess gegen den früheren Gestapo-Chef von Lyon, Klaus Barbie, gilt in Frankreich als historisches Ereignis. Die Kuratorin der Ausstellung im Mémorial de la Shoah in Paris, Dominique Missika:
    "Es war der erste Prozess in Frankreich gegen jemanden, dem Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen wurden. Und es war der erste Prozess, der - 43 Jahre danach - aus Lyon, das zuvor als Hauptstadt der Résistance, also des Widerstands, gegolten hatte, plötzlich die Stadt der 'collaboration' machte, der Mittäterschaft von Franzosen. Frankreich wurde plötzlich mit seiner Vergangenheit konfrontiert – zum ersten Mal nach dem Krieg."
    Die Ausstellung erzählt mit aufwendig recherchierten Dokumenten und Filmausschnitten die Geschichte dieses Prozesses. Dass es ihn überhaupt geben konnte, ist ganz wesentlich dem deutsch-französischen Ehepaar Beate und Serge Klarsfeld zu verdanken. Denn jener Klaus Barbie, der in seinem Hauptquartier in Lyon, in der Suite 68 im zweiten Stock des Hotels Terminus, Kinder, Frauen und Männer bis zur Bewusstlosigkeit verprügelt, vergewaltigt, mit Elektroschocks gefoltert, in die Vernichtungslager geschickt oder eigenhändig ermordet hatte – dieser Klaus Barbie wurde zwar in Frankreich dreimal in Abwesenheit zum Tode verurteilt, 1947, 1952 und 1954 – doch sorgten britische, später amerikanische Geheimdienstkreise dafür, dass er nicht ausgeliefert wurde: Als Agent war Barbie nützlich für sie.
    Beate Klarsfeld
    Beate Klarsfeld (dpa/picture alliance/Katerina Sulova)
    Unter dem Schutz der USA konnte er 1951 nach Bolivien ausreisen, war von Bolivien aus auch für den Bundesnachrichtendienst tätig, noch im Januar 1983 wusste Bundeskanzler Helmut Kohl eine Auslieferung Barbies zu verhindern, um so eine weitere Kriegsverbrecherdebatte in Deutschland unbedingt zu vermeiden.
    In Frankreich indes wollten Beate und Serge Klarsfeld genau eine solche Debatte auslösen, "nicht um Rache - um Gerechtigkeit" ging es ihnen. Schon zu Beginn der 70er Jahre hatten sie Klaus Barbie in Bolivien entdeckt und taten fortan alles, ihn nach Frankreich zu bekommen, Beweise gegen ihn zu sammeln, Zeugen zu finden – und mit Erfolg: Im Februar 1983 wurde Barbie nach Frankreich ausgeliefert, 69 Jahre alt.
    Briefe, Fotos, Vernehmungsprotokolle
    Minutiös folgt die Ausstellung dieser Spurensuche des Ehepaares Klarsfeld, zeigt Briefe und Telegramme, Fotos und Zeitungsauschnitte, Aktennotizen, Vernehmungsprotokolle, ähnlich akribisch verfolgt sie den Prozessverlauf: Am 11. Mai 1987 begann das Verfahren im Palais de Justice von Lyon.
    "Das Problem bei einem Prozess ist es, Beweise zu erbringen. Und das war schwer: Im Falle einer Razzia etwa waren sich alle Zeugen sicher, damals Klaus Barbie gesehen zu haben. Viele konnten sich aber nicht wirklich erinnern, wussten keine Details mehr, und die Verteidigung tat alles, um die Zeugen zu irritieren, zu destabilisieren. Doch zum Glück hatten Serge Klarsfeld und seine Frau viele Beweismittel zusammengetragen, um die Schuld von Klaus Barbie zu beweisen."
    Die Anklage lautete auf Deportation von insgesamt 842 Menschen. Barbie verteidigte sich wenig kämpferisch: Es sei halt Krieg gewesen, aber der sei doch längst zu Ende. Am 4. Juli wurde Klaus Barbie wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft verurteilt. Den Prozess begleiteten immense Sicherheitsvorkehrungen und ein Medieninteresse, wie es noch kein Prozess in Frankreich je gefunden hatte. Die Regierung unter Staatspräsident Francois Mitterand hatte eigens ein Gesetz auf den Weg gebracht, dass Kameras im Gerichtssaal erlaubte: So wurden alle 37 Prozesstage in voller Länge dokumentiert – das gesamte Filmmaterial, 157 Stunden lang, wird in der Ausstellung gezeigt.
    Kuratorin Dominique Missika: "Da Klaus Barbie an sehr vielen Verhandlungstagen nicht anwesend war, geschah es, dass die Zeugen sich direkt an die Richter wandten und an die Zuschauer. Auch hinter den Richtern waren Kameras aufgestellt, so dass auch die Fernsehzuschauer in den Abendnachrichten den Zeugen ins Gesicht sehen konnten, als sie ihre fürchterlichen Erlebnisse schilderten – und das hat die öffentliche Wahrnehmung dieses Prozesses und das ganze Denken darüber in Frankreich sehr verändert: Plötzlich sah man die Opfer! Und hörte ihnen zu! Und erkannte sie als Opfer an!"
    Dieser neue Blick auf die eigene Geschichte hatte eine grundlegend neue und heftige öffentliche Debatte zur Folge: über französische Mittäterschaft bei Naziverbrechen, über französischen Antisemitismus. Auch an diese Debatte erinnert die Ausstellung im Mémorial de la Shoah – und verlängert sie damit sehr unaufdringlich in die Gegenwart.