Dienstag, 19. März 2024

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Ausstellung "Die Nacht" in Hamburg
Düster, dunkel, nachtaktiv

Die Nacht ist bekanntlich nicht allein zum Schlafen da. Seit Urzeiten fasziniert den Menschen das täglich wiederkehrende Dunkel. Das Hamburger "Museum der Arbeit" beleuchtet nun in einer Ausstellung die verschiedenen Facetten der Nacht: vom Aberglauben bis zur Nachtarbeit.

Von Anette Schneider | 30.10.2019
zunehmender Mond
Er bringt regelmäßig Licht ins Dunkel der Nacht - der Mond (Gerda Bergs)
Kaum steht man in der abgedunkelten großen Ausstellungshalle, umfängt einen die dunkle Seite der Nacht: Auf einem als Waldstück inszenierten Podest lauern Eulen, Fledermäuse und ein Wolf - und schon denkt man an Vampire, Werwölfe, Gespenster.
Nur ein paar Schritte weiter naht Abhilfe: Eine Vitrine versammelt Fernrohre und Sternengloben - Instrumente der Aufklärung im Kampf gegen die Finsternis.
Projektleiter Mario Bäumer erläutert das Konzept der Ausstellung: "Die Idee ist, einen kulturgeschichtlichen Überblick über unsere Assoziationen zur Nacht allgemein zu geben. Und deswegen finden wir Objekte aus den unterschiedlichsten Bereichen: aus der Astronomie, der Arbeitswelt. Wir finden aber auch Horrorgeschichten, wir finden Figuren aus unseren Träumen."

Auf einem Ast lauert ein glubschäugiger Nachtmahr. Einer lebensgroßen Dracula-Figur tropft das Blut von den Beißzähnen. Daneben liegt der Koffer eines Vampirjägers - mit Holzkreuzen, Pflöcken, Hammer und Rosenkranz. Der Horror der Nacht, erklärt Kurator Florian Schütz:
"Das ist uns, glaube ich, auch immer noch in die DNA eingeschrieben: Wenn es dunkel wird, springen wahrscheinlich Urinstinkte an. Und man muss sich vor Bedrohung verstecken und zurückziehen. Auf der anderen Seite war natürlich der Blick in die Gestirne, in die Himmelskörper – wie den Mond – überwältigend für die Menschen des Altertums. Und dieser ständige Wechsel zwischen Tag und Nacht, hell und dunkel, der war natürlich nicht physikalisch zu erklären, sondern das war was Mythologisches. Und die Menschen haben sich natürlich Gedanken gemacht: Wer ist denn dafür verantwortlich?"
Nachtgötter lieferten Erklärungen für das Dunkel
Also mussten Nachtgötter her. Giganten, die um Licht und Finsternis kämpfen: Teufelsfratzen, Monster und knochenverschlingende Unwesen, die als Erklärung für vermeintlich Unerklärbares herhalten mussten.
Heute steht die Nacht für so ziemlich alles: für romantische Gefühle, kaufbare Liebe, seelische Abgründe, durchzechte Nächte und Nachtarbeit. 350 Objekte umfasst die Ausstellung, die in zahlreiche kleine Kapitel gegliedert ist und vieles davon schlaglichtartig beleuchtet: von pornographischen Zeichnungen aus aktuellen Szene-Clubs bis zur Graffitis, von Porträtfotos Obdachloser vor ihrem nächtlichen Lager auf der Straße bis zum Späti, dem Berliner Nachtkiosk, der mit Tisch und Bänken in die Ausstellung gebaut wurde.
Die Hamburger Ausstellung thematisiert auch die radikalen Veränderungen in der Arbeitswelt, weiß Kurator Florian Schütz: "Die Nacht wurde ausgeleuchtet. Die Nacht war plötzlich die andere Hälfte des Tages. Man konnte arbeiten. Man konnte all die Dinge tun, die man sonst nur bei Sonnenlicht getan hat. Und heutzutage nehmen wir einfach die Nacht als zusätzliche Arbeitszeit wahr, wenn es denn so sein muss. Aber so richtig freiwillig tut das keiner."
Ungesunde Nachtarbeit
Längst weiß man: Nachtarbeit macht krank. Und so zeigen einige Videos und Fotoserien die modernen Nachtmahre und Albträume: Die völlige Entgrenzung der Arbeitszeit auf einem Frachtflughafen, im LKW-Gewerbe, vor Computern im Home Office. Bis man vor einem wandfüllenden Bild eines fensterlosen, hell erleuchteten Logistik-Zentrums steht, in dem 365 Tage im Jahr 24 Stunden lang Tag herrscht, damit einige Wenige ein Maximum an Profit machen können.
Projektleiter Mario Bäumer nennt ein Beispiel: "Wenn Amazon Prime neue Arbeitsformen schafft: Ich hatte Gelegenheit, mir das hier in Hamburg anzugucken. Das wird ausgedrückt als sportlicher Wettkampf. "Sieger der Nacht" ist, wer die meisten Pakete geschafft hat."
Ein bisschen wirkt auch die Ausstellung, als hätte sie besonders viel schaffen müssen. Oft ist sie zwar durchaus erhellend, doch für eine Kulturgeschichte der Nacht fehlt eine erkennbare Grundhaltung. Gerade weil sie sich auch an Schulklassen wendet, irritieren die blumigen Begleittexte, die die Objekte streckenweise wie ein buntes Sammelsurium wirken lassen. So werden die astronomischen Geräte mit romantischen Blicken in den Nachthimmel in Verbindung gebracht, nicht aber mit dem Drang nach rationaler Welterkenntnis. Und die Aufklärung, die doch Licht ins abergläubische Dunkel brachte, wird nicht einmal erwähnt.