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Ausstellung im Dortmunder U
Figuren des digitalen Widerstands

Whistleblower - geht noch etwas schwer von der Zunge, hat sich aber seit der WikiLeaks-Gründung durch Julian Assange und die Enthüllungen Edward Snowdens auch im Deutschen durchgesetzt. Menschen, die etwas verraten und damit Gutes tun wollen. Eine spannende Ausstellung in Dortmund fragt nun, warum und wofür Aktivisten Karriere und Leben riskieren.

Von Peter Backof | 08.04.2016
    Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden.
    Der frühere US-Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden. (Guardian / Glenn Greenwald / Laura Poitras)
    Whistleblower - geht noch etwas schwer von der Zunge, hat sich aber seit der WikiLeaks Gründung durch Julian Assange 2006 auch im Deutschen ganz gut eingebürgert. Menschen, die etwas verraten und damit Gutes tun wollen. Was Vigilanten sind, erklären die Kuratoren Jens Kabisch und Inke Arns.
    "Der Begriff Vigilant kommt aus dem Amerikanischen, als klassischer Held des Westerns, der außerhalb des Rechts steht, dass man aus einem sehr subjektiven Rechtsverständnis Moralvorstellungen zurechtrücken will", sagt Jens Kabisch. Oft mithilfe von Gewalt, Bürgerwehr- und Blockwart-Haltung, weiß Inke Arns:
    "Vigilanten, da wird es dann richtig unangenehm. Warum macht ein Typ wie der Unabomber, den ich ja hochspannend finde, warum macht der sowas?" Ted Kaczynski wurde aus Angst vor dem technischen Fortschritt zum Mörder.
    Der Unabomber wollte die Entwicklung des Internets aufhalten
    "Ein Mathematikprofessor, der zu einem Terroristen geworden ist. Der hat Briefbomben geschickt, da sind Leute gestorben."
    1995 schrieb Kaczynski sein berühmtes internet-kritisches Unabomber-Manifest. Die Ausstellung zeigt die deutsche Version, die Medienkünstler Lutz Dammbeck mit Genehmigung des inhaftierten Kaczynskis vor einigen Jahren herausgegeben hat. Darin wird klar: Kaczynski wollte nicht weniger, als die Entwicklung des Internets aufhalten.
    Mehr als dreißig komplexe Geschichten zeigt die Schau "Whistleblower und Vigilanten" szenografisch. Am Eingang bekommt man eine psychologische Raumkarte als Orientierung, strukturiert nach Tatmotiven und Legitimationen.
    "Gerade wenn man Figuren wie Edward Snowden und Julian Assange nimmt, sind das Positionen, die komplett diametral gegenübergesetzt sind. Assange ist ein Vertreter der absoluten, maximalen Transparenz. Er sagt, es muss alles offengelegt werden. - Das ist jetzt zum Beispiel bei den Panama Papers nicht der Fall. Die werden ja von Journalisten ausgewertet."
    Plastisch gemacht ist die Assange-Story durch einen Eins-zu-eins-Nachbau des Zimmers in der ecuadorianischen Botschaft in London, von dem aus er WikiLeaks wie ein Monarch leitet. Eitelkeit ist auch ein Motiv, suggeriert die Szenografie. Anders bei Snowden.
    Keine Bewertung à la gute Whistleblower oder böse Vigilanten
    "Edward Snowden hat Dokumente veröffentlicht, um darauf hinzuweisen: Da existiert ein System, was gegen die amerikanische Verfassung verstößt. Der ist im Prinzip Verfassungsschützer." Stellwände deuten ein Büro an, einen Denkraum. An die Wand projizierte Grafiken erklären, was die Software bewirkt, die Snowden selbst als NSA-Mitarbeiter geschrieben hat. Die Schau bewertet nicht: hier gute Whistleblower, dort böse Vigilanten. Sie macht auch keinen Unterschied zwischen Aktivisten und Medienkünstern.
    "Die Reaktionen waren massiv. Innerhalb von drei Monaten haben wir täglich zwanzig, dreißig, vierzig Interviews gegeben. Wir wurden mit einstweiligen Verfügungen zugedeckt, das heißt wir wurden zugeklagt, das FBI, die NSA haben sich eingeschaltet. Das Ganze war aber ein reiner Fake!", erläutert Hans Bernhard von Ubermorgen.com.
    Die Netzaktivisten hatten bereits 2000 im Wahlkampf Al Gore gegen George W. Bush eine Software programmiert, die es angeblich möglich macht, mit Wählerstimmen zu handeln. Dabei hätte man sofort erkennen können, dass es sich um Satire handelte. Ein ganzer Staat und die Medienlandschaft waren blamiert. Und das zeigt sich bis heute: Ein Staat lässt sich nicht gerne blamieren, er wird unbedingt zeigen, dass er den längeren Arm hat als digitale Widerständler. Mal sehen, was bei einer aktuellen Variante des satirischen Angriffs herauskommt, ein Konzept des deutschen "!Peng Collectives".
    Warum risikieren die Whistleblower soviel für die Wahrheit?
    "Call a Spy!" ermöglicht es Ausstellungsbesuchern, von einem roten Telefon aus der Ausstellung bei verschiedenen Geheimdiensten weltweit anzurufen und mit Mitarbeitern zu sprechen. - Nee, jetzt echt? - "Nee! Das ist keine Inszenierung. Wir müssen das nochmal groß dranschreiben: This is not a Fake!" antwortet Arns.
    Geleakte Nummern angeblich. Laut Peng Collective soll man Geheimdienstmitarbeiter - falls die überhaupt dran gehen - dazu auffordern, ihre Arbeit einzustellen. 'Whistleblower und Vigilanten' macht an vielen Stellen Spaß und hat einige - nicht immer ernst gemeinte - Vorschläge für den Widerstand: Legen Sie mit digitalen Sit-ins Webseiten lahm! Erklären Sie persönlich dem IS den Krieg! Und dann kippt es natürlich ins Ernste: Wer hat - mit moralischen Fragen konfrontiert - so viel Mut wie diese Whistleblower und riskiert hohe Strafen für die Wahrheit? Eine emotional aufgemachte und brisante Ausstellung. Und absolut sehenswert.