Dienstag, 16. April 2024

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Ausstellung "Erdgezeiten - Science/Art"
Aus der Höhle an die Leinwand

Dass Wissenschaft und Kunst durchaus zusammen passen, beweist die Ausstellung "Erdgezeiten -Science/Art" im Zentralen Treppenhaus der Uni-Bibliothek Bochum. Grundlage der Ausstellung sind die Makrofotografien des Höhlen- und U-Bahn-Klimatologen Andreas Pflitsch. Basierend auf seinen Fotos hat die Künstlerin Renate Bonacker 30 Modellagen geschaffen.

Von Heike Braun | 21.06.2016
    Tropfsteinhöhle Dechenhöhle in Iserlohn
    In der Tropfsteinhöhle Dechenhöhle in Iserlohn sind einige Bilder von Andreas Pflitsch entstanden. (dpa/picture alliance/Horst Ossinger)
    Es ist dunkel, feucht, rutschig und es tropft gefühlt, von überall her. Der Bochumer Höhlen- und U-Bahnforscher Andreas Pflitsch ist begeistert. Das ist seine Welt. Sobald er Wassertropfen in einer unterirdischen Umgebung entdeckt, muss er sie fotografieren. Ungewöhnliche Momentaufnahmen, die der Klimatologe selbst nie für etwas Besonderes gehalten hat.
    "Ich kann da schon zwei, drei Stunden verbringen und Fotos machen. Aber ich mache dann zum Beispiel 500 Fotos und nicht das eine Besondere. Dass ich Licht stellen würde oder mehrere Leute hätte, die dann drei oder vier Blitzlichter halten, wie die anderen Fotografen, das mache ich alles nicht."
    Der 58-jährige Uni-Professor ist schlank und sportlich. Man kann sich gut vorstellen, dass er auch durch schmale Felsspalten passt. Seine Forschungsarbeit steht für ihn an erster Stelle. Seine Aufnahmen sind Nebenprodukte. Die Foto-Ausrüstung mit der er in die Unterwelt hinabsteigt, ist entsprechend spartanisch.
    "Ich habe ein Blitzlicht. Das sitzt auf der Kamera. Das wird nicht irgendwie gestellt. Weil ich in den Bereichen, wenn ich zum Beispiel Wassertropfen fotografiere oder hier dieses Eis: ich kann gar kein Stativ stellen. Ich muss mich meist irgendwie verrenken, muss sehen, dass ich nicht noch ausrutsche auf dem Eis oder hinfalle. Ich kann also nicht diesen Aufwand betreiben, weil ich dann nicht an die Objekte heran kommen würde."
    Alles begann mit einer Luftblase
    Die natürlichen Strömungsverhältnisse von Höhlen, Tunneln und U-Bahnsystemen sind sein eigentliches Forschungsgebiet. Als einer der ersten erkannte und erforschte er, dass Fluchtwege in U-Bahnen zur Todesfalle werden können. Im Namen der Wissenschaft ist er schon fast überall auf der Welt in den Untergrund gegangen. Seine Fotos entstehen aber nicht zwangsläufig in spektakulären Höhlensystemen, sondern durchaus auch in stillgelegten Tunneln, Unterführungen oder zum Beispiel in der kleinen Sauerländer Dechenhöhle.
    "Die ist nicht besonders, die ist klein und schnuckelig und übersichtlich. Da kann man wunderbar arbeiten. Die Leute sind nett. Die ist einfach schön."
    Klein und schnuckelig ist auch die hessische Stadt Biedenkopf, in der Nähe von Marburg. In Biedenkopf hat Renate Bonacker ihr Atelier.
    "Guten Tag."
    Vor knapp drei Jahren begegneten sich Forscher und Künstlerin genau hier, völlig zufällig. Beide waren von der Arbeit des jeweils anderen sofort begeistert.
    "Deine wunderbaren Fotos: Das ist der Grund, warum die Ausstellung überhaupt zustande gekommen ist. Die finde ich traumhaft schön."
    Genau genommen begann alles mit einer Luftblase. Andreas Pflitsch hielt sie im Bild fest. Eigentlich sind es zwei Luftblasen, die an Flaschenhälse erinnern. Sie streben aufeinander zu, können sich aber nicht erreichen, weil sie vorher zu Eis erstarrt sind. Eine Momentaufnahme der ganz besonderen Art.
    Andreas Pflitsch: "Dieses Bild habe ich nie bewusst so aufgenommen. Das ist wirkliche eins meiner Lieblingsbilder, weil ich das so genial finde; und ich kann auch nicht erklären, wie das entstanden ist. Also diese Blasenanordnung, weil es eben auch sehr klein war und ich hab nur diese Blasen gesehen und dann diese Feinheit, das habe ich erst später entdeckt."
    Renate Bonacker: "Und das Foto, wenn man so will dieses Mini-Kleine - aus diesem winzig Kleinen entsteht dann eine ganze Ausstellung. Bei meinem Wandobjekt sind diese Blasen, aus mundgeblasenem Glas nachgebildet." - "Ja. Ja." -"Das ist daraus entstanden."
    Ein bemerkenswerter Einblick in 4,6 Milliarden Jahre "Erdgezeiten"
    Mundgeblasenes Glas ist nicht die einzige ungewöhnliche Modellage auf Renate Bonackers Bildern. Die hessische Künstlerin malt in Öl, häufig dreidimensional. Sandstein, Bronze- und Goldfarben gehören ebenso zu ihren Werkstoffen wie Betonreste, Holzstücke, Ton- und Glasscherben, Steine oder Muscheln. Der Arbeitsplatz der Künstlerin hat etwas vom Flair einer Autowerkstatt.
    Renate Bonacker: "Das hier ist mein Atelier. Das ist die letzte Arbeit, an der ich dran bin. Das sind Schichtungen, Erdschichtungen, die auch eine Modellage haben, mit Gold- und Silberfarbe und haben eine Brechung im Material, da kommt der Untergrund nämlich raus.
    Andreas Pflitsch: "Also mich erinnert das Bild direkt an relativ junge Lava, die gerade mal 40 bis 100 Jahre alt ist. Die sehr farbenfroh ist, auch glänzt in der Sonne. Ich habe da also direkt wieder einen Bezug zu meiner Arbeit.
    Renate Bonacker: "Ich weiß gar nicht, ob es schon trocken ist. Pack mal drauf." - "Doch, doch. Das ist trocken."
    Damit ist das letzte Gemälde für die Ausstellung fertig. Kaum trocken, ist es schon verpackt und auf dem Weg zur Uni Bochum. Hier schließt sich der Kreis und man begreift: nicht nur die Kunst, sondern auch die Erde erfindet sich ständig neu. Künstlerin und Wissenschaftler, wollen genau diesen stetigen Wandel der Erde vermitteln. Wer die Ausstellung am Ende verlässt, wird in Ansätzen begriffen haben, unser Planet ist ein Kunstwerk für sich. Dargestellt in großformatigen Makro-Fotografien und teilweise dreidimensionalen Modellagen. Ein bemerkenswerter Einblick in 4,6 Milliarden Jahre "Erdgezeiten".