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Ausstellung
Künstler präsentieren forensische Erkenntnisse

In der Forensik untersuchen Rechtsmediziner Leichen, um die Todesursache und den Todeszeitpunkt zu ermitteln. Doch forensische Methoden werden auch bei Straftaten im Verlauf von bewaffneten Konflikten angewandt. Um solche Dinge geht es derzeit in der Ausstellung "Forensis" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.

Von Oliver Kranz | 14.03.2014
    Repräsentationskunst gibt es anderswo. Das Haus der Kulturen der Welt untersucht seit einem Jahr die wissenschaftliche These, dass der Mensch die Umwelt derart stark verändert, dass man von einem neuen Erdzeitalter sprechen kann - dem Anthropozän. Dadurch werden Fragen interessant, die normalerweise in Kunstausstellungen nicht gestellt werden. Es geht nicht um die Bedeutung einzelner Persönlichkeiten oder Kunstrichtungen, sondern immer um die ganze Welt. Auch die neue Ausstellung will viel. Der Titel "Forensis" weist darauf hin, dass Erkenntnisse vor allem dann etwas bewirken, wenn sie an die Öffentlichkeit kommen. Der Begriff kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Zum Forum gehörig". Das Forum im alten Rom war ein Ort, an dem öffentlich diskutiert wurde…
    "Forensis beschreibt den Vorgang: Wissenschaft tritt in Foren ein, das heißt bleibt nicht im Labor oder in wissenschaftlichen Zeitschriften, sondern Wissenschaft wird zur Grundlage von politischen Entscheidungsprozessen", erklärt Anselm Franke, der Kurator der Ausstellung.
    Kriegsverbrechen: Klarheit über Todesursache schaffen
    Präsentiert werden Fallbeispiele, in denen politische Verbrechen aufgearbeitet werden. Dabei geht es weniger um die Verbrechen an sich, als um die Methoden, die zur Aufklärung führen sollen - um die Exhumierung von Gewaltopfern zum Beispiel. Die forensische Untersuchung der sterblichen Überreste soll Klarheit über die Todesursache schaffen. Die Ausstellung zeigt aber auch Filme, die Kriegsverbrechen dokumentieren und Satellitenbilder.
    "Wenn es etwa darum geht, die Militärdiktatur in Brasilien aufzuarbeiten und deren Genozid an den Ureinwohnern im Amazonas, da geht es darum, Satellitenbilder zu lesen und anhand der Vegetationsstruktur des Urwaldes herauslesen zu können, wo waren Dörfer. Weil dort wo Dörfer waren, wachsen andere Bäume und die Erde hat eine andere Topographie. Satellitenbilder spielen in anderen Projekten auch eine große Rolle."
    Beweismaterial für Gerichtsprozesse sammeln
    Etwa wenn es darum geht, die Bewegung von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer nachzuvollziehen. Seit drei Jahren gibt es das Projekt Forensische Ozeanografie, in dem verschiedene Nichtregierungsorganisationen Fälle dokumentieren, in denen Grenzpatrouillen in Seenot geratene Flüchtlingsboote ignorierten und daher für den Tod der Flüchtlinge mitverantwortlich sind. Im Rahmen des Projekts Forensische Ozeanografie wurden GPS-Daten, Fotos und Zeugenaussagen von Überlebenden zusammengetragen - Beweismaterial für Gerichtsprozesse.
    Dass nicht nur staatliche Institutionen mit den Mitteln der Forensik arbeiten, sondern auch Friedensaktivisten und Nichtregierungsorganisationen, ist eine Entwicklung der letzten Jahre…
    "Die Zeugenaussage spielt immer weniger eine Rolle. Zunehmend spielen wissenschaftliche Präsentationen oder materielle Beweisstücke eine immer größere Rolle in solchen Prozessen, wo es um Menschenrechte oder um Internationales Recht geht."
    Der zweite Kurator der Ausstellung ist Eyal Weizman, ein israelischer Architekt, der seit drei Jahren am Goldsmiths College in London arbeitet, wo er das Projekt Forensic Architecture leitet, Forensische Architektur…
    "Kriege finden heute vor allem in Städten statt. Viele Kriegsopfer sind Zivilisten, in ihren eigenen Häusern sterben. Wenn man sich die Häuser anschaut, findet man viel Beweismaterial gegen die Leute, die für diese Verbrechen verantwortlich sind."
    Künstler sollen forensische Erkenntnisse überzeugend präsentieren
    Eyal Weizman hat Schäden an Häusern in Gaza dokumentiert, die zeigen, wie brutal das israelische Militär bei seinen Einsätzen vorging. Er hat Drohnenangriffe auf Häuser in Pakistan bewiesen, die es nach amerikanischen Angaben gar nicht gab. Die Ausstellung zeigt Fotos und Architekturmodelle, Videos und viele andere Dokumente. Obwohl sie von Künstlern gestaltet wurde, wirkt sie recht trocken. Man muss viel lesen, wenn man die dargestellten Ereignisse verstehen will. Doch es geht den Machern auch nicht darum, das Publikum zu unterhalten…
    "Einerseits möchte ich, dass die Ausstellung Architekten anspricht, die mit ihrem Wissen sehr viel zur Aufklärung von politischen Verbrechen beitragen können, aber auch Künstler, die gefragt sind, wenn es darum geht, forensische Erkenntnisse überzeugend zu präsentieren. Wichtig ist mir auch Anwälte zu überzeugen, mit Künstlern und Architekten zusammenzuarbeiten, denn dadurch entsteht sehr überzeugendes Material für ihre Gerichtsprozesse."
    Kunst soll in juristische Prozesse eingreifen? Das überrascht. Doch Eyal Weizman ist jedes Mittel Recht, wenn es einer guten Sache dient. Die Ausstellung "Forensis" zeigt erste Ansätze.