Freitag, 19. April 2024

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Ausstellung in der Villa Stuck
Carlos Garaicoa – Unvollendete Ordnung

Das Werk des kubanischen Künstlers Carlos Garaicoa ist eine Bestandsaufnahme unserer Zeit und ihrer Krisen. In Deutschland ist der politische Künstler noch eher unbekannt. Dabei hat er bereits auf der documenta XI und der Biennale in Venedig ausgestellt. Die Villa Stuck in München zeigt jetzt eine erste große Einzelausstellung.

Von Julian Ignatowitsch | 14.06.2016
    Eine Installation des Künstlers Carlos Garaicoa, Nahaufnahme
    Es könnte kaum ein besseres Sinnbild für das Werk des kubanischen Künstlers Carlos Garaicoa geben als diese Achterbahn (© Nasjonalmuseet – Museum of Contemporary Art, Oslo)
    Das Auf und Ab der Achterbahn: Mit Hochgeschwindigkeit brettert sie die Schienen hinab, fast senkrecht Richtung Erdboden, dann rast sie wieder hinauf, bis an den Scheitelpunkt - und schon folgt der nächste Sturz…
    Es könnte kaum ein besseres Sinnbild geben für das Werk des kubanischen Künstlers Carlos Garaicoa als genau diese Achterbahn. Im ersten Stock der Münchner Ausstellung steht sie in der Mitte des Raums, aus Holz gebaut, ein Video lässt den Besucher mitfahren.
    Höhen und Tiefen, eine turbulente Fahrt durch die menschliche Zivilisation. Das Auf und Ab in Politik und Wirtschaft, die Kurven des gesellschaftlichen Zusammenlebens, Aufstieg und Verfall, Utopie und Realität. Diese Themen greift Garaicoa in seinen Skulpturen, Installationen, Fotos und Bildern fortwährend auf:
    "Ich möchte Geschichte verstehen und begreifbar machen Unsere Vergangenheit wirkt sich auf das Hier und Jetzt aus. Ich glaube, es gibt eine geschichtliche Konstante, nämlich die der menschlichen Unreife. Unterdrückung, Intoleranz, Rassismus – das ist die Basis der meisten Ideologien.
    Die Kunst ist ein Werkzeug, diese Realität zu beschreiben und kritisch zu hinterfragen. Die Bruchstellen finden und offenlegen, das möchte ich als Künstler tun.”
    Eine Bestandsaufnahme der Probleme unserer Zeit
    Carlos Garaicoa ist ein politisch engagierter Künstler - und es wird höchste Zeit, dass er auch hier in Deutschland Anerkennung findet. Seine erste große Einzelausstellung in der Villa Stuck strotzt nur so vor Ideen, geschichtlichen Querverweisen und Gedankenspielen.
    Garaicoas Kunst funktioniert als intelligente, meist subtile Gesellschaftskritik. Sie kommt nie belehrend oder moralisierend daher, sondern als präzise Bestandsaufnahme der Probleme unserer Zeit. Das kritische Potenzial, die subversive Wucht gründet auf der einfachen Differenz zwischen dem So-ist-es und dem So-könnte-es-sein.
    Wenn Garaicoa z. B. die unfertigen Ruinen und Baustellen in Kubas Städten auf dem Reisbrett wieder auferstehen lässt, dann ist es genau dieser Kontrast zwischen der auf Fotos gezeigten Realität und der im Modell errichteten Utopie, die den Besucher ins Grübeln bringt.
    "Nachdem die Berliner Mauer gefallen war, sind auch die Zahlungen an Kuba aus dem Ostblock eingestellt worden. Und damit wurden viele Gebäude in Kuba nicht zu Ende gebaut, sie sind sozusagen in der Zeit stecken geblieben. Für mich ist das eine Metapher des unvollendeten und gescheiterten sozialistischen Projekts."
    Große Bauten, monumentale Architekturen – sie dienen Garaicoa immer wieder als Symbole der Macht, in und außerhalb Kubas. Die Stasi-Zentrale, den Sitz des KGB oder das Pentagon bildet er als versilberte Kronjuwelen nach, ein vergoldetes Modell der Bundesbank sperrt er in einen Safe.
    Kunst als Anti-Propaganda
    Die glänzenden Verheißungen konterkariert vom alltäglichen Schrecken, den sie ausstrahlen. Kommunismus, Nationalismus und Neoliberalismus als unterschiedliche Facetten der gleichen autoritären Denkweise. Natürlich ist Garaicoas Arbeit dabei auch biografisch geprägt, erzählt er:
    "Ich komme aus Kuba, aus einer sehr krassen Realität, habe die Kraft der Politik und der Ideologie kennengelernt, musste mit all den Einschränkungen leben. Das hat meine kritische Haltung begründet. Ich verstehe meine Kunst als eine Art Anti-Propaganda."
    Es sind die Krisenthemen dieser Zeit im historischen Kontext, die den Künstler umtreiben und mit denen er sein Publikum - mal direkter, mal indirekter - konfrontiert: Finanzkrise, Populismus, Fremdenfeindlichkeit, Korruption, Versklavung und so weiter. Der Ausstellungs-Titel "Orden Inconcluso" (deutsch: "Unvollendete Ordnung") hätte - schon aus Vermarktungsgründen – gerne etwas deutlicher sein können. Andererseits passt er zu einer Schau, die das Plakative meidet und bloßstellt, sich den naiven Glauben an eine bessere Welt aber nicht ganz nehmen lassen will:Ein Denker baue jeden Tag sein kleines, persönliches Utopia, sagt Garaicoa – dann geht er zur Achterbahn zurück: Die Spitze ist gerade erreicht, blauer Himmel, in der Ferne eine Wolke. Welch‘ ein Ausblick! Allein man traut ihm nicht mehr nach dieser Schau.