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Ausstellung gegen Krieg in der Ukraine
Anrufe vom Friedhof

In Kunst, Theater und Symposien rückt die Akademie der Künste der Welt die Krimkrise in den Mittelpunkt. Darin geht es um die Propaganda Russlands, aber auch um die Frage, wie Künstler in Russland und in der Ukraine den Konflikt erleben.

Von Sabine Oelze | 07.09.2015
    "Nur das Handynetz von Life funktioniert. Und es funktioniert nur auf dem Friedhof. Ich habe auf Biegen und Brechen die SIM-Karte dieses Mobilfunkanbieters probiert, zu kaufen. Ich habe es geschafft."
    Ein Eintrag aus dem "Kriegstagebuch" von Alevtina Kakhidze aus Kiew. Ihre Mutter lebt auf dem Donbass, also mitten im Krisenherd. So oft es geht, telefoniert die Künstlerin mit ihrer Mutter. Ihre Mutter schildert, wie es ist, den ganzen Tag im Keller zu hocken, keinen Strom zu haben und draußen die Gefechte zu hören. Was aber noch viel absurder ist: Die Mutter geht extra auf den Friedhof, um ihre Tochter anzurufen. Ekaterina Degot, Kuratorin der Ausstellung:
    "Die Ausstellung handelt von ganz einfachen Dingen: Wie leben die Menschen in der Kriegszone, wie meistern sie ihren Alltag. Das Beispiel Alevtina Kakhidze, deren Aufzeichnungen uns zum Titel der Ausstellung inspiriert haben, zeigt, was die Menschen alles in Kauf nehmen. Jeden Tag geht die Mutter auf den Friedhof. Nur dort hat sie Handy-Empfang. Jeder geht dort auf den Friedhof, um in Kiew oder in Moskau anzurufen. Denn die Einwohner haben auch jenseits der Grenze Verwandte."
    Alevtina Kakhidzes Protokolle werden in Köln auch als Theaterstück auf die Bühne gebracht. Im akademieeigenen Ausstellungsraum hängen ihre Zeichnungen vom Krieg. Manche sehen aus, wie schnell hingekrakelte Telefonzeichnungen. Schwarzer Filzstift, harte Konturen. Sie zeigen Menschen mit hängenden Schultern, kaputte Gebäude, den Friedhof außerhalb der Stadt.
    "Der kleine siegreiche Anschluss" nennt das Künstler-Trio Udogestvo aus St. Petersburg seine Performance. Die Mini-Oper mit Texten des Dichters und Gründungsmitglieds Roman Osminkin dekonstruiert den russischen Imperialismus. Osminkin vermengt in seinem Gesang Texte und Manifeste russischer Politiker und Vordenker wie Karl Marx. Er singt aber auch über seltsame Phänomene des Kriegs wie die "höflichen Menschen", die seit der Krise die Ukraine bevölkern.
    "Höfliche Menschen heißen bei uns bewaffnete Russen in Uniform ohne Dienstgradabzeichen, die wichtige strategischen Punkte wie Parlamente und Grenzen der Krim-Halbinsel kontrollieren. Putin behauptete anfangs, es handle sich bei ihnen nicht um russische Truppen. Aber später hat er es dann doch zugegeben. Nun glänzen ihre Kalaschnikoffs überall "höflich" in der Sonne."
    Wie komplex die Geschichte der Ukraine ist, das mal unabhängig und vereint und mal geteilt und unterworfen war, zeigt der Künstler Iwan Melnychuk: Er hat unzählige Karten aus Schulatlanten an die Ausstellungswand gehängt. Sie sind bunt bemalt oder wild mit Linien überzogen.
    "Hier diese Karte zeigt die Geschichte der Krim im Zweiten Weltkrieg. Die Deutschen haben die Krim besetzt und umbenannt. Sie nannten die Krim "Gotenland". Es gibt immer einen Vorwand, ein Gebiet zu erobern. Für die Deutschen waren es die Goten, für Putin war es die Taufe von Fürst Wladimir I. um 988."
    Iwan Melnychuk lebt in Kiew. Er hat große Angst vor Putins Politik. Monatelang hat er auf dem Maidan demonstriert. Wie er fühlen sich auch die anderen Künstler der Ausstellung als Spielball politischer Mächte. Anastasia Vepreva aus St. Petersburg:
    "Hier zu sein, ist für mich sehr wichtig. Wir alle sind stark traumatisiert. Der Hass kommt von allen Seiten. Nur gemeinsam können wir einen Weg aus dieser Krise finden. Wir müssen alle in Europa daran arbeiten, dass der Krieg zu Ende geht."
    In Russland ist politische Kunst nicht gern gesehen. Weil es beinahe unmöglich ist, sich kritisch zu äußern, greifen die Künstler zu subversiven Tricks. In einem Video spielt das Trio Udogestvo den Ukraine-Krieg mit Mandarinen nach: Fünf kleine und drei dicke Mandarinen kämpfen gegeneinander und werden schließlich von dicken Stiefeln zu Matsch gestampft. Was auf den ersten Blick spielerisch und amüsant wirkt, hat einen ernsten Hintergrund.
    "Wir lassen die Objekte im Namen der Menschen sprechen. In Russland ist es schwer, selbst zu sprechen, seine Meinung frei zu äußern. Wir müssen deshalb die Aufgabe an kleine unschuldige Objekte delegieren: an Mandarinen. Die kleinen Mandarinen symbolisieren die Ukrainer, die drei dicken die Russen."
    Der Alltag im Kriegsgebiet gleicht einer Ausnahmesituation. Die Kunst ist zur Überlebensstrategie geworden: Sie widersteht mit Witz der Propaganda und verliert nicht die Hoffnung auf Frieden.
    Infos:
    Akademie der Künste der Welt, Köln
    Ausstellung "Pluriversale III"
    5.9. bis 3.10.2015